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Wann sind Johanniskraut-Präparate verordnungsfähig?

Johanniskraut-Präparate sind unter bestimmen Voraussetzungen nach wie vor verordnungsfähig. Die Formulierung in der Ausnahmeliste führte jedoch zu unterschiedlichen Interpretationen. Um den eingetretenen Verständnisschwierigkeiten abzuhelfen, bezieht Eva Susanne Dietrich von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in einem Interview zur Verordnungsfähigkeit von Johanniskraut-Zubereitungen eindeutig Stellung.

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Johanniskraut-Präparate gelten im niedergelassenen Bereich als anerkannte, wirksame und verträgliche Therapieoption bei Depressionen. Seit In-Kraft-Treten der OTC-Ausnahmeliste bestehen allerdings zum Teil erhebliche Unklarheiten darüber, welche Zubereitungen die dort festgeschriebenen Kriterien erfüllen und demzufolge verordnet werden dürfen – alle verkehrsfähigen mit mindestens 300 mg Extraktmenge pro Einzeldosis?

Dietrich:

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in der Arzneimittelrichtlinie 16.4.18 geregelt, dass Hypericum perforatum-Extrakt (hydroalkoholischer Extrakt, mind. 300 mg pro Applikation) nur zur Behandlung mittelschwerer Depressionen zu Lasten der GKV verordnungsfähig ist. Die Mindestmenge von 300 mg wurde vom Bundesausschuss aufgrund der Evidenzlage durch klinische Studien festgelegt.

Entsprechend den Arzneimittelrichtlinien, welche die Vorgaben des SGB V konkretisieren, sind somit all die Johanniskraut-Präparate zu Lasten der GKV verordnungsfähig, die 1. für diese Indikation auch zugelassen sind und 2. mindestens 300 mg pro Applikationsform enthalten. Eine generelle Verordnungsfähigkeit für alle im Handel befindlichen Johanniskraut-Präparate mit mindestens 300 mg Trockenextrakt besteht somit nicht.

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In welche Zulassungskategorien bzw. -stadien lassen sich die derzeit im Verkehr befindlichen Johanniskraut-Präparate untergliedern?

Dietrich:

Zurzeit lassen sich die im Handel befindlichen Johanniskraut-Präparate hinsichtlich ihrer Zulassung unterscheiden in

  • Präparate, die eine Zulassung nach § 21 AMG haben, und
  • Präparate, die eine Zulassung nach § 105 AMG haben und sich im Nachzulassungsverfahren befinden. Diese Unterteilung ist allerdings ohne Relevanz für die Frage der Erstattungsfähigkeit.

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    Dann liegt also die Lösung der eingetretenen Verständnisschwierigkeiten in einer präzisen Klassifizierung bzw. eindeutigen Definition der einzelnen Kategorien? Nehmen wir ein für die Behandlung leichter depressiver Episoden zugelassenes Johanniskraut-Präparat als Beispiel: Ist seine Anwendung strikt auf diese Indikation beschränkt, selbst wenn es sich um ein Produkt mit 300 mg oder mehr hydroalkoholischem Extrakt handelt?

    Dietrich:

    Die von Ihnen angesprochenen Verständnisschwierigkeiten sind unseres Erachtens darauf zurückzuführen, dass die im Handel befindlichen Präparate für verschiedene Indikationen zugelassen sind, beispielsweise

  • für leichte vorübergehende depressive Störungen,
  • für psychovegetative Störungen, depressive Verstimmungszustände, Angst und / oder nervöse Unruhe,
  • zur Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung,
  • zur Stärkung der Nerven, bei nervöser Unruhe und bei nervlicher Überbelastung. Die Präparate mit den beiden zuletzt genannten zugelassenen Indikationen sind allerdings nicht apothekenpflichtig und daher ohnehin nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig.

    Eine generelle Vereinheitlichung der zugelassenen Indikationsgebiete bei Arzneimitteln mit gleichem Wirkstoff würde sicherlich zu mehr Übersichtlichkeit führen. Leider liegt dies jedoch nicht im Einflussbereich der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Ihr als Beispiel genanntes Johanniskraut-Präparat mit einer Zulassung für leichte depressive Verstimmungen wäre, wie schon eingangs erwähnt, nicht verordnungsfähig.

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    Spielt es für die Indikation "mittelschwere Depression" eine Rolle, ob es sich um eine Zulassung gem. § 21 AMG oder um ein fiktiv nach § 105 AMG zugelassenes Präparat handelt?

    Dietrich:

    Für die bei der Indikation "mittelschwere Depression" verordnungsfähigen Arzneimittel spielt es primär keine Rolle, ob es sich um ein nach § 21 AMG zugelassenes oder sich in der Nachzulassung befindliches Präparat handelt. Entscheidend sind die in der Zulassung genannten Indikationsgebiete sowie die zu berücksichtigenden gesetzlichen Vorgaben (siehe Kasten "Gesetzliche Vorgaben").

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    Schließt denn die Indikation "depressive Verstimmungszustände", unter der gerade höher dosierte Johanniskraut-Präparate (z.B. 650 oder 900 mg) fiktiv zugelassen sind, die Indikation "mittelschwere depressive Episoden" mit ein?

    Dietrich:

    Der Begriff "depressive Verstimmungszustände", der sich in den Angaben zur Anwendung bei diversen Johanniskraut-Präparaten findet, entspricht nicht der Terminologie ärztlich verwendeter Kodierungs- und Diagnoseschlüssel, etwa ICD 10. Mit anderen Worten ist der Begriff "depressive Verstimmungszustände" medizinisch nicht eindeutig definiert und kann somit leichte oder mittelschwere depressive Episoden umfassen. Das heißt, dass Präparate, die für die Indikation "depressive Verstimmungszustände" zugelassen sind, beim Vorliegen einer mittelschweren Depression entsprechend der Arzneimittelrichtlinie 16.4.18 zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind.

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    Wenn die Johanniskraut-Extrakte, die sich im Nachzulassungsverfahren befinden, den gem.§ 21 AMG zugelassenen Präparaten absolut gleichzusetzen sind, dann liegt also die Therapieentscheidung allein beim Arzt – so er natürlich die Diagnose bestätigen kann?

    Dietrich:

    Die Entscheidung, welche medikamentöse Therapie bei einem Patienten durchgeführt werden soll, trifft immer der behandelnde Arzt, wobei jedoch die bereits zitierten gesetzlichen Vorgaben sowie die Konkretisierungen in den Arzneimittelrichtlinien zu berücksichtigen sind. Welche der nicht verschreibungspflichtigen Johanniskraut-Zubereitungen er nach der Ausnahmeliste zu Lasten der GKV verordnen darf, darüber kann er sich problemlos anhand der "Roten Liste", die jedem Arzt vorliegt, oder über die im Internet verfügbaren Fachinformationen informieren.

  • Gesetzliche Vorgaben

    Bei der Verordnung von Arzneimitteln hat der Vertragsarzt die gesetzlichen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes und des SGB V sowie die hierzu vorgenommenen Konkretisierungen in den Arzneimittelrichtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung besteht generell und kann bei Zuwiderhandeln zu haftungs- und leistungsrechtlichen Konsequenzen für den Arzt führen.

    Beispielhaft sei hingewiesen auf

  • § 12 Abs. 1 SGB V und das hierin konkretisierte Wirtschaftlichkeitsgebot "Die Leistungen müssen zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen."
  • § 31 Abs. 1 SGB V und den hier definierten Leistungsanspruch der Versicherten auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind.
  • § 34 Abs. 1 SGB V Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel "Nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 erstmals bis zum 31.03.2004 fest, welche nicht-verschreibungs-pflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können."

    Wie der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung konstatiert, war die Selbstmedikation mit apothekenpflichtigen, nicht-verschreibungspflichtigen Medikamenten bereits in der Vergangenheit Usus. Die gesetzliche Regelung, welche die finanzielle Eigenverantwortung des Patienten in diesem Arzneimittelsegment untermauert, sei daher sozialverträglich. Es ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zu anderen Regelungen des SGB V der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der Erstattungspflicht der GKV nicht primär mit einem Mangel an Wirksamkeits- oder Nutzendaten zu belegen ist, sondern vorrangig andere Kriterien, wie die Schwere der Erkrankung, als Entscheidungsgrundlage dienen. Quelle: Dr. Eva Susanne Dietrich, KBV

  • Was sagt die Ausnahmeliste?

    In der zum 16. März 2004 in Kraft getretenen OTC-Ausnahmeliste hat der Gemeinsame Bundesausschuss festgelegt, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei schwerwiegenden Erkrankungen als Therapiestandard gelten, weiterhin – in den gelisteten Indikationen – der GKV-Leistungspflicht unterliegen. Für Johanniskraut-Präparate ist in der Arzneimittelrichtlinie 16.4.18 geregelt, dass "Hypericum-perforatum-Extrakt (hydroalkoholischer Extrakt, mind. 300 mg pro Applikationsform) nur zur Behandlung mittelschwerer depressiver Episoden" erstattungsfähig ist.

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