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Kohl-Pharma: Große Zukunftspläne aus dem Saarland

MERZIG (tmb). Eine kürzlich im saarländischen Merzig eingeweihte Verblisterungsanlage in bisher ungekannter Größenordnung soll den Apotheken das Stellen von Arzneimitteln erleichtern. Damit erhält die kontrovers geführte Debatte über die Vor- und Nachteile dieses Versorgungskonzeptes neue Nahrung. Zunächst findet im Saarland nur ein Pilotversuch statt, aber das Angebot zielt auf den breiten Apothekenmarkt. Zu den Zukunftsplänen fragte die DAZ bei dem investierenden Unternehmen nach.

Die Firma Assist-Pharma, eine Tochtergesellschaft des größten deutschen Arzneimittelimporteurs Kohl-Pharma, hatte die neue Verblisterungsanlage kürzlich in Betrieb genommen. Im Rahmen eines Pilotprojektes sollen mit den dort gestellten Arzneimitteln die Bewohner von drei Altenheimen versorgt werden. Die Arzneimittel werden über die sieben Apotheken ausgeliefert, die Versorgungsverträge mit diesen Heimen abgeschlossen haben. Die 50 Millionen Euro schwere Investition zielt jedoch langfristig auf ganz andere Dimensionen. Dies zeigt auch das Konzept der Einweihungsveranstaltung, bei der sogar der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) anwesend war.

Neues Honorierungskonzept nötig

Was Kohl-Pharma von diesem Projekt erwartet, erläuterte Jörg Geller als Sprecher des Unternehmens gegenüber der DAZ. So sollen die ökonomischen Auswirkungen der Verblisterung im Rahmen des Pilotprojektes durch den aus der Gesundheitspolitik bekannten Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Karl Lauterbach evaluiert werden. Es werden Einsparungen erwartet, weil bei Therapieänderungen allenfalls die Wochenblister, aber nicht ganze Packungen auf dem Müll landen. Es könnten auch Verordnungen über kleine Packungen aus Großpackungen beliefert und dementsprechend günstiger abgerechnet werden. Außerdem würden die für die Heimbewohner leicht verständlichen Blister die Compliance und die Einnahmesicherheit erhöhen und so die Folgekosten von Einnahmefehlern, insbesondere durch teure Krankenhausaufenthalte, vermindern.

Doch fallen diese Einsparungen bei den Krankenversicherungen, aber nicht bei den Apotheken an. Daher erwarte Kohl-Pharma auch keineswegs, dass die Apotheken die Verblisterung aus ihrem Abgabehonorar finanzieren würden. Stattdessen müsse aufgrund der Daten aus der Pilotphase gemeinsam mit den Krankenversicherungen eine andere Abrechnungsbasis als die derzeitige Arzneimittelpreisverordnung gefunden werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der individuell angefertigte Blister für den Patienten eine hochwertigere Leistung als das Fertigarzneimittel darstelle und dementsprechend honoriert werden sollte. Eine solche neue Honorierungsform müsse dann zusätzlich neben der Preisbildung für Fertigarzneimittel etabliert werden.

Nur die Masse zählt

Zur Größe der Verblisterungsanlage erläuterte Geller, dass das Konzept sich nur "über die Masse" rentieren könne. Die Anlage sei durch die Herstellung von 100 000 Blistern pro Tag sinnvoll ausgelastet. Da ein Blister den Arzneimittelbedarf für vier Einnahmezeitpunkte an jeweils sieben Tagen enthält, entspricht dies einer Versorgung von 700 000 Patienten. Im Laufe des Jahres 2006 soll nach den Plänen des saarländischen Unternehmens der reguläre Betrieb beginnen. Die Auslastung von täglich 100 000 Blistern soll am Ende des ersten Geschäftsjahres erreicht werden.

Im regulären Betrieb nach Ende des Pilotprojektes soll sich jede Apotheke beteiligen können, die über die erforderliche EDV-Ausstattung verfügt. Auch eine Zusammenarbeit mit Kooperationen sei möglich, doch sei an eine Exklusivvereinbarung nicht zu denken. Kohl-Pharma arbeitet bereits in ihrem Kerngeschäft mit Einzelapotheken und mit Kooperationen zusammen und will dies selbstverständlich weiter betreiben.

Mögliche Probleme und Chancen

Da die Verblisterungsanlage etwa 400 verschiedene Arzneimittel verarbeiten kann, müssten sich die in das Konzept eingebundenen Ärzte auf diese Präparate festlegen und könnten jeden Wirkstoff stets von nur einem Hersteller verordnen. Hierauf hätten Vertreter der Ärzteschaft zuletzt durchaus positiv reagiert. Denn so wüssten sie im Gegensatz zur freien Substitution, welches Arzneimittel abgegeben wird.

Pharmazeutisch-technologische Probleme durch Interaktionen zwischen den verschiedenen Arzneimitteln innerhalb eines Blisterfaches befürchtet Geller angesichts der umfangreichen Erfahrungen aus anderen Ländern nicht. Denn die Lagerungszeit betrage maximal zwei Wochen, weil die in einer Woche gestellten Blister zum Verbrauch in der nächsten Woche bestimmt seien. Außerdem würden problematische Arzneimittel, beispielsweise mit hygroskopischen Stoffen, ausgeschlossen. Die Vorteile bezüglich der Compliance würden sich wesentlich stärker auswirken als irgendwelche Stabilitätsprobleme.

Insgesamt wird dieses Versorgungskonzept nach Einschätzung von Geller die Apotheker in ihrer pharmazeutischen Aufgabe und in ihrer Kernkompetenz stärken, da sie die Patienten individuell beraten und betreuen könnten. Die Apotheken erhielten so die Chance, alle Rezepte der jeweils beteiligten Patienten zu erhalten. Allerdings verändere sich die Leistung der Apotheken. Seiner Ansicht nach biete das Konzept Chancen für engagierte Apotheker, die die "gefühlten Risiken" überwiegen würden.

Rechtliche Hindernisse

Eines dieser Risiken ist die rechtliche Bewertung des Projektes. Kritiker betrachten die Verblisterung als möglicherweise zulassungspflichtige Herstellung. Doch geht Thilo Bauroth, Justitiar der Kohl-Pharma, davon aus, dass die gestellten Arzneimittel rechtlich als Rezepturen einzustufen sind. Angesichts des großen Investitionsvolumens für die Verblisterungsanlage könne hier eine Parallele zur Herstellung von Zytostatika gezogen werden, bei der die Herstellung außerhalb der abrechnenden Apotheke ebenfalls akzeptiert wird.

Auch Lutz Tisch, Geschäftsführer der ABDA für Apotheken-, Arzneimittel- und Berufsrecht, interpretiert die Verblisterung als Rezeptur, sieht aber andere mögliche rechtliche Probleme. So würden die Apotheken nicht die eigentlich verordneten Packungen liefern, sondern stattdessen auseinzeln. Außerdem müssten die verordnenden Ärzte verfügen, wo die zu liefernden Arzneimittel verblistert werden, was möglicherweise als unzulässige Zuweisung interpretiert werden könne. So sei es teilweise fraglich, inwieweit das Konzept mit dem derzeit geltenden Recht vereinbar sei oder ob rechtliche Änderungen erforderlich wären.

Offene Fragen

Daher könnte der politische Wille zu etwaigen Rechtsänderungen eine große Bedeutung gewinnen. Diese Einschätzung steht nicht im Widerspruch zur Position der Kohl-Pharma, bei der auch von neuen vertraglichen Vereinbarungen mit den Krankenversicherungen und neuen Preisbildungsregeln gesprochen wird, die die angestrebte neue Honorierungsform auf der Grundlage von Wochenblistern überhaupt erst möglich machen würden. Denn die geltende Arzneimittelpreisverordnung sieht ein solches Konzept nicht vor. Eine solche Ergänzung der Preisbildungsregeln sollte aber nach Einschätzung von Jörg Geller ebenso möglich sein wie die grundlegende Änderung der Arzneimittelpreisverordnung zu Beginn dieses Jahres.

In diesem Systemwechsel sehen Kritiker jedoch das zentrale Problem des Konzeptes für die Apotheker. Das System der Arzneimittelversorgung und die Arzneimittelsicherheit beruhen in Deutschland wesentlich auf dem Konzept des Fertigarzneimittels. Das in anderen Ländern durchaus übliche Auseinzeln galt lange Zeit als Tabu. Die Verblisterung würde diese herausgehobene Stellung des Fertigarzneimittels beenden und damit vielfältige Fragen zur Arzneimittelsicherheit und zur Honorierung aufwerfen. Außerdem könnte es die Funktion der Apotheke in der Logistikkette verändern.

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