Arzneistoffporträt

Qualität und Wirksamkeit von Ibuprofen-Präparaten: "Äpfel nicht mit Birnen ve

Um vergleichende Bioverfügbarkeitsuntersuchungen ist es in den letzten Jahren ruhiger geworden. Ein Grund dafür ist: die Arzneimittelqualität wurde verbessert. Dennoch werden ab und an Studien veröffentlicht, die versuchen, mit einer guten In-vitro-Bioverfügbarkeit Rückschlüsse auf die In-vivo-Freisetzung zu suggerieren. Bisweilen werden in Studien auch unterschiedliche Darreichungsformen verglichen. Ob und inwieweit dies möglich ist, darüber sprachen wir anhand von aktuellen Veröffentlichungen zu Ibuprofen-Präparaten mit den Experten Professor Dr. Henning Blume, Firma Socratec, Oberursel, und Prof. Dr. Gerd Geißlinger, Institut für Klinische Pharmakologie, Frankfurt/Main.

DAZ Herr Professor Blume, in den letzten Jahren wurden nur noch selten Vergleichsuntersuchungen zur Qualität der am Markt befindlichen Fertigarzneimittel veröffentlicht. Besteht für solche Studien kein Bedarf mehr? Blume: Ohne Zweifel ist die Qualität der in Deutschland angebotenen Arzneimittel in den letzten beiden Dekaden erheblich verbessert worden. Die Industrie hat hier erfreulicherweise große Anstrengungen unternommen. Zu dieser Entwicklung haben aber sicherlich auch die Untersuchungen unabhängiger Institute, wie z.B. dem ZL oder der Universitätsinstitute, nicht unwesentlich beigetragen, sozusagen als Motivationshilfe für den Markt. Aber man darf in diesem Bereich nicht locker lassen: Auch heute noch gibt es immer wieder Einzelfälle, bei denen Qualitätsprobleme bekannt werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Nifedipin-Retardprodukte zur einmal täglichen Applikation, über die wir selbst kürzlich berichtet haben. Hier waren bei einigen Produkten gravierende Abweichungen festzustellen, die erhebliche therapeutische Auswirkungen haben. Zwar handelte es sich dabei um in England bzw. Italien zugelassene Präparate, es ist aber nicht auszuschließen, dass diese über den gemeinsamen europäischen Markt auch nach Deutschland kommen. DAZ Herr Professor Geißlinger, welche Bedeutung haben solche Untersuchungen für den behandelnden Arzt? Geißlinger: Die Ärzteschaft geht in aller Regel davon aus, dass die von der pharmazeutischen Industrie angebotenen Präparate einen hohen Qualitätsstandard besitzen. Sie hinterfragen daher nicht in jedem Einzelfall, ob diese Prämisse auch tatsächlich erfüllt ist. Dies kann auch nicht ihre Aufgabe sein. Hier müssen andere dafür sorgen, dass dies letztlich so ist. Insofern sind alle Aktivitäten, die sicherstellen, dass die Qualität der Produkte am Markt in Ordnung ist, in unmittelbarem Interesse der Ärzteschaft. Sie hat es daher auch stets sehr begrüßt, dass sich die Apotheker in dieser Frage traditionell stark engagiert haben, und greift auf die entsprechenden Informationen gern zurück. DAZ Diese Thematik wurde auf dem diesjährigen Deutschen Schmerztag aber eher am Rande behandelt. Ist die Produktqualität und Pharmakokinetik der enthaltenen Wirkstoffe für die Schmerztherapie denn von geringerer Bedeutung ? Geißlinger: Das kann man sicherlich so nicht sagen. Ganz im Gegenteil, gerade bei der Behandlung von Schmerzen hat die Pharmakokinetik von Wirkstoffen eine große Bedeutung. Denken Sie z.B. an akute Schmerzen, bei denen ein rascher Wirkungseintritt vom Patienten erwartet wird. Dies muss durch eine adäquate galenische Formulierung gewährleistet sein. Andererseits wurde die adäquate Behandlung chronischer Schmerzpatienten erst durch eine ausreichende Retardierung der Produkte möglich. Und wenn zu bestimmten Wirkstoffen verschiedene Generika angeboten werden, dann muss transparent sein, welche davon therapeutisch gleichwertig sind und bei welchen evtl. relevante Unterschiede bestehen, die es dann zu berücksichtigen gilt. DAZ Herr Professor Blume, in der letzten Zeit wurden verschiedentlich Studien publiziert, in denen handelsübliche Ibuprofenprodukte hinsichtlich ihrer Qualität und Wirksamkeit verglichen wurden. Dabei zeigten sich z.B. zwischen Tabletten und Weichkapselpräparaten erhebliche Unterschiede in der Wirkstofffreisetzung. Was besagen diese Differenzen? Blume: Gut, dass Sie diesen Punkt einmal ansprechen. Manche dieser Untersuchungen sind aus meiner Sicht nämlich wirklich ärgerlich. Schließlich ist es eine pharmazeutische Binsenweisheit, dass man solch unterschiedliche Darreichungsformen wie gerade Weichkapseln und Tabletten nicht mit ein und demselben Testsystem prüfen und dann die Ergebnisse mit einander vergleichen kann. Weichkapseln müssen geradezu z.B. bei Untersuchungen mit der für Tabletten meist optimalen Paddle-Apparatur schlechter abschneiden, da sich dort die Strömungsverhältnisse für sie ungünstig gestalten und somit eine geringere Agitation zum Tragen kommt. Dies ist im Übrigen nicht etwa nur meine persönliche Meinung, sondern war auch das eindeutige Fazit einer Expertenrunde zu dieser Frage: deutlich unterschiedliche Arzneiformen, wie z.B. Tabletten und Weichkapseln, dürfen nicht unter Verwendung identischer Prüfmethodiken im Hinblick auf ihre Wirkstofffreisetzung verglichen werden. DAZ Aber offensichtlich findet so etwas trotzdem statt. Wie können sich die Fachkreie gegen solche Fehlinformation wehren? Blume: Im Grunde genommen hilft es in solchen Situationen nur, den veröffentlichten Daten mit der gebotenen Sachkompetenz und Kritikfähigkeit zu begegnen. Wenn man dagegen den dargestellten Interpretationen unkritisch folgt, setzt man im Grunde genommen seine eigene Unabhängigkeit aufs Spiel und darf sich nicht wundern, wenn man in die Irre geleitet wird. Aber ich denke, wir dürfen den schwarzen Peter nicht nur den Kolleginnen und Kollegen in der Praxis zuschieben. Denjenigen, die sich professionell mit den wissenschaftlichen Hintergründen dieser Fragen beschäftigen, kommt ebenfalls große Verantwortung zu. Sie sollten nicht still den Kopf schütteln, sondern sich hier zu Wort melden, z.B. in Form von Kommentaren oder Leserbriefen, um die Probleme öffentlich zu machen. DAZBei den besagten In-vitro-Untersuchungen mit Ibuprofen-Produkten wurden mit den Tabletten und Weichkapseln nicht nur sozusagen Äpfel mit Birnen verglichen, sondern auch aus den Unterschieden in vitro auf Abweichungen in der Resorptionsgeschwindigkeit und damit einen unterschiedlich raschen Wirkungseintritt beim Patienten geschlossen. Sind diese Schlussfolgerungen gerechtfertigt? Geißlinger: Nein, das sind sie sicherlich nicht. Zumindest nicht, solange keine eindeutigen In-vitro-/In-vivo-Korrelationen vorgelegt werden. Da dies hier nicht der Fall ist, muss man die Aussagen als rein hypothetisch einstufen. Insgesamt kann man ein solches Vorgehen nicht gut heißen, ich halte es sogar für durchaus gefährlich. In-vitro-Untersuchungen können die pharmakokinetischen In-vivo-Untersuchungen keineswegs ersetzen. DAZ Aber es wurden doch in der Zwischenzeit von derselben Gruppe auch vergleichende Bioverfügbarkeitsstudien vorgelegt. Lösen die nicht das Problem? Blume: In gewisser Weise schon. Soweit den dargestellten Ergebnissen zu entnehmen war, wurden nämlich trotz deutlicher Abweichungen in der In-vitro-Freisetzung keine relevanten Bioverfügbarkeitsunterschiede zwischen den Prüfpräparaten nachgewiesen. Dies bestätigt unsere Skepsis hinsichtlich der Aussagekraft der zuvor publizierten In-vitro-Befunde. Geißlinger: Und mehr noch: auch hier wurden bei der Bewertung durch die Autoren noch gewisse Unterschiede in der Anflutung der Prüfpräparate herausgearbeitet. Danach soll das eine Produkt bereits nach 10 Minuten seine Wirksamkeit entfalten, das andere dagegen erst nach 12 Minuten. Das wären absolut marginale Unterschiede, die wohl kaum reproduzierbar und auch nicht klinisch relevant sind. Nein, ich stimme Herrn Kollegen Blume vollkommen zu: durch diese In-vivo-Befunde wurde die behauptete Korrelation nicht bestätigt, sondern sogar widerlegt. Blume: Und die Resultate der Bioverfügbarkeitsuntersuchung werfen noch eine weitere Frage auf. Nach der Einnahme der Tabletten wurden in der ersten Phase im 2-Minuten-Abstand Blutproben gewonnen. In der Darstellung der Ergebnisse sieht man mit Erstaunen bereits beim ersten Messpunkt nach zwei Minuten Plasmakonzentrationen von 2 µg/ml. Ein solcher Wert kann nur in extremen Ausnahmesituationen bei einzelnen Personen nach oraler Gabe eines Tablettenpräparates auftreten, aber sicherlich nicht als Mittelwert bei 12 Probanden. Solch eine Ergebnispräsentation ist nicht in Ordnung, da sie den flüchtigen Betrachter in die Irre führen wird. DAZ Was also bliebe zu tun? Geißlinger: Eigentlich kann man nur wiederholen: kritischer Umgang mit den Informationen ist angesagt. Hierzu ist Kompetenz erforderlich, die man sich in der Fortbildung erwerben muss. Aber auch den Medien kommt eine wichtige Funktion zu. Sie sollten einerseits die zur Publikation eingereichten Arbeiten kritisch prüfen lassen, um so die Spreu vom Weizen zu trennen. Wichtiger aber ist noch, dass sie ein Forum für eine kontroverse Diskussion der veröffentlichten Befunde bietet. Blume: Ich möchte aber auch an die Wissenschaftler selbst appellieren, die solche Studien, die ja zur Verbesserung der Transparenz am Markt durchaus wünschenswert und notwendig sind, durchführen. Sie sollten sich bei der Planung der Projekte sowie der Veröffentlichung der Ergebnisse ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein und die erforderliche wissenschaftliche Unabhängigkeit und Neutralität zum Tragen kommen lassen. DAZ Vielen Dank für dieses Gespräch.

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