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Heil- und Hilfsmittelversorgung: Gmünder Ersatzkasse will Licht ins Dunkel brin

BERLIN (ks). Heil- und Hilfsmittelverordnungen bilden den viertgrößten Ausgabenblock in der gesetzlichen Krankenversicherung Ų dennoch sind sie bislang kaum untersucht worden. Gründe hierfür sind unter anderem der intransparente Markt und die unübersichtliche Zahl der Anbieter. Die Gmünder Ersatzkasse (GEK) hat sich nun an die beiden stiefmütterlich behandelten Versorgungsbereiche herangewagt: Vier Wissenschaftler vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen haben in ihrem Auftrag den ersten GEK-Heil- und Hilfsmittelreport erstellt. Eine Erkenntnis der Studie: Wird in der Apotheke ein Hilfsmittel mithilfe des ABDA-Artikelstamms über die Pharmazentralnummer (PZN) abrechnet, so muss dies noch nicht heißen, dass dieses Produkt auch im Hilfsmittelverzeichnis enthalten und damit erstattungsfähig ist.

Der GEK-Vorstandsvorsitzende Dieter Hebel präsentierte den GEK-Heil- und Hilfsmittelreport 2004 gemeinsam mit den Autoren Prof. Gerd Glaeske und Dr. Elke Scharnetzky am 12. Juli in Berlin. Glaeske – seit einigen Jahren auch für den GEK-Arzneimittelreport verantwortlich – wies eingangs auf die Unübersichtlichkeit der Materie hin: "Heil- und Hilfsmittel verschlingen enorm viel Geld. Dabei bleibt vieles intransparent und in seiner Versorgungsqualität schwer nachvollziehbar". So fehlten bislang systematische Analysen wie sie in der Arzneimittelversorgung bekannt sind und eine verbindliche Kodierungssystematik wie bei Medikamenten. Auch mangele es an einer einheitlichen Belegerfassung. Hinzu komme, dass es "Unmengen von Anbietern" gebe und einen "Wildwuchs" bei den Verträgen. Während es nur einen Arzneiliefervertrag gibt, so Glaeske, existieren rund 10 000 Verträge mit Leistungserbringern. Der Arzneimittelmarkt wirke dagegen "geradezu geordnet und aufgeräumt".

Am teuersten: Krankengymnastik und Sehhilfen

Datenbasis des Reports sind 574 000 Hilfsmittel- und 462 000 Heilmittelverordnungen von GEK-Versicherten im Jahr 2003. Untersucht wurden die Ausgabenverteilungen nach Leistungsschwerpunkten, Region, Geschlecht und im Verhältnis zu den Gesamtkosten. Ausgaben im Wert von 135 Mio. Euro wurden für den Report ausgewertet. Die höchsten Kosten entfielen bei den Heilmitteln auf Leistungen von Krankengymnasten und Physiotherapeuten. Sie lagen bei 46 Mio. Euro. An zweiter Stelle stehen mit 8,7 Mio. Euro die ergotherapeutischen Leistungen – das sind bereits 90 Prozent aller Ausgaben für Heilmittel bei der GEK.

Bei den Hilfsmitteln nahmen Sehhilfen den ersten Platz im GEK-Ausgaben-Ranking ein: Für sie zahlte die Krankenkasse 12,9 Mio. Euro. Orthopädische Schuhe lagen mit 6,1 Mio. Euro auf Platz zwei, gefolgt von Bandagen (5,2 Mio. Euro), Einlagen (5,2 Mio. Euro) und Hörhilfen (4,6 Mio. Euro). Auf diese ersten fünf von insgesamt 40 Hilfsmittelproduktgruppen kommen bereits fast 50 Prozent der GEK-Hilfsmittelausgaben.

Krankengymnastik statt Antirheumatika?

Glaeske verwies auch auf einen qualitativen Befund: Man könnte vermuten, dass insbesondere bei Rücken- und Gelenkbeschwerden Krankengymnastik für viele Patienten die verträglichere Therapie ist als die dauerhafte Einnahme von Rheumamitteln. Denn gerade bei älteren Menschen verursachen die Medikamente häufig Magenbeschwerden oder -blutungen. Doch bei der Auswertung von Verordnungen krankengymnastischer Anwendungen zeigen sich – wie auch bei den Arzneimittelverordnungen – deutliche regionale Unterschiede.

So sind in der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordbaden die Ausgaben für nicht-steroidale Antirheumatika mit am höchsten (50 Packungen pro hundert Versicherte; Platz 4 unter 23 KVen) – gleichzeitig liegt dort aber auch die Verordnungsquote für Krankengymnastik am höchsten: 85 Verordnungen pro 100 Versicherte. Eine Substitution von Rheumamitteln durch Krankengymnastik lässt sich also kaum vermuten, so Glaeske.

Etwas anderes sieht es etwa im Saarland aus: Hier werden viele Antirheumatika verordnet (Platz 3 unter allen KVen), aber vergleichsweise wenige Krankengymnastikanwendungen (Platz 18). In Sachsen, Südbaden und Südwürttemberg sieht das Bild wieder anders aus: Hier sind die Anteile der Verordnungen nicht-steroidaler Antirheumatika relativ niedrig und die Verordnungen von Krankengymnastik vergleichsweise hoch.

Missbrauch von Hilfsmittelpositionsnummern

Rund sieben Prozent (5,5 Mio. Euro) der GEK-Ausgaben für Hilfsmittel fallen in Apotheken an. Dass es hierbei zu Qualitätsdefiziten kommen kann, erläuterte Elke Scharnetzky: Maßgeblich für die Abgabe von Hilfsmitteln in der Apotheke ist das Hilfsmittelverzeichnis, das von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen erstellt wird. Lediglich Hilfsmittel, die definierte Qualitätsstandards erfüllen, werden in das Verzeichnis aufgenommen und erhalten eine Hilfsmittelpositionsnummer.

Die Abrechnung in den Apotheken erfolgt allerdings lediglich anhand der PZN – die sonstigen Leistungserbringer rechnen über die Hilfsmittelpositionsnummer ab. Hersteller bekommen für ein Produkt eine PZN von der Informationsstelle für Arzneimittel (IFA) GmbH in Frankfurt zugeteilt, wenn sie diese unter Angabe einer eventuell vorhandenen Hilfsmittelpositionsnummer beantragen und ca. fünf Euro zahlen.

Die Daten der IFA GmbH werden von den Apotheken ebenso genutzt wie von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und Ärzten. Auch im ABDA-Artikelstamm, der Basis jeder Apotheken-Warenbewirtschaftung, finden sie sich. "Doch leider stimmen die Daten nicht immer", so Scharnetzky. Ein Abgleich zwischen angegebener Hilfsmittelpositionsnummer und Hilfsmittelverzeichnis findet bei der IFA GmbH offenbar nicht statt. Und so kommt es im Zusammenhang mit der PZN-Beantragung offenbar immer wieder zu missbräuchlichen Angaben von Hilfsmittelpositionsnummern, erläuterte Scharnetzky.

Drei verschiedene Varianten des Missbrauchs konnten identifiziert werden: So haben möglicherweise einige Hersteller Hilfsmittelpositionsnummern, die ihnen für ein bestimmtes Produkt zugeteilt worden waren, auf andere eigene Produkte übertragen. 16 Hersteller konnten ausgemacht werden, die Hilfsmittelpositionsnummern anführen, die nach dem Hilfsmittelverzeichnis gar nicht vergeben wurden. In einer weiteren Variante wurden Hilfsmittelpositionsnummern verwendet, die einem anderen Hersteller für ein ähnliches Produkt zugeteilt wurden.

Ein Stützstrumpf in 1473 Varianten?

Erstaunliches ließ sich etwa bei den Hilfsmitteln zur Kompressionstherapie feststellen: 50 142 verschiedene PZN existieren im Bereich der Stützstrümpfe – doch es gibt lediglich 547 Hilfsmittelpositionsnummern. Unter einer Hilfsmittelpositionsnummer fanden sich gar 1473 verschiedene PZN. Man kann sich zwar noch vorstellen, dass verschiedene Farben, Größen, Materialen etc. unterschiedliche PZN erfordern – doch dass es einen Stützstrumpf in 1473 Varianten geben soll, findet Scharnetzky sehr "befremdlich".

Insgesamt sind für 4799 Hilfsmittelpositionsnummern im Artikelstamm der ABDA 68 723 PZN verzeichnet. Die Wissenschaftler stellten zudem fest, dass nur 74 von diesen 68 723 Artikelbezeichnungen im Hilfsmittelverzeichnis und im ABDA-Artikelstamm wörtlich übereinstimmen.

Überprüfung durch Apotheker kaum möglich

Für den Apotheker ist es nahezu unmöglich, festzustellen, ob ein Produkt, das laut ABDA-Artikelstamm über eine PZN und eine Hilfsmittelpositionsnummer verfügt, tatsächlich im Hilfsmittelverzeichnis enthalten ist oder nicht, betonte Scharnetzky. Schon weil die PZN im Hilfsmittelverzeichnis nicht aufgeführt ist. Für die Versicherten bestehe durch die Unstimmigkeiten die Gefahr, dass die verordneten und ausgelieferten Hilfsmittel nicht den festgelegten Qualitätsstandards entsprechen. Für die Wissenschaftlerin ist klar: Das Nebeneinander von PZN und Hilfsmittelpositionsnummer hat sich nicht bewährt. Scharnetzky fordert daher, die Hilfsmittelpositionsnummer weiterzuentwickeln, damit die Abrechnung künftig alleine durch diese Ziffer erfolgen kann.

Den vollständigen GEK-Heil- und Hilfsmittel-Report 2004 finden Sie im Internet unter www.gek.de im Bereich Presse/GEK-Studien.

Heil- und Hilfsmittelverordnungen bilden den viertgrößten Ausgabenblock in der gesetzlichen Krankenversicherung – dennoch sind sie bislang kaum untersucht worden. Die Gmünder Ersatzkasse (GEK) hat sich nun an die beiden stiefmütterlich behandelten Versorgungsbereiche heran gewagt: Vier Wissenschaftler vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen haben in ihrem Auftrag den ersten GEK-Heil- und Hilfsmittelreport erstellt.

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