Recht aktuell

Recht kurios: Das AMG als Therapieverhinderer?

Das deutsche Arzneimittelrecht ist durch zahllose Änderungen und Ergänzungen so kompliziert geworden, dass es für juristische Laien unverständlich und selbst für Experten verwirrend ist. An einem aktuellen Beispiel soll verdeutlicht werden, dass die derzeitigen Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) in der Lage sind, den therapeutischen Fortschritt zu behindern.

Ausgangslage

In einer augenärztlichen Fachzeitschrift (Ophthalmologe 2002, 99, 949–959) wurde eine Erfolg versprechende Behandlungsmöglichkeit bei persistierenden Hornhautepitheldefekten und therapieresistent trockenen Augen vorgestellt. Das Prinzip basiert auf der Gabe autologer Serum-Augentropfen. Hierzu wird den Patienten Blut entnommen. Das hieraus gewonnene Serum wird zu Augentropfen verarbeitet, welche der Patient regelmäßig anwendet. Einer Umsetzung dieses simpel erscheinenden Therapieansatzes in die Praxis steht ein Dickicht arzneimittelrechtlicher Bestimmungen entgegen. Gemäß § 4 Abs. 2 AMG sind Blutzubereitungen Arzneimittel, die "(...) Zubereitungen aus Blutbestandteilen sind oder als arzneilich wirksame Bestandteile enthalten." Autologe Serum-Augentropfen enthalten Serum als wirksamen Bestandteil, erfüllen also die Definition einer Blutzubereitung.

Fall 1: Herstellung durch eine Apotheke:

In diesem Fall würde der behandelnde Augenarzt dem Patienten venöses Blut entnehmen und die rezepturmäßige Herstellung von Augentropfen verordnen. Die Apotheke sieht sich mit folgenden rechtlichen Problemen konfrontiert:

1. Gemäß § 13 Abs. 2 AMG benötigt eine Apotheke für die (rezepturmäßige) Herstellung von Blutzubereitungen eine Herstellungserlaubnis. Diese wird nur erteilt, wenn insbesondere GMP-konforme Räume für die Sterilherstellung sowie ein Herstellungs- sowie ein Kontrollleiter vorhanden sind. Schon an diesen beiden kostenintensiven Forderungen dürften die meisten Anträge auf Erteilung einer Herstellungserlaubnis scheitern.

2. § 15 Abs. 3 Nr. 3 AMG nennt spezielle Sachkenntnisanforderungen für einen Herstellungs- bzw. Kontrollleiter im Bereich autologer Blutzubereitungen. Verlangt wird eine mindestens sechsmonatige transfusionsmedizinische Erfahrung oder eine einjährige Tätigkeit in der Herstellung autologer Blutzubereitungen. Ein Transfusionsmediziner hätte zwar die Sachkunde im Umgang mit Blut, jedoch wenig Ahnung von einer arzneibuchkonformen Augentropfenherstellung.

Die 12. AMG-Novelle hat eine weitere Hürde aufgebaut: Gemäß § 13 Abs. 1 AMG erfordert das gewerbs- oder berufsmäßige Herstellen zur Arzneimittelherstellung bestimmter Stoffe menschlicher Herkunft zur Abgabe an andere eine Herstellungserlaubnis. Da gemäß Definition schon das Gewinnen zum Herstellen zählt (§ 4 Abs. 14 AMG), bedeutet dies bei konsequent formaler Auslegung, dass der Augenarzt, welcher Patientenblut für die Weiterverarbeitung entnimmt, eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG benötigt. Eine ebenso überzogene wie praxisferne Forderung, aber eben geltendes Recht.

Fall 2: Herstellung durch eine Krankenhausapotheke:

Hier sind verschiedene Verfahrensweisen denkbar, insbesondere: 2a) Patient ist in ambulanter/ stationärer Behandlung im Krankenhaus, 2b) Die Krankenhausapotheke stellt die Rezeptur im Auftrag einer öffentlichen Apotheke her.

zu 2a) Die Krankenhausapotheke stünde vor denselben Problemen, wie unter Fall 1 beschrieben. Für die Herstellung einer Blutzubereitung benötigt sie eine spezielle Herstellungserlaubnis, wobei sie weniger an den räumlichen als an den personellen Anforderungen scheitern dürfte, wenn das Haus über keine transfusionsmedizinische Abteilung mit Blutbank verfügt.

zu 2b) Die Herstellung einer Rezeptur für die Abgabe an eine öffentliche Apotheke ist von der Betriebserlaubnis nicht gedeckt. Hier bedarf es einer Herstellungserlaubnis. Die Probleme sind unter Fall 1 beschrieben. Rechtlich zweifelhaft bleibt, ob eine Apotheke überhaupt befugt wäre, eine externe Einrichtung mit der Durchführung der wesentlichen Herstellungsschritte einer Rezeptur zu beauftragen. Es fehlt in der Apothekenbetriebsordnung eine analoge Regelung zu § 6 Abs. 3 ApBetrO: "Die Prüfung der Arzneimittel kann unter Verantwortung des Apothekenleiters auch außerhalb der Apotheke (...) erfolgen."

Fall 3: Herstellung durch den Arzt:

Grundsätzlich wäre es denkbar, dass der Arzt Patientenblut entnimmt, daraus Serum gewinnt und dann selber Augentropfen herstellt, die er am Patienten anwendet. Gemäß § 4a Nr. 3 AMG fände das Arzneimittelgesetz auf dieses Verfahren – wobei die Produktqualität hier nicht kommentiert werden soll – keine Anwendung. Üblicherweise werden Augentropfen den Patienten mitgegeben. Genau dies wäre dem Arzt aber verboten, denn die Abgabe würde einen bußgeldbewehrten Verstoß gegen § 43 (Apothekenpflicht) darstellen. Zur Definition der Abgabe siehe § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG. Konsequenz: Der Patient müsste zu jeder Augentropfen-Applikation in der Arztpraxis erscheinen, was den ohnehin klammen Krankenkassen finanzielle Albträume bereiten dürfte...

Fall 4: Teilherstellung in der Blutbank:

Nach den Buchstaben des Arzneimittelgesetzes könnte im vorliegenden Fall wie folgt verfahren werden: der Patient sucht ambulant ein Krankenhaus auf, welches über eine transfusionsmedizinische Abteilung (Blutbank) mit Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG verfügt. In der Blutbank erfolgen Blutentnahme und Serumgewinnung. Das Serum wird an die Krankenhausapotheke zur Herstellung von Augentropfen abgegeben. Für diese spezielle Form von Augentropfen (Blutzubereitung!) hat die Apotheke eine Herstellungserlaubnis beantragt und erhalten, wobei die Funktion des Herstellungs- und Kontrolleiters – auf vertraglicher Basis – von einer entsprechend qualifizierten Person aus dem Transfusionsbereich übernommen werden kann.

Einer Lösung bedarf noch ein weiteres Problem: die Apotheke darf nur Ausgangsstoffe verwenden, deren ordnungsgemäße Qualität festgestellt ist (§ 11 Abs. 1 PharmBetrV). Da im geschilderten Fall der Ausgangsstoff Serum von einem Betrieb mit Herstellungserlaubnis geliefert wird (vgl. § 6 Abs. 3 ApBetrO), kann sich die Apotheke auf die Feststellung der Identität beschränken. Inwieweit in diesem Fall ein pragmatisches Verfahren denkbar wäre, wonach über ein validiertes Verfahren sichergestellt ist, dass nicht versehentlich das falsche Serum verarbeitet wird, sei dahingestellt. Im Zeitalter der begründeten Sorge vor Infektionsübertragungen (v.a. Aids/HIV, Hepatitiden) muss selbstverständlich größtmögliche Sorgfalt gefordert werden.

Unbeachtet blieb in den o.g. Ausführungen die Tatsache, dass die autologen Serum-Augentropfen bei Aufbewahrung bei Raumtemperatur nicht über vier Wochen stabil wären. Mit lösbaren logistischen Problemen dürfte die Aufbewahrung des Arzneimittelvorrats bei –20 °C und die termingerechte Verfügbarkeit von Teilmengen in Einzeldosis-Behältnissen verbunden sein.

Fazit

Der Gesetzgeber hat das AMG inzwischen so eng "gestrickt", dass es für die sich stetig weiterentwickelnden Anforderungen der medizinischen Praxis nicht mehr passt. Die von deutschen Politikern gegenüber dem zunehmend ungläubigen Bürger oft deklamierte Notwendigkeit einer Deregulierung der Rechtsvorschriften sollte hier dringend in die Tat umgesetzt werden.

Dr. Michael Schmidt

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