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Das Frauenbild des Vatikans (Was meinen Sie, Frau Wurm?)

Am 31. Juli veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre (Präfekt: Kardinal Ratzinger) ein "Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt". Das offene Schreiben verursachte sowohl bei katholischen Laien als auch bei Personen, die der Kirche fern stehen, überwiegend Enttäuschung und bei feministischen Gruppen Empörung über das hier zutage tretende Frauenbild des Vatikans.

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Wie sehen Sie als Mitglied im Vorstand des Deutschen Pharmazeutinnen Verbandes das Schreiben, soweit es sich auf das Verhältnis der Geschlechter in der Welt bezieht?

Wurm:

Bereits der 2. Absatz des Schreibens befasst sich mit der "Rivalität der Geschlechter". Den Frauen wird vorgeworfen, dass sie als Antwort auf die Missbräuche der männlichen Macht mit einer eigenen "Strategie des Strebens nach Macht" antworten – zum Nachteil der Familie. Diesen Vorwurf weisen moderne Frauen zurück. Sie führen im Zusammenhang mit den angestrebten und eingenommenen Stellungen in der Regel nur dort Machtkämpfe, wo ihnen die heutige Seilschaftengesellschaft das abfordert; keinesfalls agieren sie zum Schaden ihrer Familien.

Auch andere Beschuldigungen treffen nicht zu: So unternehmen Frauen keineswegs den Versuch, sich von den eigenen biologischen Gegebenheiten zu befreien. Das gilt insbesondere für Pharmazeutinnen und Ärztinnen, die täglich beim Umgang mit Arzneimitteln die für die Geschlechter unterschiedlichen (Neben-) Wirkungen beachten.

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Haben Sie eine zeitgemäßere Haltung des Vatikans zur Rolle der Frau erwartet?

Wurm:

Das 2. Vatikanische Konzil (1962 – 1965) hatte auch in der Frauenfrage einen Modernisierungsprozess eingeleitet, der allerdings großenteils stecken geblieben ist. Immerhin ist laut Codex Iuris Canonici von 1983 die Frau in Pflichten und Rechten dem Manne absolut ebenbürtig, was auch das neue Schreiben aus Rom durchaus betont: "Die Verteidigung und die Förderung der gleichen Würde und der gemeinsamen persönlichen Werte müssen mit der sorgsamen Anerkennung der gegenseitigen Verschiedenheit harmonisiert werden."

Die Verschiedenheit wird als grundlegende Komplementarität begriffen. Dem können Frauen nur zustimmen, ebenfalls den angemahnten Bemühungen um eine Förderung der sozialpolitischen Maßnahmen zur Eingliederung von Frauen in das Arbeitsleben und zur Mitwirkung am bürgerlichen Leben bei gleichzeitiger Sorge für die Familie. Dennoch verspüren viele Frauen ein Unbehagen in der katholischen Kirche.

Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag der deutschen Bischofskonferenz (Inst. Allensbach 1993/97) meinen 45% der Frauen, dass die Kirche "ein fest gefügtes Frauenbild hat, das die einseitig familienorientierte, sich aufopfernde und sich dem Mann unterordnende Frau zum Leitbild erklärt." Bezeichnenderweise betitelte die katholische Kirchenrechtlerin Prof. Dr. Sabine Demel, Regensburg, einen Aufsatz "Ungeliebte Kinder Gottes? – Frauen in der katholischen Kirche".

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Apropos Liebe: Die Kommentare in der Presse bemängelten ebenfalls, dass in dem Schreiben zwar von Jungfräulichkeit, Mutterschaft und Familienleben, aber nicht von Sexualität die Rede ist.

Wurm:

Der Standpunkt der Kirche in Fragen der Sexualität hat fast zweitausend Jahre lang zu Frustrationen und schweren Verletzungen geführt. Dem Hl. Stuhl dürfte es schwer fallen, dieser Vergangenheit schriftlich und nicht zögerlich abzuschwören. Große Teile der Kirche in Deutschland sind da unbefangener. So war auf dem Katholikentag 2003 in Ulm "Kirche und Sexualität" ein Thema, über das beispielsweise der katholische Philosoph Prof. Dr. Jörg Splett, Frankfurt, referierte. Auch das Engagement des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF) in Donum Vitae, den Beratungsstellen für Frauen im Schwangerschaftskonflikt, möchte ich lobend hervorheben. Übrigens sind auch Apothekerinnen gefordert, zu diesen Problemen Stellung zu beziehen und den Hilfe suchenden Frauen soweit möglich mit Rat zu helfen.

Die Kritik muss eingeschränkt werden im Hinblick auf die Adressaten in der ganzen Welt. Frauen in Europa besitzen genügend Selbstbewusstsein, um die vorwurfsvollen Worte des Präfekten Kardinal Ratzinger, "sich nach eigenem Gutdünken zu formen", positiv aufzufassen: Sie akzeptieren ihr weibliches Dasein als schöpferisches Geschenk und streben an, sich in diesem den Vorstellungen ihrer eigenen Würde und Werte, ihren individuellen Anlagen und Neigungen, ihrer jeweiligen Lebenssituation sowie ihren persönlichen familiären und gesellschaftlichen Bindungen gemäß zu verhalten und zu vervollkommnen.

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