Recht

Nochmals: OTC auf Kassenrezept?

Ergänzende Hinweise

Von Gerhard Nitz | In DAZ Nr. 32 vom 5. August 2004 , S. 48, befasste ich mich mit der Frage, ob die durch das GMG eingeführten Leistungsbeschränkungen der gesetzlichen Krankenversicherung für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel und "Lifestyle-Medikamente" mit einer neuen Prüfpflicht der Apotheker hinsichtlich der Verordnungsfähigkeit dieser Präparate einhergehen. Ich verneinte diese Frage im Wesentlichen mit dem Argument, dass Prüfpflichten einer rechtlichen Grundlage bedürfen, die gegenwärtig weder im Gesetz noch in den Arzneilieferungsverträgen mit den Krankenkassen besteht. Der Beitrag verursachte ungewöhnlich zahlreiche Reaktionen, insbesondere weil offensichtlich viele Apotheker auch nach Rücksprache mit den Apothekerverbänden davon ausgingen, dass sie erweiterte Prüfpflichten haben.

Jedenfalls bei OTC-Präparaten, die weder in der Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesausschusses enthalten sind noch bei minderjährigen Patienten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden, bestünde eine Prüfpflicht. Lösten Apotheker solche Rezepte ein, drohten Retaxationen seitens der Kassen. Auch nach zahlreichen Telefonaten mit Mitarbeitern verschiedener Apothekerverbände und erneuter Überprüfung halte ich meine Ausführungen nach wie vor für richtig.

Im Sachleistungssystem der Gesetzlichen Krankenversicherung konkretisiert der Vertragsarzt durch eine Arzneimittelverordnung auf Kassenrezept die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenkasse als Vertreter der Krankenkasse für diese bindend. Die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit dieser Konkretisierung der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenkassen trägt der Vertragsarzt, der hierfür gegenüber den Krankenkassen mit seinem Vermögen haftet.

Eine rechtswidrige Verordnung auf Kassenrezept muss die Gesetzliche Krankenkasse einlösen, kann sich die hierfür aufgewendeten Kosten jedoch im Wege des Regresses von dem Vertragsarzt wieder holen. Demgegenüber trägt der Apotheker für die Rechtmäßigkeit der Verordnung des Vertragsarztes im Normalfall keine Verantwortung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn vom Apotheker zu beachtende rechtliche Vorschriften dem Apotheker eine Prüfpflicht auferlegen. Dies ist in den Arzneilieferungsverträgen hinsichtlich der auf der Negativliste aufgeführten Arzneimittel geschehen.

Eine weiterreichende Prüfpflicht ist jedoch, soweit für mich ersichtlich, in keinem Arzneilieferungsvertrag normiert. Dies bedeutet freilich nicht, dass Apothekerverbände und Krankenkassen eine solche Prüfpflicht nicht für die Zukunft in den Arzneilieferungsverträgen normieren könnten. Die Apotheker müssen daher die Entwicklung dieser Verträge genau verfolgen. Die Begründung einer solchen Prüfpflicht ist dabei nicht im Wege einer formlosen mündlichen Absprache zwischen Verbandsvertretern und Krankenkassen möglich, vielmehr bedarf es einer schriftlichen vertraglichen Regelung (§ 56 SGB X), die ordnungsgemäß zu publizieren ist.

Arzneilieferungsverträge enthalten keine Prüfpflicht

Solange die Prüfpflichten in den Arzneilieferungsverträgen nicht entsprechend erweitert wurden, sehe ich keine rechtliche Grundlage für eine Prüfpflicht. Als einziges Gegenargument könnte man überlegen, ob nicht aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot der Gesetzlichen Krankenversicherung, dem auch der Apotheker unterliegt, eine Prüfpflicht hergeleitet werden kann. Dies ist nach meiner Einschätzung jedenfalls dann nicht möglich, wenn die rechtlich vorgehenden spezielleren Regelungen des Arzneilieferungsvertrags etwas Abweichendes formulieren:

Der von mir in Heft 32 zitierte § 4 Abs. 4 Satz 3 Arzneilieferungsvertrag-Ersatzkassen normiert zum Beispiel ausdrücklich, dass die Apotheker zur Überprüfung der Verordnungsfähigkeit des verordneten Mittels über die Prüfpflicht bzgl. der Negativliste hinausgehend nicht verpflichtet sind. Diese eindeutige Regelung kann man nach meiner Einschätzung nicht unter Berufung auf allgemeine Erwägungen der Wirtschaftlichkeit übergehen und von den Apothekern das Gegenteil fordern.

Wer muss Wirtschaftlichkeitsgebot prüfen?

Viele Arzneilieferungsverträge mit Primärkassen enthalten eine identische Formulierung. Fehlt es an einer solchen ausdrücklichen Normierung des Nichtbestehens einer Prüfpflicht, so halte ich die Begründung einer Prüfpflicht unter Berufung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zwar ebenfalls nicht für überzeugend, weil das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht die Verantwortung des Vertragsarztes für die Rechtmäßigkeit der Verordnung überspielen kann. Doch kann ich mir hier in Anbetracht der restriktiven Rechtsprechung immerhin vorstellen, dass die Gerichte anderer Auffassung sind.

Zu beachten ist aber, dass der Apotheker dann konsequenterweise bei jeder Verordnung deren Wirtschaftlichkeit überprüfen müsste:

  • Hätte der Arzt nicht statt dieses Originalpräparats ein Generikum verordnen können?
  • Wäre nicht statt einer kostenintensiven Dauerbehandlung mit Arzneimitteln Krankengymnastik wirtschaftlicher?

Es ist offensichtlich, dass der Apotheker diese Fragen nicht von sich aus klären kann und eine Überprüfung in die Kompetenzen des Vertragsarztes eingreifen würde. Vergleichbares gilt aber auch für die Verordnung von OTC-Präparaten:

  • Es ist nicht nachvollziehbar, warum aus allgemeinen Erwägungen der Wirtschaftlichkeit eine Prüfpflicht hinsichtlich des unmittelbar aus dem Rezept ersichtlichen Alters des Patienten folgen soll, aber keine Pflicht zu klären, ob bei Jugendlichen zwischen dem zwölften und achtzehnten Lebensjahr tatsächlich eine die Verordnung auf Kassenrezept legitimierende Entwicklungsstörung vorliegt.
  • Ebenso vermag ich nicht nachzuvollziehen, warum der Apotheker aus allgemeinen Wirtschaftlichkeitserwägungen prüfen soll, ob das verordnete Arzneimittel einen der Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesausschusses unterfallenden Wirkstoff enthält, aber nicht, ob der Wirkstoff von dem Vertragsarzt auch gerade für die der Ausnahmeliste unterfallende Indikation verordnet wurde.

Diese Erwägungen zeigen, dass die Begründung einer nur eingeschränkten Prüfpflicht des Apothekers hinsichtlich der Möglichkeit einer rechtmäßigen OTC-Verordnung inkonsequent ist.

Keine Prüfpflicht bei Off-Label-Use

Vergleichbares gilt für Verordnungen im Off-Label-Bereich. Hier stimmten allerdings die von mir kontaktierten rechtskundigen Mitarbeiter der Apothekerverbände mit mir überein, dass der Apotheker nicht überprüfen müsse, ob ein rechtmäßiger Off-Label-Use vorliege. Auch muss der Apotheker nicht bei der Krankenkasse nachfragen, ob sie den Off-Label-Use für rechtmäßig erachtet, weil es der Krankenkasse verwehrt ist, Arzneiverordnungen der Ärzte zu genehmigen (§ 29 Abs. 1 S. 2 BMV-Ä bzw. § 15 Abs. 1 S. 2 EKV-Ä). Dieses Genehmigungsverbot ist gerade Ausdruck des Umstands, dass es der Vertragsarzt ist, der den Leistungsanspruch des Versicherten für die Kassen verbindlich konkretisiert und im Gegenzug hierfür die Verantwortung trägt.

Warum raten Apothekerverbände dennoch zu einer Überprüfung der Leistungspflicht im OTC-Bereich? Hintergrund ist ganz offensichtlich die für den Apotheker sehr ärgerliche Möglichkeit der gesetzlichen Krankenkassen, Rezepte, die die Apotheker nach ihrer Auffassung nicht hätten einlösen dürfen, zu retaxieren. Eine Krankenkasse muss also nur eine vermeintlich verletzte Prüfpflicht des Apothekers behaupten und kann sodann retaxieren. Der Apotheker läuft dann seinem Geld möglicherweise über Jahre in einem kostenintensiven Rechtsstreit hinterher.

Diesen Ärger kann man freilich vermeiden, wenn man in vorauseilendem Gehorsam (rechtswidrige) Retaxationen vorwegnimmt und OTC-Verordnungen nicht mehr bedient. Der Leidtragende ist der Patient, dem ein möglicherweise rechtmäßig auf Kassenrezept verordnetes OTC-Präparat vorenthalten bleibt. Wegen des Retaxationssystems ist ein vorsichtiger Umgang der Apotheker mit OTC-Verordnungen verständlich. Wünschenswert wäre dennoch, wenn sich die Apothekerverbände für eine rechtmäßige Bedienung von Kassenrezepten gegen dies möglicherweise anders beurteilende gesetzliche Krankenkassen einsetzen würden anstatt den Interessen möglicherweise rechtswidrig retaxierender Krankenkassen zu dienen und von Apothekern zweifelhafte Prüfpflichten einzufordern.

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