DAZ-Interview

Stellen Sie sich dem Preiswettbewerb!

Interview mit Bundesministerin Ulla Schmidt

Die Fragen stellten Peter Ditzel und Susanne Imhoff-Haase | Mit den Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes ist Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt weitgehend zufrieden. In unserem Interview zog sie ein überwiegend positives Zwischenfazit. Sie ist der Auffassung, dass die Apotheken im GMG gut berücksichtigt wurden. Unzufrieden zeigt sie sich allerdings darüber, dass sich die Apotheker nicht dem Preiswettbewerb stellen und die Preise von OTC-Arzneimitteln deutlich senken. Dabei sieht Ulla Schmidt den besonderen Charakter des Arzneimittels und will auch an der Apothekenpflicht für die rezeptfreien Präparate festhalten, fordert aber eine gute Beratung der Patienten. Von Fremdbesitz hält sie nichts, einen Grund, dass der Mehrbesitz auf drei Filialen beschränkt ist, sieht sie allerdings auch nicht. Sie erhofft sich von den Apothekern, dass sie endlich ihren Platz als Berater der Bürger und als soziale Drehscheibe einnehmen. DAZ-Chefredakteur Peter Ditzel und DAZ-Korrespondentin Susanne Imhoff-Hasse sprachen mit der Bundesgesundheitsministerin in deren Wahlkreisbüro in Aachen.
Die Gesundheitsministerin zeigte sich enttäuscht über den fehlenden Preiswettbewerb bei Arzneimitteln.

DAZ

Frau Ministerin, seit neun Monaten ist das GKV-Modernisierungsgesetz in Kraft. Die Krankenkassen verzeichnen Überschüsse, allein die Arzneimittelausgaben sind um minus 11,9 Prozent im ersten Halbjahr gesunken. Sind Sie mit dem Erreichten zufrieden?

Ulla Schmidt:

Damit bin ich zufrieden, die Reform wirkt. Die Einsparungen haben in erster Linie die Versicherten über höhere Zuzahlungen oder höhere Beiträge aufgebracht. Einsparungen kamen auch durch die neue Arzneimittelpreisverordnung, den höheren Herstellerrabatt oder die Tabaksteuer. Ausruhen dürfen wir uns allerdings nicht. Alle Akteure sind aufgefordert, mitzuwirken, dass die Einspareffekte dauerhaft erhalten bleiben.

DAZ

Aber die Kassenbeiträge sind nicht so gesunken, wie von Ihnen prognostiziert.

Ulla Schmidt:

Die Kassen waren höher verschuldet, als sie selbst noch Mitte letzten Jahres zugegeben haben. Aber sie haben jetzt Potenzial für Beitragssatzsenkungen. Den Abbau der sechs Milliarden Euro Schulden dürfen die Kassen per Gesetz über vier Jahre mit jeweils 1,5 Milliarden Euro strecken. Die weiteren Überschüsse müssten die Kassen durch niedrigere Beitragssätze an die Versicherten weitergeben. Darauf werde ich auch weiter drängen.

DAZ

Sind Sie mit den Entwicklungen im Apothekenbereich einverstanden? Wie sieht hier Ihr Fazit aus?

Ulla Schmidt:

Die Apotheker können mit dem GMG zufrieden sein. Allein durch die neue Arzneimittelpreisverordnung ist ein Stück Verlässlichkeit für sie gekommen. Sie machen Gebrauch von der Möglichkeit Filialapotheken oder Versandapotheken zu gründen, es werden Hausapothekenmodelle gestartet, Apotheker beteiligen sich an integrierten Versorgungsverträgen. Ich glaube, dass die Apotheken bei der Reform gut berücksichtigt wurden.

Viele haben begonnen, die Patienten noch mehr als bisher zu beraten. Was ich mir wünsche: Die Apotheker sollten mehr die Möglichkeit nutzen, die Preise bei den nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln anzupassen. Sie sollten hier in den Preiswettbewerb eintreten, damit sie auf Dauer konkurrenzfähig gegenüber Versandapotheken sind.

DAZ

Sie sind enttäuscht, dass es bisher keinen Preiswettbewerb bei den OTC-Präparaten gibt? Nach unseren Informationen fehlt den Apotheken der Spielraum für Preissenkungen.

Ulla Schmidt:

Ja, ich bin enttäuscht darüber, zumal wir diese Arzneimittel in die Eigenverantwortung der Versicherten gegeben haben. Bei den nicht-verschreibungspflichtigen Präparaten haben wir immer noch hohe Preise. Ich würde mir wünschen, dass die Apotheker die Patienten darüber informieren, dass es von einem Arzneimittel Präparate für vier, aber auch für 16 oder 20 Euro gibt. Die Offenlegung der Preisunterschiede würde einen Versicherten an seine Hausapotheke auf Dauer binden. Durch günstige Preise würde es dem Patienten erleichtert, die Präparate aus der eigenen Tasche zu zahlen. Bei der Industrie würde dies einen Preiswettbewerb auslösen.

DAZ

Wenn bei einem stärkeren Preiswettbewerb die Preise der OTC-Präparate nach unten gehen, besteht dann nicht die Gefahr, dass Arzneimittel verramscht und als Sonderangebote verkauft werden, was einen Mehr- und Fehlgebrauch fördern könnte?

Ulla Schmidt:

Ich glaube, dass die Menschen sehr vernünftig sind, was die Preise der Arzneimittel angeht. Wer nimmt schon mehr Schmerzmittel, nur weil sie billig sind? Warum müssen Arzneimittel so teuer sein? Wenn bei den rezeptfreien Mitteln die Preise nicht in Bewegung geraten, drängen Versandapotheken mit ihren Angeboten auf den Markt, was zu Verzerrungen führen würde. Die Apotheken sollten die Chance ergreifen, die sich aus den neuen Preismöglichkeiten für nicht-verschreibungspflichtige Medikamente ergeben. Sie haben die Freiheit, die Preise selbst zu gestalten. Die Acetylsalicylsäure muss in Aachen nicht genauso viel kosten wie anderswo.

DAZ

Bisher konnten Ärzte den gesetzlich Versicherten auch rezeptfreie Präparate verordnen. Mit dem GMG wurden die meisten OTC-Präparate aus der Kassenerstattung gestrichen, es sei denn, sie stehen auf der Ausnahmeliste des gemeinsamen Bundesausschusses. Die OTC-Medikamente sind aber nur wegen ihrer günstigen Wirkungs-Nebenwirkungsrelation nicht verschreibungspflichtig. War das der richtige Weg, den Ausschluss an diesem Kriterium fest zu machen?

Ulla Schmidt:

Selbstverständlich. Die nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel gehören klassisch in den Bereich der Selbstmedikation. Dies bedeutet auch, dass ich für diese Mittel keinen Arzt benötige. Für schwere Erkrankungen, bei denen diese Mittel zum Therapiestandard gehören, gibt es ja die Ausnahmeliste des Bundesauschusses. Der Bundesausschuss ist aufgefordert, die Liste ständig anzupassen. Ärzte sollten aber stärker auf die Strukturkomponente achten. Dort, wo es Generika gibt, sollten Mediziner das kostengünstigste verschreiben. Wir haben darüber hinaus die Aut-idem-Regelung vereinfacht. Wir sind den Apotheken in vielen Punkten entgegengekommen.

DAZ

Machen Sie sich für eine Erweiterung der Ausnahmeliste stark?

Ulla Schmidt:

Die gesetzliche Grundlage hat sich bewährt. Aber es ist eine offene Liste. Wir sammeln im Ministerium Anregungen, bei welchen Wirkstoffen womöglich Handlungsbedarf ist und geben das an den Ausschuss weiter. Dasselbe können Apotheker tun. Ich werde aber niemanden drängen, die Liste unbegrenzt zu erweitern. Mit der Arbeit des gemeinsamen Bundesausschusses bin ich im Übrigen sehr zufrieden, er hat in diesem Jahr bereits viel mehr geleistet als der alte Ausschuss in den Jahren zuvor. Auch die Patientenbeteiligung hier ist ein Gewinn.

Wenn wir wollen, dass auch in Zukunft schwere Erkrankungen behandelt werden können und jeder Zugang zu innovativen Arzneimitteln erhält, dann müssen wir von jedem Patienten fordern, dass er bei Bagatellerkrankungen für sich selbst sorgt und die Medikamente selbst kauft, die ihm gut tun.

DAZ

Werfen wir einen Blick nach Norwegen: Dieses Land hat 2001 die Preise für OTC-Arzneimittel freigegeben, 2003 wurden dort die OTC-Arzneimittel aus der Apothekenpflicht entlassen. Die Bürger können OTC-Präparate nun an Tankstellen oder in Supermärkten kaufen. Wünschen Sie sich diese Möglichkeiten für Deutschland?

Ulla Schmidt:

Wir haben das nicht vor. Ich hätte OTC-Arzneimittel nach wie vor gerne in der Apotheke. Deshalb kommt auf die Apotheker eine große Verantwortung zu. Wenn die Preise hier so hoch bleiben oder es nicht zu einer individuellen Beratung zu preisgünstigen Produkten kommt, dann können wir nicht vorhersagen, ob es nicht irgendwann Mehrheiten dafür gibt, zum Beispiel bei Schlecker und Co. sollte es das auch geben. Ich möchte das nicht. Wegen der Beratung haben wir diese Präparate deshalb in der Apothekenpflicht belassen. Und wenn die Beratung gut ist, werden alle dieses gute System loben.

Ein Bedarf, es zu reformieren, besteht dann nicht. Wir setzen auf die Kompetenz der Apotheker. Wenn diese nur noch Arzneimittel auf Rezept abgeben müssten, womöglich ohne Prüfung auf Wechselwirkungen, dann würde der Berufsstand auf Dauer doch seine Berechtigung verlieren. Die Beratung ist gerade im Bereich der Selbstmedikation, wo es die Wahlfreiheit für den Patienten gibt, wichtig.

DAZ

Sind Arzneimittel für Sie Waren der besonderen Art?

Ulla Schmidt:

Ja, es sind keine Lebensmittel. Ich halte schon viel davon, dass die Versicherten die rezeptfreien Arzneimittel nicht so ansehen, als würden sie ein Stück Obst essen.

DAZ

Die neue Arzneimittelpreisverordnung für verschreibungspflichtige Arzneimittel koppelt die Einnahmen des Apothekers weitgehend vom Arzneimittelpreis ab. Einerseits ist dies positiv zu sehen, dass der Apotheker dadurch unabhängiger vom Preis des Arzneimittels ist, andererseits weisen zahlreiche Apotheken dadurch Umsatzrückgänge auf. Gewollt?

Ulla Schmidt:

Nicht alle Apotheken haben dadurch weniger als früher, das gilt nur für diejenigen, die vorher überwiegend hoch preisige Arzneimittel abgegeben und gut daran verdient haben. Im Allgemeinen bemerke ich auf vielen Veranstaltungen, an denen Apotheker teilnehmen, dass es durchaus Zufriedenheit mit der neuen Verordnung gibt. Es ist auch noch nicht das große Apothekensterben eingetreten. Ich sehe in Städten nach wie vor Hinweisschilder auf Apothekeneröffnungen. Wichtig ist, dass die Apotheken nun außen vor sind, wenn es um Vertriebskosten geht. Denn es wird sicher weitere Diskussionen geben.

DAZ

Der Versandhandel mit Arzneimitteln war im Vorfeld des GMG ein großes Thema. Europa hatte eigentlich nur den Versand von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verlangt, die deutsche Regierung und der Gesetzgeber gingen hier weiter. Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden, wie Apotheken den Versandhandel angegangen sind?

Ulla Schmidt:

Wegen des besonderen Charakters der Arzneimittel haben wir in Deutschland sehr hohe Qualitätsanforderungen an die Versandapotheken gestellt. Wir haben nie in den Vordergrund gerückt, es gehe nur um Billigpreise. Es geht vielmehr um eine gute Arzneiversorgung, allerdings zu bezahlbaren Preisen. Der eine Apotheker setzt auf seine Präsenzapotheke, der andere auf die Versandapotheke. Ich bin damit zufrieden, wie es zurzeit läuft. Nach acht Monaten darf man allerdings nicht erwarten, dass alles schon perfekt ist, es war für alle Neuland. Die Versandeinrichtungen, die ich bisher besucht habe, werden von Apothekern betrieben und bieten ein sehr faires Angebot.

DAZ

Sehen Sie die negativen Auswüchse beim Versandhandel? In Nordrhein-Westfalen haben dm-Drogeriemärkte eine Kooperation mit der niederländischen Europa-Apotheek in Venlo versucht. Es ist offenbar mühsam, das zu stoppen, obwohl eine solche Initiative als illegale Rezeptsammelstelle gilt.

Ulla Schmidt:

Die Vorschriften hierzu sind eindeutig. Für deren Umsetzung sind die Länderaufsichtsbehörden zuständig, und die sind hier gefordert. Ich kann niemandem verwehren, vor Gericht zu klagen. Wir bewerten das Gerichtsurteil, wenn es vorliegt. Entweder kommen Gerichte zu dem Schluss, die Regelungen zum Versandhandel sind eindeutig oder sie konstatieren eine rechtliche Lücke. Davon gehen wir aber nicht aus. Wir erwarten hier keine anders lautenden Entscheidungen.

DAZ

In der Praxis sieht man gleichwohl Versuche ausländischer Versender, auf den Markt zu drängen. In Sachsen-Anhalt baut ein Schweizer Unternehmen über eine Tochterfirma ein großes Logistikzentrum, integriert ist eine kleine Apotheke im Haus. Hier wurde der Verdacht laut, das Fremdbesitzverbot solle umgangen werden.

Ulla Schmidt:

Wir müssen die Entwicklungen beobachten. Aber weder im Bundestag noch im Bundesrat gibt es eine Mehrheit für die Aufhebung des Fremdbesitzverbots. Die gab es schon bei den Beratungen zum GMG nicht. Ich halte in einer immer älter werdenden Gesellschaft die wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln durch Apotheker für etwas ganz Wichtiges. Sie werden auch in Zukunft nur einen beschränkten Kreis von Bürgern haben, die bei einer Versandapotheke kaufen.

DAZ

Wie stehen Sie zur Äußerung des Bundeskanzlers in der Haushaltsdebatte, wo er den beschränkten Mehrbesitz ablehnt?

Ulla Schmidt:

Wir haben zum Mehrbesitz klare Regelungen im GMG getroffen. Es gibt keinen Grund, den Besitz auf eine Apotheke zu begrenzen, allerdings auch keinen, ihn auf drei Filialen zu beschränken. Wir wollten im Vorfeld des GMG den Mehrbesitz für mehr Wettbewerb ganz aufheben, dazu stehe ich auch. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren dann der Begrenzung zugestimmt, weil sich die Möglichkeit zur Filialisierung in der Praxis beweisen soll. Außerdem wollten wir gerade nicht, dass nur die finanzstarken Großen den ganzen Markt bekommen. Ketten hätten Auswirkungen auf die mittelständische Struktur, die Apotheker sind auch Arbeitgeber.

DAZ

Im Rahmen der integrierten Versorgung sieht das GMG eigenständige Vergütungsregelungen vor, aber keine abweichenden Arzneipreise. Die Sache läuft etwas zäh an.

Ulla Schmidt:

Im Moment arbeiten alle nach dem Motto "Qualität geht vor Quantität". Das begrüße ich. Ich bin sicher, bei den künftigen Versorgungsnetzen sind die Apotheker dabei. Obwohl sich die Apothekerschaft beim Gesetzgebungsverfahren bei der Neuregelung des Mehrbesitzes als kooperativ ausgezeichnet hatte, gab es andererseits bei der integrierten Versorgung Beharrungstendenzen. Die ABDA hat abweichende Arzneipreise für die öffentlichen Apotheken verhindert.

Die öffentliche Apotheke steht aber hier im Wettbewerb mit der Krankenhausapotheke und die darf Rabatte geben und ist so im Vorteil, genauso wie ausländische Versandapotheken. Wir wollten bei der integrierten Versorgung gleiche Bedingungen für die Präsenz-, Klinik- und Versandapotheke. Hier muss nun die Funktionärslobby erkennen, dass sie sich ins eigene Knie geschossen hat. Ich habe die ABDA darauf hingewiesen, dass das den Wettbewerb für die öffentliche Apotheke einschränkt. Aber die Funktionäre der Apotheker haben das so gewollt.

DAZ

Ist es nicht von vorn herein ein ungleicher Wettbewerb, da die öffentlichen Apotheken an andere Bestimmungen als Klinikapotheken gebunden sind und zum Beispiel Gewerbesteuer zahlen?

Ulla Schmidt:

Wir wollten den Präsenzapotheken die Freiheit geben, ein Angebot zu denselben Konditionen wie die Krankenhausapotheke abzugeben. Es würde ja niemand dazu gezwungen. Ich wünsche mir, dass die Apotheken in die integrierte Versorgung einbezogen würden.

DAZ

Sehen Sie, dass manche Apotheken schwer mit den Auswirkungen des GMG kämpfen, einige kurz vor der Schließung stehen?

Ulla Schmidt:

Bei denen war vermutlich schon vorher die wirtschaftliche Entwicklung schwierig. Es kann niemand sagen, ob jede Apotheke ihr Auskommen haben wird, aber der Grund für solche Entwicklungen liegt nicht im Gesetz. Es gab keine Alternative zum GMG, sonsten hätten wir einen Mehrbedarf für die Krankenversicherung von sechs bis acht Milliarden Euro gehabt mit höheren Beitragssätzen als Folge. Auch im letzten Jahr hat es Befürchtungen der Apotheker gegeben, aber dann gab es doch wieder Zuwächse.

DAZ

Aber nur aufgrund von massiven Rationalisierungen in den Apotheken und Personalentlassungen.

Ulla Schmidt:

Wir werden die Entwicklung beobachten.

DAZ

Eine Frage zum elektronischen Rezept, das 2006 kommen soll. Wird der Zeitplan eingehalten?

Ulla Schmidt:

Ich gehe davon aus, dass er eingehalten wird. Ich erwarte von Apothekern, Ärzten und Krankenkassen, dass sie sich bis Anfang Oktober einigen. Es wird bei der elektronischen Gesundheitskarte beides geben: Die Datenspeicherung auf einem Server, aber auch auf der Karte. Es geht nicht an, dass die Beteiligten immer nach Freiheit rufen, bei solchen Entscheidungen aber nach dem Staat. Hier geht es um Privilegien...

DAZ

... und Macht. Und wer die Daten hat, sprich, wo der Server steht, der hat die Macht.

Ulla Schmidt:

Das sind nur vorgeschobene Gründe. Denn es handelt sich doch um pseudonymisierte Daten. Wir haben alles mit dem Datenschutzbeauftragten abgestimmt. Allein durch das elektronische Rezept werden wir riesige Einsparungen bekommen. Die müssen wir realisieren, ansonsten können wir den Mehrbedarf in der Krankenversicherung an anderen Stellen nicht finanzieren.

DAZ

Wie wünschen Sie sich persönlich die Apotheke der Zukunft?

Ulla Schmidt:

Als Kundin erwarte ich vor allem Beratung und dass ich auf meine Arzneimittel angesprochen werde. Die Apothekenmitarbeiter sollten sich Zeit dafür nehmen und bei selbst gekauften Arzneimitteln auch preisgünstige Angebote unterbreiten. Apotheker sollten die gesamte Therapievielfalt bei den Arzneimitteln, zum Beispiel auch homöopathische Präparate, anbieten. Nur relativ wenige Apotheken halten zurzeit homöopathische Arzneimittel vorrätig, zu viele haben sich auf die Schulmedizin beschränkt. Auch Blutdruckmessen und andere Dinge kann der Apotheker vornehmen, dafür benötige ich keinen Arzt.

DAZ

Wie könnte die Honorierung neuer Dienstleistungen in der Apotheke aussehen?

Ulla Schmidt:

Das können die Apotheker individuell entscheiden, bei Stammkunden zählt das vielleicht als Service, andere Kunden müssen das bezahlen. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass die Krankenversicherung alles zahlt.

DAZ

Einige sehen Deutschland durch die Neuerungen wie Filialisierung, Preisfreigabe bei OTC-Arzneimitteln und Versandapotheken auf dem Weg in Richtung USA. Dort gibt es bekanntlich Kettenapotheken und Drugstore-Apotheken. Ist das für Sie eine denkbare Entwicklung für Deutschlands Apotheken?

Ulla Schmidt:

Nein. Wir brauchen keine Ketten. Wir sollten in Deutschland die Chancen ergreifen, die uns das GMG bietet. Je besser die vorhandenen Möglichkeiten genutzt werden, umso weniger wird es zu Diskussionen um Veränderungen kommen.

DAZ

Schätzen Sie die Apotheke als soziale Drehscheibe und als Ratgeber der Bürger in Gesundheitsfragen?

Ulla Schmidt:

Natürlich. Genau wegen dieser Aufgabe wollen wir Apotheken. Ich kann an die Apotheker nur appellieren: Besetzt diesen Platz! Dann habt Ihr Eure Position im Gesundheitswesen, die Euch niemand streitig machen wird. Wenn ich als Kundin feststelle, dass ich in meiner Apotheke gut beraten werde, dann gehe ich dort immer wieder hin und mache mir nicht die Mühe über das Internet. So geht es vielen Menschen.

DAZ

Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch!

Kurz-Vita

Ulla Schmidt wurde am 13. Juni 1949 in Aachen geboren. Nach dem Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen war sie von 1976 bis 1985 Lehrerin an der Schule für Lernbehinderte in Stolberg, erwarb parallel 1984 den Hochschulabschluss an der Fernuniversität Hagen für das Lehramt zur Rehabilitation lernbehinderter und erziehungsschwieriger Schüler. Zwischen 1985 bis 1990 war sie als Lehrerin an der Schule für Erziehungshilfe im Kreis Aachen tätig. Ulla Schmidt ist geschieden und hat eine Tochter. 
Seit 1983 ist sie Mitglied der SPD, seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie war unter anderem im geschäftsführenden Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, Frauen, Familie und Senioren sowie jeweils stellvertretendes Mitglied im Familien- und Arbeits-Ausschuss. Nach Mitarbeit an der Rentenreform löste sie im Januar 2001 die grüne Ministerin Andrea Fischer an der Spitze des Gesundheitsministeriums ab. Seit 22. Oktober 2002 steht sie dem anschließend zum „Superministerium“ erweiterten Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung vor.

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