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Arzneimittelversandhandel: Viel Lärm um wenig

BERLIN (ks). Der Versandhandel mit Arzneimitteln ist seit dem 1. Januar 2004 in Deutschland erlaubt Ų doch in der Praxis ist seine Bedeutung bislang gering. Denn die gesetzlichen Vorgaben für deutsche Versandapotheken sind eng geknüpft. Insbesondere ist ein Preiswettbewerb bei rezeptpflichtigen Medikamenten nicht möglich Ų das missfällt den potenziellen Versandapothekern. Auch die gesetzlichen Krankenkassen hatten sich mehr erhofft. Die ABDA sieht sich durch den schleppenden Anlauf von Versandapotheken bestätigt: Die öffentliche Apotheke nach dem bekannten Muster sei kaum zu "toppen", erklärte Frank Diener, ABDA-Geschäftsführer für Wirtschaft und Soziales, am 30. Juni in Berlin.

Auf einer Veranstaltung des Landesverbands Ost der Betriebskrankenkassen (BKK) und der Schering Deutschland GmbH wurde die neue Distributionsmöglichkeit für Medikamente von unterschiedlichen Seiten betrachtet. Die Frage lautete: "Arzneimittelversandhandel: Viel Lärm um nichts?" Dabei zeigte sich: Wer vor der Reform Großes vom Versand erwartet hat, ist nun ernüchtert, aber nicht hoffnungslos. Es gebe durchaus Teilerfolge, betonten etwa Thomas Kerckhoff vom Bundesverband Deutscher Versandapotheker (BVDVA) und Gerhard Schulte, Vorstandsvorsitzender des BKK-Landesverbands Bayern.

Diener: Ein Mythos wird entzaubert

Frank Diener zeigte hingegen auf, welche "mystischen Einsparerwartungen" nun der Realität gegenüberstehen: 1999 hatte das Augsburger INIFES-Institut ein kurz- und mittelfristig erreichbares Einsparpotenzial von 250 bis 600 Mio. Euro durch die Einführung des Arzneimittelversandhandels errechnet. Ausgegangen wurde von einem 15-prozentigen Marktanteil. Doch all diese Potenziale habe die Politik durch ihre Maßnahmen bei pharmazeutischen Großhändlern, Apotheken und Herstellern seit 1999 bereits gehoben, so Diener.

"Mit den Spielregeln des Jahres 2004 hätte die Arzneimittelrechnung der gesetzlichen Krankenversicherung in 1999 ca. 15 Prozent niedriger gelegen und INIFES ein Versandhandelspotenzial von Null ausgewiesen", erläuterte der ABDA-Geschäftsführer. Für ihn ist klar, warum die deutschen Versandapotheken "im Keller dümpeln": Nur Rosinenpicken macht Spaß – und genau dies ist aufgrund der neuen Preisbildung für verschreibungspflichtige Medikamente nicht mehr möglich.

Diener verwies zudem auf verschiedene Tests und Analysen zu Versandapotheken. Dies hätten zur "Entzauberung eines Mythos" beigetragen. So haben etwa die Stiftung Warentest, Verbraucherschutzzentralen, das ZDF-Magazin WISO oder auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung festgestellt, dass bei Versandapotheken die Preisunterschiede marginal, die Lieferzeiten lang, die Beratung mäßig und die Versandkosten hoch sind.

Krankenkassen: Noch bewegt sich nicht allzu viel

Der bayerische BKK-Chef Schulte hob darauf ab, dass mit der Erlaubnis des Versandhandels immerhin ein neuer und qualitätsgesicherter Vertriebsweg rechtssicher verankert werden konnte. Dieser bringe grundsätzlich auch mehr Wettbewerb ins System – und sei es dadurch, dass sich nun Hausapothekenmodelle etablieren. Diese, so Schulte, seien ebenfalls ein Ergebnis der gesamten Versandhandelsdiskussion.

Allerdings sei es dem Gesetzgeber missraten, gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken in Deutschland und in Europa zu schaffen – und ohne Preiswettbewerb sei der Versand "witzlos", so Schulte. Christopher Hermann von der AOK Baden-Württemberg räumte ein, dass die Marktwirklichkeit des Versandhandels bescheiden ist: Von rund 500 Mio. Euro Arzneiausgaben seiner Kasse in den ersten fünf Monaten dieses Jahres entfielen 0,195 Prozent auf den Versandhandel. 0,08 Prozent der Versicherten nutzten diese Bezugsmöglichkeit. Insgesamt wurden 1430 Rezepte von Versandapotheken eingelöst.

Kerckhoff: Die Zukunft gehört den industriellen Versandapotheken

Kerckhoff kritisierte ebenfalls den mangelnden Preiswettbewerb unter deutschen und europäischen Versendern. Hier sei das GKV-Modernisierungsgesetz klar "unzureichend". Eine echte Zukunft sieht er hierzulande lediglich für industrielle Versandapotheken mit über 1000 Aussendungen pro Tag – von diesen gibt es bislang etwa zehn in Deutschland. Nur diese erfüllten die qualitativen und quantitativen Anforderungen der pharmazeutischen Industrie und der Kostenträger und hätten damit eine Chance, deren Vertragspartner zu werden. Dazu zählten etwa auch besonders spezialisierte Apotheken, insbesondere Impfstoffversorgende.

Kleine Versandapotheken seien für große Kassen in der Regel nicht interessant als Kooperationspartner, so Kerckhoff. Der BVDVA-Vorsitzende kündigte zudem an, noch in diesem Monat eine indikationsspezifische Versandapotheke eröffnen zu wollen. Für sein Geschäft ist Kerckhoff zuversichtlich: Er prognostiziert, dass die Arzneimittelpreisverordnung, wie sie heute existiert, früher oder später fallen wird. Der einheitliche Arzneiliefervertrag wird durch ein Einzelvertragssystem abgelöst werden. Kerckhoff ist auch sicher, dass der Beruf des Apothekers seinen heilberuflichen Charakter verlieren wird. Spätestens dann würden auch standespolitische Positionen ihre gesellschaftliche Akzeptanz verlieren.

Der Versandhandel mit Arzneimitteln ist seit dem 1. Januar 2004 in Deutschland erlaubt – doch in der Praxis ist seine Bedeutung bislang gering. Auf einer Veranstaltung des Landesverbands Ost der Betriebskrankenkassen (BKK) und der Schering Deutschland GmbH wurde die neue Distributionsmöglichkeit für Medikamente von unterschiedlichen Seiten betrachtet. Dabei zeigte sich: Wer vor der Reform Großes vom Versand erwartet hat, ist nun ernüchtert, aber nicht hoffnungslos. 

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