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Umfrage: Relative Ruhe am HV-Tisch

BONN (im). Läuft der Apothekenbetrieb in diesen Tagen schon "normal"? Ungültige alte Befreiungsbescheide, neuer Zuzahlungsmodus, Wegfall der Härtefallregelung, OTC nicht mehr auf Kassenrezept Ų der Jahreswechsel brachte viele Änderungen. Haben die Patienten das bereits verdaut? Wir haben in einer Kurzumfrage Kolleginnen und Kollegen nach ihren Erfahrungen in ihrer Apotheke gefragt. Ein Fazit: Es sind mehr Erklärungen am HV-Tisch nötig als vorher. Und: Während bei den Arzneimitteln und "normalen" Hilfsmitteln alles klar zu sein scheint, gibt es Probleme in der Praxis mit den Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind.

Dr. Reinhold Sieben, Anker-Apotheke, Mainz:

In der Apotheke ist es noch relativ ruhig, da die Patienten sich zum großen Teil im Dezember mit ihren Arzneimitteln versorgt haben. Einige Kranke schimpfen über die von den Politikern beschlossenen Reformen und sind verärgert oder enttäuscht, größtenteils ergeben sie sich jedoch in ihr Schicksal, habe ich den Eindruck. Nur wenige stellen Fragen zu den Neuregelungen. Die meisten haben ihre Aggressivität, wenn sie vorhanden war, wohl beim Arzt herausgelassen. Dort scheint es turbulenter zuzugehen.

Ich muss sagen, die ABDA hat recht gute Vorarbeiten geleistet, was die Änderungen zu den Zuzahlungen und die Befreiungen angeht. So konnten wir den Patienten schon im Dezember die Broschüren zur neuen Zuzahlungsregelung mitgeben, so dass die meisten jetzt informiert waren.

Viele Kranke haben jetzt einen Quittungsblock von ihrer Krankenkasse zugeschickt bekommen, den anderen geben wir den Kassenbon zum Sammeln der Belege. Einen höheren Erklärungsbedarf beobachte ich insgesamt schon. Zu nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die nicht mehr erstattungsfähig sind, gab es jedoch bis jetzt kaum Fragen. Einige Ärzte nutzen hier zum Teil die Übergangsfrist im ersten Quartal und verordnen ab und an noch OTC, wir beliefern die Rezepte. Hier gibt es keine Probleme.

Wir waren allerdings etwas gefordert bei Hilfsmitteln zum Verbrauch, wie Stoma-oder Inkontinenzprodukten, da hier hinsichtlich Monatsbedarf und Zahlungshöchstsatz von der Umsetzung her nicht alles klar zu sein scheint.

Karla Dittmann, Neue Apotheke, Sömmerda:

Die Patienten sind zum Teil resigniert, lassen es jetzt so auf sich zukommen. Sie verstehen die Neuregelungen teils nicht, aber bezahlen die Zuzahlungen halt einfach. Wir müssen viel mehr erklären als vorher, das ist eindeutig so. Einige Fragen kamen zu den abgelaufenen Befreiungsbescheiden, die die Kranken eigentlich ihren Kassen stellen sollten.

Einige wurden von den Krankenkassen zu uns zur Information geschickt. Das ist schon seltsam, dass jemand, der die Leistung eigentlich erbringen muss wie die Kasse, einen Patienten zu einem anderen Dienstleister – zu uns – schickt. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man das fast lustig nennen.

Etliche Ärzte halten sich daran, dass nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mehr auf Kassenrezept verordnet werden dürfen, einige allerdings nicht. Wir beliefern diese Rezepte, zumal noch die Übergangsfrist im ersten Quartal gilt und die eine Auflistung fehlt, in welchen Indikationen OTC auch weiterhin verschrieben werden dürfen.

Wir beliefern diese Rezepte auch vor dem Hintergrund, dass ich keine Prüfpflicht gegenüber dem Arzt habe, der muss von seiner Kassenärztlichen Vereinigung über die Neuregelung informiert werden. So habe ich keine Kenntnis darüber, ob ein Präparat in das Therapieschema eines Arztes gehört oder nicht.

Dass nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel jetzt selbst bezahlt werden müssen, führt schon zu Nachfragen bei den Patienten. Wir erklären dies dann.

Bernd Küsgens, Ahorn-Apotheke, Düren:

Noch herrscht kein normaler Apothekenbetrieb, es besteht permanent Informationsbedarf. Viele Patienten wissen zwar schon in einigen Punkten Bescheid, haben aber Defizite bei anderen. Unklar ist einigen, ob die Praxisgebühr auch auf die Zuzahlungssumme für die anschließende Befreiung angerechnet wird.

Zu abgelaufenen Befreiungsbescheiden kamen noch keine Nachfragen, das haben wir in den Apotheken wohl gut transportiert, ehrlicherweise muss man sagen, hier haben auch die Krankenkassen informiert. Das hat funktioniert.

Die Mitarbeiter bei Krankenkassen haben aber leider in anderen Bereichen Defizite. Sie können oft keine Fragen aus ihrem eigenen Bereich beantworten oder ihren Versicherten die Neuregelungen herüberbringen. Ich habe den Eindruck, wir Apotheker wissen am meisten.

Die Krankenkassen sind natürlich nicht allein schuld daran. Es stimmt im übrigen nicht, was Schröder im Fernsehen gesagt hat, dass alle Beteiligten seit drei Monaten die Regelungen des Reformgesetzes wissen konnten. Nehmen Sie das Beispiel, wer zu den chronisch Kranken zählt. Das wird erst jetzt in diesen Tagen entschieden.

Grundsätzlich ist das neue Gesetz wieder zu schnell gestrickt worden. So ist beispielsweise unklar, ob die, die über das damalige Kriegsopferversorgungs-Gesetz oder die, die über das heutige Bundesversorgungsgesetz versichert sind, von Zuzahlungen und Praxisgebühr befreit sind.

Unmut zeigen diejenigen, die zum Teil OTC jetzt selbst bezahlen müssen. Ein Stammkunde von mir, der bisher völlig von Zuzahlungen befreit war, musste nun beim ersten Besuch 30 Euro selbst bezahlen, einmal zehn Euro für Selbstbehalte und die übrigen zwanzig Euro für OTC-Präparate. Dieser Patient war erstmal entsetzt. Einige sind deswegen schon frustriert.

Viel schlimmer ist jedoch, dass niemand aufgearbeitet hat, dass die alten Härtefallregelungen weggefallen sind. Es ist ein Unding, dass bei Heimbewohnern mit nur kleinem Taschengeld auch zunächst die Zuzahlung anfällt. Oder dass sich niemand Gedanken um diejenigen Menschen gemacht hat, die nach dem Behinderten-Recht abgesichert sind.

Ich beobachte als weiteres die Schwierigkeiten hier bei einer behinderten Wohngruppe. Auf der einen Seite fördert der Staat vieles, auf der anderen Seite langt er hilfsbedürftigen Menschen in die Tasche. Ein Vater, der seit 15 Jahren seinen behinderten Sohn zuhause pflegt, sagte mir, er könne die Zuzahlungen nicht tragen. Aber auch die Situation der Heimbewohner mit Taschengeld ist dramatisch.

Dr. Petra Herrmann, Dr. Herrmann-Apotheke, Düsseldorf:

Der Rezeptbetrieb läuft zur Zeit relativ ruhig. Das ist damit zu erklären, dass hier im Dezember überdurchschnittlich viel zu tun war.

Die Patienten reagieren ruhig auf die Neuregelungen, beispielsweise auf die abgelaufenen Befreiungsbescheide. Unmutsäußerungen hat es nur ganz wenige gegeben. Wir hatten das aber auch gut vorbereitet, die Patienten stark aufgeklärt und ihnen die Infoblätter der ABDA und unseres Verbands mitgegeben.

Bei vielen ändert sich ja nichts. Ein Beispiel: Ein Patient, der eine N3-Packung verschrieben bekommen hat, zahlt heute bei einem Arzneipreis von unter 50 Euro fünf Euro dazu, das ist wie bei der alten Regelung.

Was mir aufgefallen ist, ist, dass die Leute mehr als früher Belege sammeln. In meiner Apotheke führe ich Kundenkarten, und die Kunden bitten mich, das wie bisher weiterzuführen.

Ein wenig problematisch ist es bei bisher preisgünstigen Arzneimitteln, die durch die neue Preisgestaltung teurer geworden sind. So gab es zum Beispiel Nachfragen bei Benzodiazepinen, etwa Diazepam-Präparaten, deren Preis fast viermal so hoch liegt als im Vorjahr. Hier haben die Patienten, die durch die Verordnung auf einem Privatrezept die Preise der Arzneistoffe kennen, nach dem Grund gefragt. Einige waren nicht sehr einsichtig.

Ich habe ihnen geantwortet, dass zuvor bei diesen preiswerten Medikamenten ein Teil der Arbeit in der Apotheke nicht bezahlt worden ist. Vielleicht ist es aus pharmazeutischer Sicht nicht das schlechteste, dass diese Präparate teurer wurden, unter Umständen wirkt das dämpfend auf den Gebrauch, das bleibt abzuwarten.

Einen höheren Beratungsbedarf sehe ich bei apothekenpflichtigen, nicht-rezeptpflichtigen Präparaten, hier vor allem bei Phytopharmaka. Wir haben uns im Team in meiner Apotheke darauf verständigt, dass wir die Übergangsfrist bis zum ersten April (innerhalb derer die Ärzte ausnahmsweise noch bestimmte OTC verordnen dürfen, die Red.) nicht groß thematisieren. Wir informieren bereits heute in dem Sinn, dass die Krankenkassen fast keine rezeptfreien Arzneimittel mehr bezahlen dürfen.

Auffallend war, dass auch Sozialhilfeempfänger einsichtig waren. Auch die Befreiungsbescheinigungen von Methadon-Abhängigen, die von Sozialhilfe leben, liefen ja ab, zudem gab es den Switch in der Zuständigkeit vom Sozialamt hin zu einer gesetzlichen Krankenkasse. Das läuft jedoch zur Zeit ohne Probleme.

Ulf Ullenboom, Apotheke am Markt, Olpe:

Im Apothekenbetrieb läuft alles unproblematisch. Der "normale" Kunde ist informiert. Er erwartet zum Teil höhere Zuzahlungen zu Arzneimitteln und ist dann überrascht, wenn dem nicht so ist. Bei den meisten Patienten ändert sich ja nichts.

Ganz eindeutig gab es einen Vorzieheffekt bei Medikamenten im November und Dezember, die chronisch Kranken sehen wir im Moment gar nicht in der Apotheke, sie sind noch mit ihren Präparaten versorgt.

Probleme gibt es derzeit leider mit den Heimen und den Heimbewohnern. Ärzte stellen zum Teil keine Rezepte aus, weil ihnen die zehn Euro Gebühr nicht vorliegen, so dass im Moment die Angehörigen oder Betreuer in die Heime kommen, dort die Chipkarte ihrer Verwandten abholen, die zehn Euro in der Praxis bezahlen und die Arzneimittelrezepte bestellen.

Bei uns beschweren sich die Heimleiter zum Teil, dass die Arzneimittelversorgung noch nicht reibungslos läuft. Allerdings hätten die Heimträger meiner Meinung nach im Dezember sehr viel mehr informieren können und konkret die Angehörigen, die ihre Verwandten wegen der Feiertage besuchten, bitten können, das Taschengeld aufzustocken. Hier gibt es noch viele Probleme, etwa bei Demenzkranken in den Heimen. Bei einigen weiß man nicht, ob die ein Taschengeld besitzen. Das Abklären kostet viel Zeit.

Während es bei den Arzneimitteln wie gesagt reibungslos läuft, gibt es dagegen Probleme bei den Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind, wie Inkontinenzartikel. Hier gibt es ja eine spezielle Regelung, mit einer zehnprozentigen Zuzahlung pro Packung, höchstens jedoch zehn Euro für den Monatsbedarf pro Indikation. Das ist zum Teil den Patienten nicht zu vermitteln.

Einige Hersteller haben wohl nicht ihre Hilfsmittelkennzeichen gemeldet, hinzu kommt, dass Pharmatechnik anscheinend seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, denn in der Lauer-Taxe ist einiges zumindest missverständlich.

So wurden zum Beispiel pauschal fünf Euro pro Katheter angesetzt, das wären bei drei Verordnungen 15 Euro, es gilt jedoch grundsätzlich für Hilfsmittel die normale Zuzahlungsregelung zwischen fünf und zehn Euro. Hier gibt es noch offene Fragen. Warum sind die Blutzuckerteststreifen frei von Zuzahlungen, die Lanzetten jedoch nicht?

Etwas mehr Arbeit bedeutet das Anbieten von Kundenkarten, das wir jetzt verstärken, um als Service für die Patienten deren Zuzahlungsbelege zu sammeln. Grundsätzlich scheinen die Kranken darüber informiert zu sein, dass die alten Befreiungsbelege abgelaufen sind, die Krankenkassen haben wohl informiert, von der AOK und der BEK ist es uns bekannt.

Unser Verband hat gut informiert, bisher ist es noch nicht vorgekommen, dass jemand die Zuzahlung nicht leisten wollte. Für die türkischen Mitbewohner steht unsere türkische Praktikantin für Erklärungen bereit.

Unmutsäußerungen gab es vereinzelt, weil bestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel durch die Neuregelung jetzt teurer geworden sind. Konkret entstehen für eine Patientin, die ihr Kontrazeptivum, also die Pille, auf Privatrezept holt, vergleichsweise hohe Kosten bei einer Monatspackung, die 3erPackung ist gemessen daran günstiger. Hier gab es Nachfragen.

Der Verwaltungsaufwand scheint insgesamt in den Arztpraxen enorm zu sein, was die Patienten zum Teil nervt; die Apotheken sind, was das angeht, nicht so sehr betroffen.

Gespräche laufen zur Zeit mit den Ärzten, weil die die Auswirkungen der neuen Preise bei den rezeptpflichtigen Arzneimitteln in ihrem Verordnungsbudget nicht abschätzen können. Bei Kinderärzten dürften die Kosten tendenziell nach oben gehen, weil die überwiegend bisher preisgünstige Arzneimittel verschrieben, das sieht etwa bei Internisten mit vielen teuren Medikamenten unter den Verordnungen ganz anders aus. Die Ärzte sind in dem Punkt verunsichert.

Kathrin Pröll, Schlossberg-Apotheke, Karlsruhe:

Von der Kundenzahl her gesehen kommen zurzeit mehr Patienten als erwartet, der Betrieb läuft etwas überdurchschnittlich. Ich bin eher davon ausgegangen, dass die Patienten sich bevorratet hätten. Zu den Zuzahlungsänderungen muss man sagen, dass wir glücklicherweise gut vorarbeiten konnten, wir konnten speziell unsere Stammkunden gut mit Informationen versorgen. Der Landesverband hatte uns bereits drei Monate vor Jahresende Infos geschickt, so dass sich Nachfragen dazu in Grenzen halten.

Die Bandbreite der Reaktionen in unserer Apotheke reichen von demjenigen, der völlig irritiert ist, weil eine Zuzahlung pro Arzneimittel anfällt, was ja aber prinzipiell bei der alten Regelung auch so war, über diejenigen, die Verständnis dafür haben, dass Gesundheit nicht billig ist, bis hin zu denjenigen, die das alles unmöglich finden.

Ich habe den Eindruck, dass etliche bei der allgemeinen Hysterie verfolgen, wie hoch die Belastungen sind, auch diejenigen, denen das vorher gleichgültig war.

Auf jeden Fall liegt der Erklärungsbedarf derzeit noch höher. Dass die Befreiungsbescheide abliefen, ist nur an ein bis zwei Leuten vorbeigegangen. Prinzipiell sind die Befreiungen ein Thema, allerdings überwiegt die Dankbarkeit der Kunden, dass wir als Service die Belege der Zuzahlungen verwalten oder Quittungshefte aushändigen. Das wird positiv anerkannt.

Unmutsäußerungen kamen von Patienten wegen der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die nicht mehr auf Kassenrezept verordnet werden dürfen. Das unterstütze ich im Übrigen inhaltlich in manchen Bereichen. Der Durchschnittspreis eines apothekenpflichtigen Medikaments ist so deutlich unter dem eines verschreibungspflichtigen, dass es noch nicht einmal aus Kostengründen Sinn macht. Das ist meines Erachtens ein Schritt zurück, vor allem, was die Phytopharmaka angeht.

Es ist unverständlich, dass Ärzte bereits jetzt schon zum Beispiel pflanzliche Arzneimittel nicht mehr verschreiben, obwohl der Ausnahmekatalog, der die Verordnung bestimmter OTC künftig erlaubt, noch gar nicht veröffentlicht wurde. Viele Patienten erhalten zurzeit solche Präparate auf Privatrezepten.

Dass die Ärzte aber teils uninformiert sind zeigt sich daran, dass ein Mediziner einem Patienten ein verschreibungsfähiges Diclofenac-Präparat statt auf einem Kassen- auf einem Privatrezept verordnete. Es hätte sich schon ein deutlicher Unterschied zwischen Zuzahlungsbetrag und dem Gesamtpreis des Präparats für den Kunden ergeben, der vorher befreit war. Im Nachhinein entschuldigte sich der Arzt, seine Software habe ihn falsch unterrichtet. Da hapert es noch bei einigen Ärzten.

Wir schätzen uns glücklich, dass wir gut informiert sind. Insgesamt bin ich zufrieden, dass wir mit Unterstützung des Softwarehauses alle entsprechenden Informationen hatten, alles hat gut geklappt.

Läuft der Apothekenbetrieb in diesen Tagen schon "normal"? Ungültige alte Befreiungsbescheide, neuer Zuzahlungsmodus, Wegfall der Härtefallregelung, OTC nicht mehr auf Kassenrezept – der Jahreswechsel brachte viele Änderungen. Haben die Patienten das bereits verdaut? Wir haben in einer Kurzumfrage Kolleginnen und Kollegen nach ihren Erfahrungen in ihrer Apotheke gefragt. Ein Fazit: Es sind mehr Erklärungen am HV-Tisch nötig als vorher.

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