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Molekulare Epidemiologie: Helicobacter pylori wandert um die Welt

Die Hälfte der Weltbevölkerung trägt das Bakterium Helicobacter pylori in der Magenschleimhaut mit sich herum. Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie haben nun entdeckt, wie vorgeschichtliche Völkerwanderungen mittels des Magenbakteriums rekonstruiert werden können.

Seit Urzeiten ein ständiger Begleiter

Helicobacter pylori begleitet den Menschen, der sein einzig bekannter Wirt ist, seit Urzeiten. Er hat folglich auch alle Völkerwanderungen mitgemacht.

Seit vier Jahren nun interessiert H. pylori nicht nur die Epidemiologen, sondern auch die Völkerkundler. Denn bis heute unklare oder umstrittene Züge der Völker über die Kontinente können nun mit der Untersuchung der damals beteiligten H.-pylori-Stämme nachgewiesen werden.

Der englische Physiologe Jared Diamond, der 1998 ein Buch über den Einfluss von Krankheiten auf die Zivilisation geschrieben hatte, war Inspirator für die Untersuchung solcher Zusammenhänge. Mark Achtman vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin war von diesem Aspekt der Epidemiologie von Helicobacter pylori so fasziniert, dass er es genauer untersucht hat.

Das gramnegative Magenbakterium H. pylori hat ein sehr kleines Genom von 1,67 Megabasenpaaren, das vollständig sequenziert ist. Doch ist die DNA-Sequenz im Detail extrem variabel: Kein genetischer Fingerabdruck, sogar wenn er an mehreren Isolaten eines Individuums wiederholt wird, ist identisch. Dies wirkt sich aber kaum auf die Proteinbiosynthese aus, denn vor allem die dritte Base der Codons, die nur einen untergeordneten Einfluss auf die Aminosäurensequenz hat, unterliegt einer hohen Variabilität.

Diese Eigenschaften taugen eigentlich nicht dazu, die genetische Evolution eines Organismus in den letzten Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden rekonstruieren zu können. Doch H. pylori hat eine Eigenschaft, die diese Nachteile mehr als aufwiegt: Er wird quasi maternal vererbt.

Ähnlich wie die mitochondriale DNA bei der Zeugung nur von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben wird, wandert Helicobacter wahrscheinlich ausschließlich von der Mutter in das Kind. Es finden also keine Rekombinationen mit den Helicobacter-Genotypen statt, die der Vater in sich trägt.

Die hohe Rekombinationsrate (Austausch von DNA-Sequenzen) von H. pylori, die in einem Magen im Laufe des Lebens stattfindet, führt zwar zu einer hohen Variabilität. Doch es kommen im Laufe eines Menschenlebens keine neuen Helicobacter-Infektionen hinzu.

Innerhalb einer menschlichen Population oder eines Stammes oder Volkes bilden sich so über die Generationen Schwärme von genetisch ähnlichen H.-pylori-Stämmen aus. Gleichzeitig sorgt die hohe Rekombinationsrate dafür, dass alle Stämme innerhalb einer menschlichen Population letztlich sehr ähnlich bleiben.

Der "Stammbaum" – Struktur in den Variationen

Die Arbeitsgruppe um Mark Achtman und Sebastian Suerbaum vom Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg hat nun in 27 ethnischen Gruppen unterschiedlicher geographischer Herkunft den Krankheitserreger genetisch untersucht, um seine Variationen aufzuklären.

Zwar wurde bereits Mitte der Neunzigerjahre vermutet, dass sich die Magenbakterien Chinas und Europas unterscheiden, doch Beweise dafür gab es nicht. In Zusammenarbeit mit sechs weiteren Universitäten in den USA und in Frankreich konnten Achtman und Suerbaum nun die gemeinsame Migration von Bakterium und Mensch nachweisen.

Sie analysierten aus 370 Isolaten (Haplotypen) aus 27 menschlichen Populationen weltweit die Nukleotidsequenzen von acht Genen, darunter sieben Haushaltsgene (Gene, die für den Grundstoffwechsel zuständig und deshalb lebenswichtig sind). Diese acht Gene umfassen zusammen nur 3850 Nukleotide.

Die Forscher fanden in diesen Sequenzen die enorme Menge von 1418 polymorphen Nukleotidpositionen. Um in dieser hohen Variabilität eine Struktur zu erkennen, musste zunächst ein spezielles mathematisch-statistisches Rechenverfahren entwickelt werden. Mit dem auf Bayes-Theoremen beruhenden STRUCTURE-Programm gelang es, in einem komplizierten Iterationsverfahren vier Untergruppen oder Cluster von H. pylori zu identifizieren: zwei afrikanische, ein europäisches und ein ostasiatisches Cluster.

Diese Cluster ließen sich weiter differenzieren (Tab. 1). Die gefundenen ursprünglichen H.-pylori-Populationen hatten demnach ihren Ursprung in Afrika, im Nahen Osten, in Zentralasien und in Ostasien. Weitere H.-pylori-Populationen haben sich während der mehrere tausend Jahre langen Isolation der Polynesier im Pazifik, auf der Wanderung der sibirischen Vorfahren der Indianer über die Beringstraße nach Amerika oder während der Expansion der Bantu in Afrika entwickelt (siehe Abb.).

Die H.-pylori-Stämme Europas sind aus einer genetischen Fusion entstanden. Die beiden "Elternstämme" waren unabhängig voneinander aus Zentralasien und dem Nahen Osten nach Europa eingewandert. Die Vermischung der Volksgruppen seit den letzten Jahrhunderten kann anhand der H.-pylori-Stämme verfolgt werden.

In vielen Gegenden der Erde herrscht heute eine heftige Konkurrenz zwischen den ursprünglich ansässigen H.-pylori-Stämmen und den durch menschliche Migration eingewanderten Stämmen.

Beispiele dafür sind die von Europa ausgegangene Kolonialisierung des amerikanischen Doppelkontinents, Afrikas und Australiens ebenso wie die Wanderungen durch den Sklavenhandel.

Beeinflussen Genotypen Virulenz und Pathogenität?

Der "Stammbaum" von Helicobacter pylori stimmt sehr gut mit der Evolution der mitochondrialen DNA des Menschen im Zuge seiner Ausbreitung über die Erde überein. Diese Ergebnisse können durch Untersuchungen weiterer Pathogene bestätigt werden: Die Genotypen des menschlichen Polyoma-Virus JCV, das die Niere besiedelt und multifokale Leukoenzephalopathien verursachen kann, lassen sich zumindest in die großen Kontinente differenzieren.

Achtman vermutet auch, dass bestimmte Hepatitis-Viren ähnliche Befunde liefern, obwohl hier die Datenlage noch zur Zurückhaltung gemahnt. Auch ein in Blattläusen (Aphiden) gefundenes Bakterium und zwei mit diesem assoziierte Plasmide liefern ähnliche phylogenetische Cluster wie der Wirt und bestätigen eine evolutive Wirt-Pathogen-Interaktion.

Diese Erkenntnisse könnten wichtige Auswirkungen auf die Behandlung von H.-pylori-Infektionen haben. Denn es ist davon auszugehen, dass die bakteriellen Populationen auch eine unterschiedliche Virulenz aufweisen. Genauere Untersuchungen sollten also direkt die Therapie mit Antibiotika beeinflussen.

Die wahrscheinlich unterschiedlichen Virulenzen müssen wohl zukünftig auch bei der Entwicklung von Impfstoffen berücksichtigt werden. Denn ein Impfschutz muss sich auf alle vorliegenden H.-pylori-Stämme beziehen.

Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Frage der Pathogenität, die für H. pylori immer noch nicht geklärt ist. Niemand weiß, weshalb der eine Patient "nur" ein Magengeschwür bekommt und der andere an Magenkrebs durch das Bakterium erkrankt. Es ist aber bereits deutlich geworden, dass die schwereren Erkrankungen wahrscheinlich durch Stämme verursacht werden, die die cag-Pathogenitätsinsel besitzen und das Toxin VacA produzieren.

Auch andere Bakterien kommen an die Reihe

Das für die Untersuchung des H.-pylori-Genoms entwickelte STRUCTURE-Verfahren wird weiterentwickelt und auch für andere Bakterien eingesetzt. Anhand der DNA-Sequenzen sollen ihre Verwandtschaftsbeziehungen und Abstammungen aufgeklärt werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Mikroorganismen, die häufigen Rekombinationen ihrer Genome unterworfen sind. Dafür werden in Berlin Feintypisierungsmethoden entwickelt.

Spanische Forscher haben mit der Analyse von 17 Bakteriengenomen gezeigt, dass zwischen 1,5 und 14,5 Prozent des Genoms über horizontalen Gentransfer ausgetauscht werden.

Je pathogener ein Bakterium ist, umso geringer ist zwar die Rekombinationsrate; doch es handelt sich dann um wichtige Gene, zum Beispiel inner-halb der Pathogenitätsinseln. Dieses Forschungsfeld wird wohl noch manche Überraschung bieten.

Die Hälfte der Weltbevölkerung trägt das Bakterium Helicobacter pylori in der Magenschleimhaut mit sich herum. Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie haben nun entdeckt, wie vorgeschichtliche Völkerwanderungen mittels des Bakteriums rekonstruiert werden können.

Ständiger Austausch H. pylori ist der Organismus mit der höchsten bekannten Rate an Rekombinationen überhaupt.

Molekulare Uhr

Die heute bekannten Daten über die Völkerwanderungen des Menschen könnten dazu herangezogen werden, die "molekulare Uhr" von H. pylori besser zu kalibrieren. Damit ließen sich dann noch unsichere Migrationen während der Vergangenheit aufklären.

Pathogenität Etwa jeder zweite Mensch der Erde trägt das gramnegative Bakterium Helicobacter pylori in seinem Magen. Bei 20 Prozent der Infizierten bilden sich Magengeschwüre; einer von hundert erleidet ein Magenkarzinom. Die Suche nach verbesserten Impfstrategien ist in vollem Gange.

So wird an einer Lebendimpfung mit attenuierten Salmonellen gearbeitet, die H.-pylori-Proteine produzieren und in ihrem Wirt eine Immunreaktion dagegen hervorrufen.

Nicht nur H. pylori

Eine Reihe von Bakterien wird inzwischen auf ihre molekulare Epidemiologie untersucht. Neben H. pylori zählen dazu Neisseria meningitidis, Salmonella enterica, Moraxella catarrhalis, Escherichia coli und Yersinia pestis.

H. pylori im Netz Schönes Bild von H. pylori an Epithelzellen http://bilder.mpg.de/info_12.html Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin www.mpiib-berlin.mpg.de/ Zweidimensionale Gelelektrophorese von H. pylori www.mpiib-berlin.mpg.de/2D-PAGE/EBP-PAGE/index.html Genomdatenbank von H. pylori http://scriabin.astrazeneca-boston.com/hpylori/

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