Arzneimittel und Therapie

Außenansicht: Aspirin bleibt Aspirin

In der am 7. Januar 2004 im amerikanischen Journal of the National Cancer Institute veröffentlichten Nurses' Health Study wurden Daten von mehr als 88000 Frauen ausgewertet, bei denen unter der Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS), dem Wirkstoff von Aspirin, innerhalb von 18 Jahren 161 Fälle von Pankreaskarzinom (weniger als 0,2%) aufgetreten waren. In der Studie zeigte sich, dass Frauen, die nach eigenen Angaben länger als 20 Jahre zwei oder mehr ASS-Tabletten pro Woche nahmen, ein um 58% höheres Risiko für Pankreaskarzinom haben als Frauen, die diese Mittel nicht nahmen. Bei 14 oder mehr Tabletten pro Woche stieg das Risiko schon nach wenigen Jahren um 86%. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ASS bei Frauen das Risiko, an einem Pankreaskarzinom zu erkranken, bei regelmäßiger Einnahme über längere Zeiträume zu erhöhen scheint.

Zu einem genau gegenteiligen Ergebnis kam eine am 7. August 2002 im gleichen Journal veröffentlichte Studie, derzufolge die regelmäßige Einnahme von Acetylsalicylsäure offenbar in der Lage ist, die Häufigkeit des Auftretens von Pankreaskarzinom deutlich zu vermindern, wobei der Trend bestand, dass die Risikoreduzierung mit ansteigender ASS-Anwendung zunahm.

Die Autoren kamen daher zu dem Schluss, dass es starke Hinweise dafür gebe, dass ASS einen Wert für die Vorbeugung von Pankreaskarzinomen besitze. Auch andere Arbeiten stehen dem Ergebnis der hier vorgelegten Studie entgegen, wie überhaupt die Einnahme von Acetylsalicylsäure bisher immer eher eine Reduzierung als eine Steigerung des Erkrankungsrisikos für verschiedene Krebsarten gezeigt hat.

Die neuen Studienergebnisse müssen also Verwirrung bei den Experten und Verunsicherung bei den Konsumenten hervorrufen, ganz besonders, wenn es dabei um das weltweit wohl bekannteste Arzneimittel geht.

Jede Nachricht dieser Art wird natürlich von Meinungen und Kommentaren begleitet. Die Pharmafirma Bayer, deren Name und Reputation so eng mit Aspirin verbunden ist, sagt in ihrer Presse-Information vom 7. Januar 2004, dass die Ergebnisse der vorgelegten Studie "keinen schlüssigen Zusammenhang zwischen ASS und Bauchspeicheldrüsenkrebs belegen."

Richtig, aber das können sie auch gar nicht. Epidemiologische Studien sagen ja strenggenommen nichts über die Kausalität aus, sondern nur etwas über die Unterschiede von zwei miteinander verglichenen Personengruppen. Somit ist es in der Epidemiologie ähnlich wie in der Analytik:

Die Entdeckung eines Häufigkeitsunterschieds (Pankreaskarzinom unter ASS) bzw. das Messen einer Substanz (Quecksilber in Fisch) ist eine Sache, die Bewertung, also die Einordnung des Gefundenen in schon bekannte Tatsachen eines Fragenkomplexes aber eine ganz andere.

Dies ist auch der Grund, warum die Ergebnisse epidemiologischer Studien oft mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten. Das liegt in der Natur dieser Studien, macht sie aber deshalb nicht weniger wichtig.

Eine der vielen durch diese Studie aufgeworfenen und schwer zu beantwortenden Fragen ist die, wie sich ASS und andere nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID) auf die pankreatische Krebsentstehung auswirken können. Dr. John A. Baron ist deshalb zuzustimmen, wenn er in seinem der Veröffentlichung vorausgeschickten Kommentar sagt, "dass es keine einfachen Antworten auf diese Frage gibt."

Sowohl die Studienleiterin, Dr. Eva S. Schernhammer, als auch Bayer betonen, dass das potenzielle Risiko eines ASS-induzierten Pankreaskarzinoms in Verbindung mit den Vorteilen einer ASS-Einnahme bewertet werden müsse, wobei die hohe Zahl der Herz-Kreislauf-Opfer der vergleichsweise geringen Zahl von Pankreaskrebs-Opfern beispielhaft gegenüber gestellt wird.

Mit dieser Argumentation wird Antwort auf eine Frage gegeben, die überhaupt nicht gestellt wurde und sich derzeit auch gar nicht stellt. Erst wenn aus dem potenziellen Risiko eines Medikaments ein reales Risiko von relevanter Größe geworden ist, stellt sich u.a. für eine Kontrollbehörde die Frage, ob und gegebenenfalls welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen sind.

Und erst in diesem Stadium ist es notwendig und sinnvoll, eine Abwägung des diskutierten Risikos und des Gesamt-nutzens eines Medikaments vorzunehmen. Der schon jetzt gegebene Hinweis auf den vielseitigen Nutzen von Acetylsalicylsäure ist auch deshalb unglücklich, weil beim Laien der Eindruck entsteht, an der schlechten Nachricht muss etwas dran sein, sonst würde man nicht mit guten Botschaften gegenargumentieren. Deshalb ganz klar: Die hier diskutierte Studie enthält nichts, was derzeit zu einer Nutzen-Risiko-Abwägung Anlass geben könnte.

In dem der Studie vorangestellten Kommentar sagt Dr. Baron, dass widersprüchliche Forschungsergebnisse oft ein Motor für weiteren wissenschaftlichen Fortschritt sein können. Stimmt, vorausgesetzt sie werden dort diskutiert, wo sie hingehören, in den wissenschaftlichen Zirkeln. Wenn sie aber an die Öffentlichkeit gelangen und von Unzuständigen diskutiert werden, können sie einem Medikament auch immensen Schaden zufügen.

Klaus Heilmann

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

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