Onkologie

Aktueller Stand der Krebstherapie

3. NZW-Süd in Ravensburg

Von Petra Jungmayr | Am 10. und 11. September 2004 veranstalteten das Institut für Angewandte Gesundheitswissenschaften (IFAHS) und die Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) den dritten Norddeutschen Zytostatika Workshop Süd (NZW-Süd) in Ravensburg. Der Fachkongress, der traditionsgemäß die wichtigsten Ergebnisse des vorangegangenen amerikanischen Krebskongresses präsentiert, dient sowohl der Fortbildung als auch der kollegialen und interdisziplinären Zusammenarbeit, ohne die eine optimale Betreuung des Krebspatienten nicht möglich ist. Wie Klaus Meier, Vorsitzender der GDOP, forderte, soll aus dem "todsicheren" Team "unwissender Ärzte und besserwissender Apotheker" eine Allianz entstehen, die gemeinsam die fachlichen, gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Zeit angeht. Dass dies bereits ansatzweise funktioniert, zeigen zum Beispiel gemeinsam erarbeitete Leitlinien und Standards.
Prof. Dr. Manfred Dietel

Individualisierte Tumortherapie

Durch den Einsatz konventioneller Zytostatika kann die Heilungsrate vieler Tumorerkrankungen nicht mehr wesentlich verbessert werden, hob Prof. Dr. Manfred Dietel, Berlin, hervor. Relevante Fortschritte sind nur möglich mit neuen diagnostischen Methoden und Therapieansätzen, die der Tumorbiologie Rechnung tragen und eine Individualisierung der Behandlung gestatten. So hängen zum Beispiel Diagnose, Therapie und Prognose eines Mammakarzinoms unter anderem von einem wichtigen tumorbiologischen Parameter, dem Rezeptorstatus, ab. An den Zellen des Brustgewebes kommen mehrere Rezeptoren vor:

  • Östrogenrezeptoren (ER-α und ER-β),
  • Progesteronrezeptor (PgR),
  • Humaner epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER-2/neu),
  • verschiedene Rezeptoren mit unklarer klinischer Relevanz.

Bestimmung therapierelevanter Rezeptoren

Bei der routinemäßigen pathologischen Untersuchung werden ER, PgR und HER-2/neu bestimmt. Eine endokrine Therapie ist nur sinnvoll bei ER-positiven Tumoren. Dies hat folgenden Hintergrund: Endogenes Östrogen bindet an den Östrogenrezeptor einer Zelle und verursacht über einen komplexen Mechanismus eine Zellproliferation. Diese kann bei einem ER-positiven Tumor durch eine Therapie mit Aromatase-Inhibitoren, Tamoxifen, Raloxifen (Evista®) oder Fulvestrant (Faslodex®) verhindert werden. Die nach einigen Jahren auftretende Resistenz gegenüber Tamoxifen ist darauf zurückzuführen, dass der Östrogenrezeptor unter dem Selektionsdruck mutiert und von Tamoxifen nicht mehr "besetzt" werden kann.

Ein Übermaß von HER-2/neu auf der Zellmembran wird routinemäßig über eine immunhistologische Methode nachgewiesen und mit einem semi-quantitativen Score (0, 1+, 2+, 3+) bewertet. Bei 2+ wird ergänzend die FISH-Methode (Fluoreszenz-In-situ-Hybridisierung) angewandt, mit der sich im Genom die Amplifikation des HER-2/neu-Locus nachweisen lässt. Ist dieser Test positiv oder beträgt der Score-Wert 3+, liegt die Indikation für eine Therapie mit dem monoklonalen Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) vor.

Ansprechen wird vorhersagbar

DNA-Mikroarrays geben Einsicht in die DNA-Konstellation eines Tumors, sie erfassen seine "biologische Signatur". Dadurch kann vorhergesagt werden, ob der Tumor metastasieren wird oder nicht. Dies hat Konsequenzen für die Therapie: Wird ein Tumor Metastasen bilden, ist eine intensive Chemotherapie notwendig, wird er es nicht tun, ist sie überflüssig.

Mittels DNA resistance arrays soll in Zukunft auch die Resistenz gegenüber bestimmten Zytostatika erkannt werden. Bereits vor der Therapie kann vorausgesagt werden, ob ein bestimmtes Zytostatikum eingesetzt werden kann oder ob bereits Resistenzen vorliegen. Auch dies ist wiederum ein Schritt hin zur individualisierten Therapie, bei der unnötige Behandlungen vermieden werden.
 

Perspektiven der Tumortherapie

  • Die Prognose wird sich zunehmend auf genomische und proteomische Signaturen stützen.
  • Die Therapie wird sich vermehrt an morphologischen und tumorbiologischen Eigenschaften orientieren und tumorspezifisch ausgerichtet sein.
  • DNA-Chips und Proteintechnologien werden neue Erkenntnisse über biologische Prozesse liefern und es ermöglichen, prädiktive Daten zu gewinnen und eine individuelle Therapie einzuleiten.

Mammakarzinom – neoadjuvante Therapie oft erfolgreich

Brustkrebs ist eine der häufigsten Krebserkrankungen in westlichen Ländern und wird demzufolge vergleichsweise intensiv erforscht. Einige neue Ergebnisse stellte Prof. Dr. Kurt Possinger, Berlin, vor. Sie betrafen z. B. die neoadjuvante Therapie, das heißt die medikamentöse Behandlung vor der Operation, die einen chirurgischen Eingriff ermöglichen oder erleichtern soll.

So konnten durch eine neoadjuvante Hormontherapie mit Anastrozol (Arimidex®) gleich gute Ergebnisse erzielt werden wie mit einer neoadjuvanten Chemotherapie. Für die Patientin, die auf die Chemotherapie verzichten kann, bedeutet dies ein gewaltiges Plus an Lebensqualität. Eine weitere Studie zur neoadjuvanten Therapie untersuchte die Kombination von Trastuzumab (Herceptin®) mit der Standardchemotherapie FEC (5-Fluorouracil, Epirubicin, Cyclophosphamid) im Vergleich zu FEC allein. Die Kombination erhöhte die Ansprechraten von 26% auf 65%. Allerdings ist bei diesem Regime eine erhöhte Kardiotoxizität nicht auszuschließen.
 

Klaus Meier

Mehr Zusammenarbeit

Vor rund 180 Teilnehmern eröffneten Claus Roland (IFAHS), Klaus Meier (DGOP) und Prof. Dr. Günther Wiedemann (Oberschwabenklinik) den dritten NZW-Süd im Konzerthaus Ravensburg. Der Kongress informierte über die Referate des diesjährigen ASCO-Meetings (American Society of Clinical Oncology) und brachte neue Aspekte der pharmazeutischen Onkologie zur Sprache. 15 Vorträge, eine begleitende Industriemesse sowie zahlreiche persönliche Gespräche dienten der Orientierung in einer nicht mehr überschaubaren Informationsflut. Ziel der Teilnehmer war es, besser zusammen zu arbeiten, um die zukünftigen onkologischen Aufgaben lösen zu können. Info: www.nzw.de

Prof. Dr. Kurt Possinger, Berlin

Aromatasehemmer verringert Rezidivrisiko

Bei einem rezeptorpositiven Mammakarzinom wird in der Regel nach der Operation eine Hormontherapie durchgeführt, um die Östrogenwirkung auszuschalten. Ein Standardmedikament hierfür ist Tamoxifen, das aber aufgrund eines Wirkverlustes nicht länger als fünf Jahre eingesetzt werden kann (s. o.). Die Therapie kann dann mit dem Aromatasehemmer Letrozol (Femara®) erfolgreich fortgeführt werden, wie bereits in Interimsanalysen der MA-17-Studie gezeigt wurde. Neueren Daten zufolge steigt der Nutzen mit zunehmender Behandlungsdauer an, vor allem bei Patientinnen mit Lymphknotenbefall. Statistisch profitiert jede dreizehnte mit Letrozol behandelte Frau von der Therapie.

In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass eine dosisdichte Therapie (die Chemotherapie wird alle zwei und nicht wie üblich alle drei Wochen durchgeführt) zu besseren Überlebensraten führt. Diese werden aber mit einer höheren Nebenwirkungsrate erkauft.

In Studien zum fortgeschrittenen Mammakarzinom wurden Exemestan (Aromasin®) und Tamoxifen miteinander verglichen, wobei Exemestan Vorteile im Hinblick auf die Ansprechrate und das progressionsfreie Intervall bot. Laut Possinger ist dies allerdings kein Durchbruch, und es bleibt abzuwarten, ob nicht Letrozol oder andere Aromatasehemmer besser wirken.

Eine weitere Untersuchung ergab, dass die wöchentliche Gabe von Paclitaxel (Taxol®) zu signifikant höheren Remissionsquoten führt als die dreiwöchentliche Gabe. Dieser Vorteil wird aber mit einer höheren Neurotoxizität erkauft. Eine Kombination aus Paclitaxel und Gemcitabin (Gemzar®) führt gleichfalls zu signifikant besseren Ergebnissen als die alleinige Gabe von Paclitaxel.
 

Neueste Ergebnisse zum Mammakarzinom

Neoadjuvante Therapie

  • Bei älteren rezeptorpositiven Patientinnen ist eine Hormontherapie gleich gut wirksam wie eine Chemotherapie.
  • HER-2-positive Patientinnen haben hohe Ansprechraten auf eine Kombination aus Chemotherapie (FEC) und Trastuzumab. 

Adjuvante Therapie

  • Letrozol verlängert die Überlebenszeit (MA-17-Studie).
  • Eine dosisdichte, sequenzielle Chemotherapie erhöht die Überlebenszeit und die Nebenwirkungen. 

Palliative Therapie

  • Exemestan first-line: Ansprechrate und progressionsfreies Intervall sind besser als unter Tamoxifen.
  • Paclitaxel wöchentlich zeigt höhere Remissionsraten als die dreiwöchentliche Gabe.
  • Paclitaxel plus Gemcitabin wirkt besser als Paclitaxel allein.

Ovarialkarzinom – immer noch wenig Hoffnung

Das Ovarialkarzinom hat nach wie vor keine gute Prognose. Der therapeutische Durchbruch steht noch aus, wenn auch in den letzten Jahren kleine Fortschritte bei bestimmten Chemotherapieregimen erzielt wurden, so Prof. Dr. Rolf Kreienberg, Ulm.

Statt des Standardregimes Paclitaxel/Carboplatin kann nun auch eine Kombination aus Gemcitabin (Gemzar®) und Carboplatin eingesetzt werden. Diese Kombination ist der Monotherapie mit Carboplatin überlegen und führt zu einer besseren Lebensqualität. Das Hinzufügen eines dritten Kombinationspartners brachte hingegen keine signifikanten Vorteile, sodass eine platinhaltige Zweierkombination der Standard bleibt.

Weitere Zweierkombinationen, unter anderem Carboplatin mit pegyliertem Doxorubicin (Caelyx®) beim Spätrezidiv, werden zurzeit geprüft. Viel versprechend erscheinen Studien mit neuen Therapieansätzen wie zum Beispiel mit dem Antikörper ACA125. Ob bei einem Platin/Paclitaxel-refraktären Karzinom Therapien mit molekularbiologischem Ansatz einen Erfolg haben, bleibt abzuwarten.
 

Therapie des Ovarialkarzinoms

  • Die vollständige chirurgische Entfernung des Tumors ist Voraussetzung für den Erfolg der Chemotherapie.
  • Die zurzeit beste Chemotherapie ist eine platinhaltige Zweierkombination. 6 Monate) kann eine Reinduktionstherapie mit Platin/Paclitaxel versucht werden.

Bronchialkarzinom – Chemotherapie auch in frühen Stadien?

Das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (NSCLC; Non Small Cell Lung Cancer) wird in Abhängigkeit von seinem Stadium therapiert. In frühen Stadien erfolgt zuerst die chirurgische Operation, deren Qualität für die Prognose am wichtigsten ist, wie Prof. Dr. Peter Drings, Heidelberg, erläuterte. Der Nutzen einer adjuvanten platinbasierten Chemotherapie nach chirurgischer Entfernung eines NSCLC im frühen Stadium wurde bislang kontrovers diskutiert, konnte aber nun in zwei Vergleichsstudien belegt werden. Es sind allerdings noch weitere Studien und Metaanalysen notwendig, bevor die adjuvante Chemotherapie standardmäßig empfohlen werden kann. Der Wert einer neoadjuvanten Chemotherapie muss ebenfalls noch abgeklärt werden.

In fortgeschrittenen Stadien stehen Radio- und Chemotherapie – allein oder kombiniert – an erster Stelle. Eine platinbasierte Chemotherapie im Stadium II verbessert die 5-Jahres-Überlebensrate um 4,1%. Die Prognosen in späteren Stadien sind schlecht und können wahrscheinlich mit konventionellen Zytostatika nicht wesentlich verbessert werden. Die Hoffnungen richten sich auf neue Substanzen, z. B. das Antifolat Pemetrexed (Alimta®), das in Kombination mit Cisplatin bereits mit Erfolg beim Pleuramesotheliom eingesetzt wird, sowie den Wachstumsfaktorenhemmer Gefitinib (Iressa®).
 

Chemotherapie des NSCLC

  • Standard: Cisplatin und/oder Carboplatin, wobei sich Letzteres besser für die ambulante Therapie eignet. Bei älteren Patienten wird eine Monotherapie durchgeführt.
  • Der Zusatz eines dritten Zytostatikums bringt keine Verbesserung.
  • Platinfreie Kombinationen werden zurzeit untersucht
  • Im frühen Stadium ist eine Chemotherapie sehr effektiv, in späteren Stadien kann sie das Leben um 2 Monate verlängern.

Prostatakarzinom – höhere Überlebensraten

Das Prostatakarzinom ist einer der häufigsten Tumoren des Mannes. Wie Prof. Dr. Thomas Otto, Neuss, betonte, konnten in den vergangenen zehn Jahren dank besserer Therapien und Präventionsmaßnahmen deutliche Fortschritte erzielt werden, was sich unter anderem in einer Abnahme der Mortalitätsrate um 34% innerhalb der letzten Dekade niederschlägt (Zahlen für USA).

Die Therapie des Prostatakarzinoms richtet sich nach dem histologischen Befund und dem Tumorstadium. Bei Patienten mit hohem Risiko sind eine radikale Prostatektomie und eine Radiotherapie angezeigt; eine Hormontherapie oder Abwarten (watch and wait) sind keine gleichwertigen Alternativen. Hoffnungen werden auf selektivere Therapien gesetzt, wie die intra- und extrazelluläre Hemmung der Tyrosinkinase oder den Einsatz von Cetuximab (Erbitux®) und Bevacizumab (Avastin®).

Beim metastasierenden Prostatakarzinom erfolgt ein operativer (Kastration) oder medikamentöser Entzug der Androgene. Wenn es den Hormonentzug toleriert, kann es nicht geheilt werden. Die gängigen Chemotherapien wirken rein palliativ, bei mittleren Überlebenszeiten von zehn bis zwölf Monaten.

Im Vergleich zur konventionellen Therapie mit Zytostatika (Mitoxantron, Novantron®) konnte durch Docetaxel (Taxotere®) die mittlere Überlebenszeit um rund zwei Monate verlängert werden, wie zwei Studien zeigten. Dabei spielt das Applikationsintervall von Docetaxel keine Rolle für dessen Wirksamkeit: Zwischen einer dreiwöchentlichen (75 mg/m2) und einer wöchentlichen Gabe (30 mg/m2) gab es keinen signifikanten Unterschied. Die Relevanz dieser Ergebnisse ist noch nicht ganz klar: Einerseits widerspricht der Zuwachs von zwei Monaten Überlebenszeit der bisherigen Ansicht, dass ein hormonrefraktärer Prostatakrebs chemoresistent ist. Anderseits bezweifeln Skeptiker, ob tatsächlich alle Studienteilnehmer hormonrefraktär waren.
 

Radiochemotherapie

Unter einer Radiochemotherapie versteht man die simultane Anwendung einer zytostatischen Therapie und der Bestrahlung. Durch diese Kombination sollen additive oder synergistische Effekte erzielt werden, allerdings beschränkt sie sich auf einige wenige solide Tumoren. Das sind:

  • fortgeschrittene Analkarzinome
  • inoperable Kopf-Hals-Tumoren
  • Zervixkarzinome
  • Nicht-kleinzellige fortgeschrittene Bronchialkarzinome Ältere Patienten profitieren von einer Radiochemotherapie weniger als jüngere Patienten.

Nach Prof. Dr. Wolfgang Wagner, Osnabrück

Akute Leukämien – Prognose meistens gut

Akute Leukämien treten relativ selten auf (1,5% aller Krebstodesfälle), und ihre Ursache ist in der Mehrzahl der Fälle nicht zu identifizieren. Sie werden nach morphologischen, zytochemischen und immunzytologischen Kriterien in akute lymphatische (ALL) und akute myeloische Leukämien (AML) eingeteilt. PD Dr. Donald Bunjes, Ulm, ging vor allem auf die AML ein, die im Erwachsenenalter häufiger vorkommt als die ALL und durch Blasten in Knochenmark und Blut charakterisiert ist.

Die Therapiedauer liegt bei rund 6 Monaten, die Erhaltungstherapie dauert weitere 2 Jahre. Bei 70 bis 80% aller Erwachsenen kann eine komplette Remission erzielt werden. Insgesamt können rund 25% aller Erwachsenen geheilt werden, wobei die Prognose für unter 60-Jährige besser ist als für über 60-Jährige. Die Therapie richtet sich nach der Zytogenetik und individuellen Risikofaktoren. In Frage kommen eine intensive Chemotherapie (mit Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie), die Stammzelltransplantation und eine Rezidivtherapie. Neue Therapieansätze sind

  • Kombination von Chemotherapie und selektiver Therapie
  • Modulation der Signaltransduktion (Farnesyltransferase-Inhibitoren)
  • Angiogenese-Inhibitoren (Thalidomid)
  • Modulation der Zytostatikaresistenz
  • Proteasom-Inhibitoren (Bortezomib; Velcade®)
  • Demethylierende Substanzen (z. B. Decitabin)
  • Substanzen mit unklarem Wirkmechanismus (z. B. Arsentrioxid; Trisenox®)
  • Histondeacetylase-Inhibitoren (z. B. Valproinsäure, Phenylbutyrat, Depsipeptide)
     

Magen- und Ösophaguskarzinom

  • Ob ein operativ entferntes Magenkarzinom chemotherapeutisch nachbehandelt werden muss, wird kontrovers diskutiert.
  • Das metastasierende Magenkarzinom weist eine extrem schlechte Prognose auf; unbehandelt beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit 3 bis 5 Monate, eine Chemotherapie verlängert sie um rund 6 Monate.
  • Eine Kombination von Epirubicin, 5-Fluorouracil und Cisplatin als Dauerinfusion gilt zurzeit als Goldstandard.
  • Statt 5-FU kann Capecitabin (Xeloda®), statt Cisplatin möglicherweise Oxaliplatin (Eloxatin®) und statt Epirubicin möglicherweise Docetaxel (Taxotere®) gegeben werden.
  • Eine Second-line-Behandlung des metastasierenden Magenkarzinoms steht nicht zur Verfügung.
  • Kleinere Ösophaguskarzinome werden operativ entfernt, größere mit einer Radiochemotherapie behandelt, die bei gutem Erfolg eine nachfolgende Operation erübrigt.
  • Eine zufrieden stellende palliative Therapie des Ösophaguskarzinoms gibt es nicht.

Nach einem Vortrag von Dr. Peter Reichardt, Berlin

Arzneimittelinteraktionen

In der Onkologie werden rund 75 Substanzen eingesetzt, von denen jede mit anderen Stoffen interagieren kann. Wie PD Dr. Ulrich Schuler, Dresden, erläuterte ist die systematische Erforschung dieser Interaktionen schwierig, da Studien am Menschen aus ethischen Gründen nicht vertretbar sind. Eine auf den ersten Blick verlockende Alternative, nämlich eine Genotypisierung der relevanten Gene, ist ein zweischneidiges Schwert, da auch brisante Daten erfasst werden können, die die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen betreffen. Doch würde die Erfassung bestimmter genetischer Polymorphismen (SNPs) eine gezieltere Wahl der Therapie ermöglichen.

„Was ein Tumorpatient nicht braucht, sollte er nicht bekommen.“ 
PD Ulrich Schuler über das Risiko von Interaktionen

Klinisch relevante Interaktionen treten beispielsweise bei Komedikation des Vincaalkaloids Vincristin auf. Nimmt ein Patient zugleich Carbamazepin oder Phenytoin ein, so schwächen diese CYP3A4-Induktoren die Wirkung und die Wirksamkeit des Vincaalkaloids deutlich ab, während umgekehrt CYP3A4-Inhibitoren wie Itraconazol die Wirkung mitsamt den Nebenwirkungen (Neurotoxizität) erhöhen. Relevante Interaktionen können auch durch Lebensmittel oder Präparate der Selbstmedikation auftreten: So führt Johanniskraut zu einer Induktion von CYP3A4 und einem Wirkverlust, wohingegen Grapefruitsaft zu einer Inhibition dieses Enzyms mit nachfolgender Wirkungsverstärkung führen kann.
 

Arzneimittelinteraktionen und Pharmakogenetik

  • Das aktuelle Hauptinteresse gilt genetischen Polymorphismen (SNPs).
  • Selbst "harmlose" genetische Fragestellungen sind von ethischer Brisanz.
  • Auch neue Targeted Therapien müssen auf ihr Interaktionspotenzial hin untersucht werden.
Apotheker Jürgen Barth, Essen

Fragen aus der pharmazeutisch-onkologischen Praxis

Jürgen Barth aus der Apotheke des Universitätsklinikums Essen stellte einige Sonderfälle aus der pharmazeutisch-onkologischen Praxis vor.

  • Fall: Ein Patient erhielt hochdosiertes 5-Fuorouracil innerhalb von zwei Stunden statt der geforderten Dauerinfusion über 24 Stunden. Sind eine Hämodialyse und die prophylaktische Gabe von G-CSF (Wachstumsfaktor Filgrastim) sinnvoll? Welche zusätzlichen Maßnahmen müssen getroffen werden?
  • Antwort: 5-FU ist zwar hämodialysierbar, seine Plasmahalbwertzeit ist allerdings extrem kurz, sodass eine Hämodialyse keinen Erfolg hätte. Vor einem prophylaktischen Einsatz von G-CSF ist dringend abzuraten, denn wenn es tatsächlich zu einer Zytopenie kommt, werden die zur Proliferation getriggerten Zellen von den Spätwirkungen des 5-FU getroffen. Der Wachstumsfaktor wird also nicht prophylaktisch, sondern erst bei Bedarf gegeben. Dasselbe gilt für eine Uridinsalbe, die erst beim Auftreten der Stomatitis/Mukositis und nicht vorher aufgetragen wird.
  • Fall: Eine dialysepflichtige Patientin soll Vincristin und Doxorubicin (VAD-Schema) erhalten. Sind die Substanzen dialysierbar und wie ist ihre Nephrotoxizität zu beurteilen?
  • Antwort: Beide Substanzen werden hepatisch verstoffwechselt und eliminiert. Angaben, in welchem Ausmaß die Stoffe durch eine Dialyse eliminiert werden, gibt es nicht. Eine Dosisreduktion bei Nierenfunktionseinschränkung ist nicht notwendig. Empfehlung: Doxorubicin und Vincristin können in der vollen Dosis gegeben werden.
Prof. Dr. Günther Wiedemann, Ravensburg

Bessere Chancen durch Wachstumsfaktoren

Die onkologischen Patienten über 60 Jahren sind häufig multimorbide und haben reduzierte Organreserven. Dies muss bei der Behandlung berücksichtigt werden. Ohne supportive Maßnahmen wie die Gabe von Wachstumsfaktoren ist eine effektive Therapie meist nicht möglich, so Prof. Dr. Günther Wiedemann, Ravensburg.

Der wichtigste Wachstumsfaktor ist Filgrastim (Neupogen® oder in seiner pegylierten Form Neulasta®), der die Neubildung von Granulozyten beschleunigt. Erhalten ältere Lymphompatienten eine klassische Chemotherapiebehandlung (CHOP; Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison) ohne Filgrastim, ist das Risiko für febrile Neutropenien und Infektionen so hoch, dass eine Gabe der Gesamtdosis im geforderten Dosisintervall nicht möglich ist. Erhält der Patient aber bereits prophylaktisch Filgrastim oder Pegfilgrastim, kann die notwendige Chemotherapie durchgeführt werden.

„Filgrastim ist für ältere Patienten lebensnotwendig, Epoetin hingegen ist teuer und sein Nutzen noch nicht erwiesen.“ Prof. Dr. Günther Wiedemann, Ravensburg

Weniger sinnvoll erscheint der Einsatz von Epoetin (Erypo®; NeoRecormon®). Die Gabe dieses die Erythropoese steigernden Wachstumsfaktors erhöht zwar zuverlässig den Hämoglobinspiegel, daraus kann aber nicht automatisch ein Nutzen für den Erfolg einer Chemotherapie abgeleitet werden. Die durch die Erhöhung des Hämoglobinwertes verbesserte Lebensqualität kann genau so gut durch Transfusionen erzielt werden.

Apotheker Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen

Supportivmaßnahmen bei Krebspatienten

Krebspatienten leiden in ihrer letzten Lebensphase besonders häufig an Schmerzen, körperlicher Schwäche, Schlafstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Inappetenz bis hin zur Kachexie und Dyspnö. Einige dieser Symptome können recht gut behandelt werden, wie Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen, darlegte.

Bei einer unzureichenden Schmerzlinderung sollte rechtzeitig eine Opioidrotation erfolgen, wobei pharmakogenetische Besonderheiten (zum Beispiel bei Codein und Oxycodon) berücksichtigt werden müssen und Unterdosierungen oder falsche Einnahmeintervalle zu vermeiden sind. Besondere Schmerzsituationen erfordern den Einsatz von Co-Analgetika. Bei einem neuropathischen Schmerz vermindert Pregabalin (Lyrica®) die Übererregbarkeit an den Synapsen und kann so zur Schmerzlinderung beitragen. Bei muskuloskelettalen Schmerzen kann die zusätzliche Gabe von Flupirtin (Katadolon®) hilfreich sein, bei Knochenschmerzen werden Bisphosphonate eingesetzt.

Die Tumorkachexie kann noch nicht zufriedenstellend therapiert werden. Eingesetzt werden unter anderem Dexamethason und Megestrolacetat (Megestat®), deren Wirkung allerdings nur begrenzt ist. Ein neuer, zunehmend praktizierter Therapieansatz sind Omega-3-Fettsäuren.
 

Cannabinoide als Arzneimittel

  • Es gibt noch keine zuverlässigen Daten zur Therapie chronischer Schmerzen mit THC (Dronabinol, Marinol®) und Analogen.
  • In Großbritannien, Irland und Kanada ist das THC-Analogon Nabilon (Cesamet®) als Antiemetikum zugelassen.
  • In Kürze soll ein Nasenspray mit THC und Nabidiolex (Sativex®, Fa. Bayer) auf den Markt kommen, mit der Indikation Schmerztherapie bei MS-Kranken.

Cannabis als best supportive care?

Die Bedeutung von Cannabis in der palliativen Phase einer Krebserkrankung ist umstritten. Bekannt und nachgewiesen sind antiemetische, appetitsteigernde und muskelrelaxierende Eigenschaften von Cannabis bzw. seinem Hauptwirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol, Marinol®). Die analgetische Wirkung ist begrenzt; in Studien waren 20 mg THC und 120 mg Codein miteinander vergleichbar. Verlässliche Daten zur Linderung chronischer Schmerzen stehen allerdings noch aus. In Deutschland werden Cannabinoide kaum bei Krebspatienten eingesetzt. THC und THC-Analoga könnten eher eine Rolle bei der Schmerztherapie von MS-Kranken spielen.

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