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ABDA zum OTC-Ausschluss: Rezeptfreies zur Prophylaxe völlig außen vor

BONN (im). Der per Gesetz vorgesehene generelle Hinauswurf rezeptfreier Arzneimittel aus der Kassenerstattung stößt bei Experten in der Apothekerschaft und bei der pharmazeutischen Industrie auf viel Kritik. So werden Arzneimittel zur Prophylaxe grundsätzlich nicht berücksichtigt, bemängelt Dr. Christiane Eckert-Lill von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, ABDA. Aus Sicht der Industrie wird durch den Ausschluss von OTC die beschwerdeadäquate Therapie behindert, darüber hinaus drohen therapeutische Lücken. Vor allem die rezeptfreien Phytopharmaka treffe die Regelung, warnt der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller.

In diesen Tagen sind die Fachleute der Verbände gefordert, ihre Stellungnahme beim zuständigen Bundesausschuss einzureichen. Das Gremium legt die Liste der Ausnahmen fest, bei denen nicht-verschreibungspflichtige Medikamente auch nach dem 31. März – nach der Übergangsfrist – auf Kassenrezept verordnet werden dürfen; ein Entwurf hierfür wurde bereits konzipiert.

OTC-Ausschluss ist falsch

Im Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung erinnerte Dr. Christiane Eckert-Lill an die Ablehnung der OTC-Ausgrenzung durch die ABDA schon im Vorfeld des Gesetzes. Die Geschäftsführerin für Pharmazie beim Apothekendachverband nannte den Ausschluss gesundheitspolitisch und wirtschaftlich völlig verfehlt. Diese Haltung habe man in der Stellungnahme gegenüber dem Bundesausschuss bekräftigt, sagte sie. Nach Angaben von Eckert-Lill hat die ABDA gleichwohl bei einigen Arzneistoffen oder Indikationen inhaltliche Änderungen vorgeschlagen.

Problem: Antihistaminika

So trete die ABDA beispielsweise für eine Gleichbehandlung aller Antihistaminika ein, die Entwurfsfassung sei hier paradox. Der Wirkstoff Cetirizin (rezeptfrei) dürfe demnach bei der Indikation saisonale allergische Rhinokonjunktivitis nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verordnet werden, die verschreibungspflichtigen Arzneimittel jedoch seien bei dieser Indikation verordnungsfähig.

Dass bei derselben Indikation zwei Arzneistoffe je nach Rezeptstatus unterschiedlich behandelt würden, sei widersprüchlich. Ähnlich sei es etwa bei dem Mukolytikum Acetylcystein (ACC), das konzentrationsabhängig rezeptpflichtig oder -frei sei. Eckert-Lill äußerte sich in diesem Zusammenhang zwar nicht zu Reaktionen der Ärzte.

Sollten Mediziner jedoch möglicherweise auf ein stärker dosiertes verschreibungspflichtiges ACC-haltiges Medikament ausweichen, obwohl von der Dosierung her das niedrig dosierte ausreiche, sei ein solches Vorgehen nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich – wegen der durchschnittlich höheren Preise rezeptpflichtiger Präparate – verfehlt. Kritisch merkte die ABDA zudem an, dass Arzneimittel zur Vorbeugung von Krankheiten grundsätzlich nicht berücksichtigt würden. Eckert-Lill nannte hier als Beispiel die Acetylsalicylsäure zur Primärprophylaxe des Herzinfarkts.

Problem: Komedikation

Darüber hinaus habe die ABDA in ihrer Stellungnahme zum Beispiel die Aufnahme rezeptfreier Arzneistoffe in die Liste in den Fällen gefordert, bei denen verschreibungspflichtige Alternativen fehlten.

So sei etwa bei der Therapie mit Opiaten gegen die Lähmung der Darmmuskulatur als Komedikation die Gabe von Laxanzien notwendig, welche jedoch nicht als rezeptpflichtige Präparate vorlägen. Werde der Entwurf des Ausschusses umgesetzt, wären die vorhandenen, nicht-verschreibungspflichtigen Laxanzien hier nicht verordnungsfähig, weil sie nicht in der Liste auftauchten, warnte die Geschäftsführerin.

Industrie: Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen

Von Seiten der pharmazeutischen Industrie wird vor einem drohenden "Schießen mit Kanonen auf Spatzen" gewarnt. Es bestehe die Gefahr, dass Ärzte bei leichten Erkrankungen stärkere Krankheitsbilder diagnostizierten, um erstattungsfähige, also verschreibungspflichtige, Medikamente zu verordnen, welche definitionsgemäß größere Nebenwirkungen als rezeptfreie Präparate hätten. Es drohe "Übertherapierung" anstelle einer beschwerdeadäquaten Arzneimitteltherapie, gab beispielsweise der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in seiner Stellungnahme zu bedenken.

Der in Bonn ansässige Verband warnt darüber hinaus vor therapeutischen Lücken dort, wo rezeptfreie Arzneimittel die Behandlung dominierten, was bei den topischen Antimykotika, Antihistaminika zur Behandlung von Allergien oder Analgetika zur Behandlung mittlerer Schmerzen ebenso der Fall sei wie bei Präparaten gegen bestimmte Hauterkrankungen oder gegen hepatitische Enzephalopathie.

Phytos fehlen

Der BAH kritisiert darüber hinaus, dass fast ohne Ausnahme pflanzliche Arzneimittel aus der GKV-Erstattung ausgegrenzt werden, da die Phytopharmaka nahezu alle rezeptfrei seien. So liste der Entwurf mit Hypericum lediglich ein Arzneimittel der Phytotherapie auf, Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen wie der Homöopathie seien gar nicht berücksichtigt.

An anderer Stelle seiner Stellungnahme bemängelt der Pharmaverband das Fehlen von Mistelpräparaten und fordert ihre Aufnahme bei der Behandlung von Krebs auf die Liste. Gerade die Verordnungsfähigkeit von Mistel in der Tumorbehandlung hätten führende Wissenschaftler der naturheilkundlichen Medizin noch Ende November 2003 auf einem internationalen Symposium unterstützt.

Gegen zu enge Definition

Der BAH fordert den Bundesausschuss zu einer nicht zu engen Definition der "schwerwiegenden Erkrankung" auf. In den Fällen sollen OTC auch weiterhin erstattungsfähig sein (siehe Kasten). Hier sollten die verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften angehört werden.

Grundsätzlich lehnt der BAH die Herausnahme der OTC aus dem GKV-Katalog ab. Die Rezeptpflicht könne kein Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln sein, letzteres sei eine rein kassenfinanzpolitische Entscheidung. Wirksame Arzneimittel würden bisher aus der Rezeptpflicht entlassen, wenn sie auch ohne ärztliche Kontrolle sicher für den Patienten seien. Es sei ein Systembruch, diese unterschiedlichen Bereiche zu verknüpfen.

Übergangsfrist für OTC läuft

  • Bis zum 31. März 2004 dürfen Ärzte OTC mit Begründung zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen verschreiben, wenn die Präparate Bestandteil einer Behandlung sind. Diese Übergangsfrist steht im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), das zu Jahresbeginn in Kraft trat. Grundsätzlich grenzt das GMG die rezeptfreien Arzneimittel aus der Kassenversorgung aus, Ausnahmen gelten für Kinder bis zwölf Jahre und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis 18 Jahre.
  • Ab April soll eine indikationsbezogene Liste für die Fälle gelten, in denen auch weiterhin nicht-verschreibungspflichtige Medikamente auf Kassenrezept verordnet werden dürfen, beispielsweise im Rahmen einer Krebsbehandlung. Die Kriterien sind: es muss eine schwerwiegende Erkrankung sein und die OTC-Präparate müssen zur Standardtherapie gehören. Die Liste legt der gemeinsame Bundesausschuss fest, der durch die Reform aufgewertet wurde und in dem seit Jahresbeginn neben Ärzten und Krankenkassen auch Patientenvertreter sitzen. Zurzeit liegt der Entwurf für die Ausnahme-Liste vor.

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