Die Seite 3

Freiheit oder Sozialismus?

Thomas Müller-Bohn

So bedeutsam die Strukturveränderungen in der Apothekenlandschaft durch das GMG auch sein mögen, drohen aufgrund der anstehenden Veränderung der Krankenkassenfinanzierung Auswirkungen in ganz anderen Dimensionen. Für alle Beteiligten – Leistungserbringer und Patienten – dürfte die Entscheidung zwischen Gesundheitsprämien – sachlich für viele Modelle zutreffend, aber sprachlich unglücklich auch als Kopfpauschale bezeichnet – und Bürgerversicherung – als Begriff wohlklingend, aber inhaltlich irreführend – enorme Bedeutung gewinnen. In einem Beitrag in dieser Ausgabe der DAZ werden Unterscheidungskriterien für diese Konzepte dargestellt, um die mittlerweile kaum noch überschaubaren Modellvorschläge zu ordnen. Außerdem werden die ökonomischen Konsequenzen dieser Konzepte einander gegenüber gestellt.

Die Gegner der Gesundheitsprämien stützen sich hauptsächlich auf die gleichförmig wiederholte Behauptung, dieses Konzept sei unsolidarisch. Doch das Gegenteil scheint mir offensichtlich: Was sollte solidarischer sein als ein System, in dem jeder den gleichen Beitrag zahlt und für die Versicherer Kontrahierungszwang herrscht?! Im Gegensatz zum rein privatwirtschaftlichen System sollen hier eben keine Prämien oder Versicherungsausschlüsse nach den individuellen Risiken möglich sein. Die Solidarität wird weiter gesteigert, indem Bedürftige aus Steuermitteln unterstützt werden. Dies ist von der Grundidee eines Prämiensystems unabhängig. Wie weit die Gemeinschaft für die Bedürfnisse Einzelner aufkommt, hängt eben nicht von diesem System ab, sondern vom Ausmaß der Subventionen durch den Bundeshaushalt. Insofern ist das Solidaritätsargument ein vorgeschobenes und irreführendes Scheinargument.

Worum geht es wirklich? Aus der Perspektive der Regierenden liegen die größten Unterschiede zwischen den Systemen in der Verantwortung für den Etat und in der Transparenz der Finanzierung. Eine so genannte Bürgerversicherung hätte einen gewaltigen eigenen Haushalt, aus dem die Regierenden sozialpolitische Segnungen verteilen könnten, die sie nicht im Bundeshaushalt vertreten müssten. Weder die parlamentarische Kontrolle noch die Stabilitätskriterien der EU würden hier greifen. Der Bundeshaushalt würde entlastet.

Ein Prämiensystem würde den Haushalt dagegen belasten, weil die Unterstützung der Bedürftigen aus ihm finanziert werden muss. Das mag für manche Politiker ärgerlich sein, aber genau darin liegt der Sinn der parlamentarischen Kontrolle, wie sie sich in einer Demokratie gehört. Die Regierenden müssen sich der Verantwortung für ihre Versprechungen stellen. Steuern darf nur der Bundestag beschließen, als Krankenkassenbeiträge getarnte Sondersteuern in der Verantwortung der Kassenfunktionäre wären der Ausverkauf des Parlaments. Die Belastung des Haushaltes ist damit – auch wenn es pardox klingt – kein Argument gegen, sondern für das Prämiensystem.

Für ein Prämiensystem spricht außerdem die Abkopplung der Krankenversicherung von allen Einkommensarten, wodurch wirtschaftliche Fehlanreize auf dem Arbeitsmarkt beseitigt werden und auf anderen Märkten gar nicht erst entstehen. Im Unterschied zur so genannten Bürgerversicherung sind Gesundheitsprämien auch mit den bestehenden privaten Versicherungen kompatibel. Denn warum soll das gut funktionierende System der privaten Krankenversicherungen abgeschafft und die Vertragsfreiheit der angeblich mündigen Bürger aufgehoben werden, um die gesetzliche Krankenversicherung zu reformieren? Wie soll das gerechtfertigt werden, wenn es eine bessere Lösung gibt, die weniger in die Freiheitsrechte der Bürger eingreift?

Die so genannte Bürgerversicherung dürfte mit bürgerlichen Rechten und Prinzipien kaum zu vereinbaren sein. Darum sollte sie treffender Einheitsversicherung genannt werden. Denn sie lässt keinen Raum für Differenzierungen. Sie würde Unterschiede zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen verwischen und den gerade erst entstehenden Wettbewerb beenden. Außerdem würde sie das Gros der Privatversicherten so stark belasten, dass individuelle Zusatzversicherungen nicht mehr finanziert werden könnten. Dagegen würden Körperschaften – im Gegensatz zur steuerfinanzierten Lösung – nicht zur angeblichen Solidarität beitragen. Die zwangsweise Einbeziehung der Privatversicherungen wäre zudem ein verfassungsrechtlich bedenklicher Eingriff, auch wenn auf die "Sozialisierung", d. h. Enteignung, der angesammelten Kapitalrückstellungen verzichtet werden sollte.

Die Wahl zwischen Einheitsversicherung und Prämiensystem ist daher mehr als eine Entscheidung über die Finanzierung der Krankenversicherung. Sie ist eine grundlegende gesellschaftliche Richtungsentscheidung zwischen Sozialismus und einer anreizverträglichen Ökonomie auf der Grundlage individueller Freiheit. Die Entscheidung sollte daher erst getroffen werden, nachdem sie Gegenstand eines Wahlkampfes war.

 

Thomas Müller-Bohn

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