Arzneimittel und Therapie

Krebstherapie: Sorafenib lässt Tumoren schrumpfen

Das neue Krebsmittel Sorafenib (BAY 43-9006) führte in einer Phase-II-Studie nach zwölf Wochen bei vielen Nierentumor-Patienten zur Verkleinerung der Tumoren sowie zu einer andauernden Stabilisierung der Krankheit. Auch beim malignen Melanom zeichnen sich erste Erfolge ab. Die Bayer HealthCare AG hat jetzt für Sorafenib den Orphan-Drug-Status zur Behandlung von fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen erhalten.

Sorafenib ist ein neuartiger Raf-Kinase- und vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor-Rezeptor (VEGFR)-Hemmer. Der Wirkstoff hemmt die Signalübertragung in der Zelle und stoppt damit das Wachstum von Krebszellen und die Angiogenese des Tumors. Die neue Substanz wird zurzeit in der Behandlung von metastasierendem Nierenzellkarzinom (einer fortgeschrittenen Form von Nierenkrebs) im Rahmen einer weltweiten Phase-III-Studie untersucht. Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) in New Orleans im Mai waren Zwischenergebnisse aus zwei Phase-II-Studie vorgestellt worden.

Stabilisierung der Krankheit

Eine Phase-II-Studie mit Sorafenib wurde an mehreren Prüfzentren mit über 200 an Nierenzellkarzinom erkrankten Patienten durchgeführt. In dieser Studie führte Sorafenib nach zwölf Wochen bei vielen Nierentumor-Patienten zur Schrumpfung der Tumore sowie zu einer andauernden Stabilisierung der Krankheit. Bei 37 von insgesamt 106 Nierenkrebspatienten schrumpfte der Tumor um mehr als 25%; bei 13 Patienten sogar um mindestens die Hälfte. Bei allen 37 Patienten, bei denen sich der Tumor nach zwölf Wochen verkleinert hatte, lag die geschätzte Zeit bis zur Progression nach Beurteilung des Studienleiters im Mittel bei 48 Wochen. 88% davon waren nach sechs Monaten nicht progredient.

Phase II beim Nierenzellkarzinom

Über 85% der Studienteilnehmer mit Nierenzellkrebs hatten einen Tumor, der trotz mindestens einer vorausgegangenen Therapie weiter fortgeschritten war. Alle Patienten wiesen bei Eintritt in die Studie einen fortschreitenden Krankheitsverlauf auf. Die Studie bestand aus einer zwölfwöchigen Induktionsphase und einer anschließenden Randomisierungsphase sowie einer parallelen Open-Label-Phase. Während der ersten Phase erhielten alle Studienteilnehmer Sorafenib in einer Dosierung von 400 mg zwei Mal täglich oral. Anschließend wurden diejenigen Patienten, deren Tumorgröße plus/minus 25% der vor der Behandlung gemessenen Werte betrug, für weitere zwölf Behandlungswochen durch Randomisierung auf Sorafenib oder Plazebo verteilt.

Am Ende der Studie wurden diejenigen Patienten, bei denen nach zwölf Wochen eine Tumorreduktion von mehr als 25% festgestellt wurde, weiterhin offen mit Sorafenib nach der zwölfwöchigen Induktionsphase behandelt. Patienten mit einem Tumorwachstum von mindestens 25% schieden aus der Studie aus. Weltweit werden jährlich nahezu 190 000 neue Fälle von Nierenzellkarzinomen diagnostiziert (ca. 81 000 in Europa), und jedes Jahr sterben über 91 000 Menschen (darunter 39 000 in Europa) an diesem Krebs.

Gute Zwischenergebnisse beim malignen Melanom

In einer weiteren Studie wurden 35 Patienten mit fortgeschrittenem bösartigen Hautkrebs (malignem Melanom) mit einer Kombination aus Sorafenib sowie den etablierten Wirkstoffen Carboplatin und Paclitaxel behandelt. Ein erstes Zwischenergebnis: Bei 40% der Teilnehmer schrumpfte der Tumor um mindestens 50%, bei 43% stabilisierte sich die Krankheit.

Für alle Tumorarten wurden Daten zur Arzneimittelsicherheit gesammelt. In der Studie waren die am häufigsten berichteten arzneimittelbedingten Ereignisse leichtes bis mittelschweres Hand-Fuß-Syndrom, Exanthem, Diarrhö und Hypertonie; alle waren behandelbar und erwiesen sich als reversibel.

Klinische Studien bei anderen Tumorerkrankungen

Sorafenib wird derzeit auch bei einer Reihe anderer Krebserkrankungen geprüft. Dazu gehören das metastasierende Melanom, fortgeschrittene solide Tumoren, fortgeschrittener Bauchspeicheldrüsenkrebs, das myelodysplastische Syndrom (MDS) und die akute myeloische Leukämie (AML).

Hemmung der Raf-Kinase und des VEGF-Rezeptors

Sorafenib wirkt über eine Hemmung der Raf-Kinase und des VEGF(vascular endothelial growth factor-)-Rezeptors. Der VEGF-Rezeptor ist für das Gefäßwachstum und damit für die Neubildung der Gefäße im Tumor (Neo-Angiogenese) notwendig. Die Raf-Kinase ist ein wichtiges Enzym im Ras-Signalübertragungsweg. Auf diesem Weg werden Signale von der Zelloberfläche in den Zellkern übertragen. Der Weg beginnt mit der Bindung eines Wachstumsfaktors an seinen Rezeptor an der Zelloberfläche. Anschließend wird die Ras-Kinase, die an der Innenseite der Plasmamembran liegt, aktiviert.

Aktiviertes Ras wirkt dann auf unterschiedliche Signalkaskaden, wobei die Signale wiederum über die Aktivierung verschiedener anderer Kinasen an den Zellkern übertragen werden. Zu diesen Kinasen gehört auch die Raf-Kinase. Die aktivierte Raf-Kinase phosphoryliert und aktiviert weiter die intrazellulären Kinasen MEK (mitogen-activated ERK kinase) und ERK (extracellular signal-regulated kinase). Phosphoryliertes ERK wandert zum Zellkern und phosphoryliert dort Transkriptionsfaktoren. Diese aktivierten Transkriptionsfaktoren führen zur Expression von Genen, die Wachstum und Differenzierung von Zellen regulieren.

Ras-Mutationen bei vielen Krebsarten

Eine Ras-Überexpression und Mutationen im Ras-Gen spielen bei vielen Krebsarten eine wichtige Rolle. Der Ras-vermittelte Signaltransduktionsweg wird dadurch in vielen Krebszellen übermäßig aktiviert und ist zum Teil für die unkontrollierte Vermehrung dieser Zellen verantwortlich. Eine Überexpression von Ras kommt bei 50% und Mutationen im Ras-Gen bei 30% aller Krebsarten vor. So sind zum Beispiel bei 90% aller Pankreaskarzinome und bei 50% aller Kolorektalkarzinome Mutationen im Ras-Gen zu finden. Kann die Raf-Kinase als weiterführendes Signal in Krebszellen gehemmt werden, wird das Wachstumssignal des Ras-Signalwegs und damit die Proliferation der Krebszellen gebremst.

Sorafenib ist ein Hemmstoff des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptor: Es hemmt das Enzym Raf-Kinase und damit die Signalübertragung in der Zelle. So wird der Signalübertragungsweg Ras/MEK/ERK blockiert, der die Wucherung der Tumorzellen anregt. In Phase-II-Studien führte Sorafenib bei Nierentumor-Patienten zur Verkleinerung der Tumoren. Es hat jetzt den Orphan-Drug-Status zur Behandlung von fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen erhalten.

Orphan-Drug-Status

Der Orphan-Drug-Status der Europäischen Kommission kann für Arzneimittel gegen Krankheiten gewährt werden, an denen nicht mehr als fünf von 10 000 Personen in der Europäischen Union (EU) erkrankt sind. Wird einem Medikament dieser Status zuerkannt, so wird dem Hersteller unter anderem für einen Zeitraum von zehn Jahren ein Markt-Exklusivitätsrecht in der EU für diese Indikation zugesichert, sofern das Unternehmen bestimmte Spezifikationen erfüllt. Während dieser Zeit können ähnliche Arzneimittel, die im direkten Wettbewerb stünden, normalerweise nicht auf den Markt gebracht werden.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.