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Studie zum Gesundheitswesen: "Gesundheit nach Maß"

BERLIN (ks). Eine Reform des deutschen Gesundheitswesens erfordert neue Partizipationsformen, eine Mindestversicherungspflicht mit Wahlfreiheit hinsichtlich des Versicherers sowie eine neue Anbieterpluralität mit Kontrahierungszwang. Der Staat soll dabei eine reine Gewährleistungsaufsicht übernehmen und die Finanzierung über Kopfpauschalen erfolgen. Das sind die Eckpunkte einer Reform, wie sie sich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) vorstellt. Vor fünf Jahren begann die Gruppe, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Am 16. Juli stellten die Autoren ihre Studie "Gesundheit nach Maß" in Berlin der Öffentlichkeit vor.

Das besondere an der Studie ist das weite wissenschaftliche Spektrum ihrer Autoren: Die Arbeitsgruppe "Gesundheitsstandards" der BBAW setzt sich zusammen aus Vertretern der Philosophie, Medizin, Rechtswissenschaft, Biologie, Volkswirtschaftlehre und der Pharmakologie. Ihre Abhandlung analysiert den Zustand des gegenwärtigen deutschen Systems. Sie befasst sich dabei unter anderem mit den anthropologischen und ethischen Grundlagen von Gesundheit und Krankheit, dem Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen Individualisierung und Standardisierung sowie rechtlichen Aspekten. Die Studie zeigt den Handlungsbedarf und Reformoptionen auf und vergleicht zudem das deutsche Gesundheitssystem mit jenen Großbritanniens, der Schweiz und der Niederlande.

Langfristig angelegtes Reformmodell

Den Wissenschaftler ging es bei der Studie um "grundlegende Überlegungen", erklärte Arbeitsgruppen-Sprecher Prof. Dr. Carl Friedrich Gethmann bei der Präsentation. Diese sollten "über die Tagespolitik hinausgehen". Ausdrücklich distanzierte sich der Philosoph Gethmann von der Politik, die stets an "kleinen Schräubchen dreht". Stattdessen gehe es den Autoren um ein langfristig angelegtes Reformmodell. Dieses könne in Übergangsschritten in den kommenden zehn bis 25 Jahren realisiert werden, so Gethmann.

Tiefgreifende Restrukturierung nötig

Die Arbeitsgruppe geht davon aus, dass das deutsche Gesundheitssystem – wie auch die Systeme der europäischen Nachbarländer – mit "dramatischen Herausforderungen" konfrontiert ist: mit dem demographischen Wandel, dem medizinischen Fortschritt, den zunehmenden Finanzierungsdefiziten, der Intransparenz der Finanzströme und den Problemen des europäischen Wettbewerbsrechts.

Systemimmanente Reparaturen sind nach Auffassung der Autoren nicht mehr ausreichend, um das System zu stabilisieren: "Ohne eine tiefgreifende Restrukturierung wird die Dichte der Ad-hoc-Interventionen in Zukunft noch zunehmen", schreiben sie in ihrer Einleitung. Zur Finanzierung der Krankenversicherung schlagen die Wissenschaftler die Einführung von (Kopf-)Pauschalen vor. Der soziale Ausgleich soll durch Übernahme der Pauschalen für die Kinder und Umverteilungsmaßnahmen bei niedrigen Einkommen erfolgen. Mehr Kapitaldeckung soll zudem vor unvorhersehbaren Ausschlägen sichern. Weiterhin plädieren die Arbeitsgruppenmitglieder für eine Veränderung der Vergütungsstrukturen im Wege einer Liberalisierung des Vertragsrechts.

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