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Übergewicht bei Kindern: Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

BERLIN (ks). Gesicherte repräsentative Daten gibt es zwar nicht, doch es wird davon ausgegangen, dass in Deutschland bereits jedes fünfte Kind übergewichtig ist. Falsche Ernährung und zu wenig Bewegung gelten als Hauptursachen für diese Entwicklung – eine genetische Disposition mag es zwar auch geben, doch diese erklärt nicht den rapiden Anstieg des Übergewichts in den vergangenen Jahren. Da Übergewicht viele Erkrankungen begünstigt, hat sich auch der AOK-Bundesverband des Themas angenommen. "Schwerer Start ins Leben – Übergewicht bei Kindern" hieß eine AOK-Dialogveranstaltung am 20. September in Berlin.

"Gesundheitserziehung muss in Kindergärten und Schulen zum gelebten Standard werden", forderte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Hans Jürgen Ahrens. Er betonte, dass im Kampf gegen das Übergewicht nicht nur die Krankenkassen gefordert seien, sondern dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handle. Die Kultusministerkonferenz müsse Lehrpläne zu Ernährung und Gesundheit verabschieden und umsetzen, die Regierung Mittel für eine Grundlagen- und Versorgungsforschung in diesem Bereich zur Verfügung stellen.

Die AOK selbst setzt ebenfalls auf Angebote zur richtigen Ernährung und Bewegung. Etwa mit "PowerKids", einem Selbsttrainingsprogramm für zuhause. "Wenn wir nicht gegensteuern, droht Deutschland eine Gesundheitskatastrophe", warnte Ahrens.

Es ist nicht nur die kneifende Hose

Mehr und eine bessere Zusammenarbeit aller Beteiligten forderte bei der AOK-Veranstaltung auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. "Übergewicht bedeutet nicht nur, dass die Hose irgendwann nicht mehr passt", erklärte die Ministerin. Es erhöhe auch das Risiko, an Diabetes zu erkranken und begünstige Bluthochdruck, Schlaganfälle und Herzinfarkte. Schmidt: "Bereits in der Kindheit wird der Grundstein für die gesundheitliche Entwicklung oder auch Fehlentwicklung gelegt. Darum müssen wir Kinder und Jugendliche so früh wie möglich zu einem gesundheitsbewussten Verhalten bewegen".

Die Ministerin gibt viel auf das geplante Präventionsgesetz: Mit diesem werde gesundheitsbewusstes Verhalten einen neuen gesamtgesellschaftlichen Stellenwert erhalten. Schmidt sprach sich zudem dafür aus, gegen Werbemethoden der Lebensmittelindustrie vorzugehen, mit denen Süßigkeiten als gesund verkauft werden.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen ändern

Der Ulmer Kinder- und Jugendarzt Martin Wabitsch räumte ein, dass man noch nicht wisse, wie man dem Problem des relativ neuen Krankheitsbildes Adipositas im Kindesalter erfolgreich begegnen könne. Zu sagen "mehr bewegen und weniger essen" helfe in der Regel nicht. Man müsse die Kinder über die Eltern zu Verhaltensänderungen bringen. Darüber hinaus, so Wabitsch, müssten jedoch auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert werden. So sollten etwa an Schulkiosken nicht überwiegend Süßigkeiten und kalorienreiche Limonaden verkauft werden.

Auch die Psyche muss gestärkt werden

Klaus Hurrelmann von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld betonte, dass nicht nur ein genetischer Faktor sowie falsches Ernährungs- und Bewegungsverhalten Ursache für die Zunahme übergewichtiger Kinder sei. "Kinder müssen sich auch körperlich und psychisch stark fühlen", so Hurrelmann. Bei vielen bestehe ein Defizit an Entwicklungsimpulsen und Erfolgserlebnissen, die die Selbstständigkeit fördern.

Die bisherigen Präventionsansätze haben dem Wissenschaftler zufolge "den Nagel noch nicht auf den Kopf getroffen". Sie bezögen sich in erster Linie auf das Ernährungsverhalten. Sie müssten jedoch auch das Bewegungsverhalten sowie eine Förderung der psychischen Bewältigungskompetenz und sozialen Lebenskompetenz umschließen.

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