DAZ aktuell

Apothekerkammer Berlin zu ABDA-Austritt verurteilt

BERLIN (ks). Geht es nach dem Berliner Verwaltungsgericht, so muss die Apothekerkammer Berlin (AK Berlin) aus der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Ų ABDA austreten. Die klagende Apothekerin Ingeborg Simon kann sich darauf berufen, dass Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz Ų das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit Ų sie vor einer pflichtmitgliedschaftlichen Inanspruchnahme schützt. Die Pflichtmitgliedschaft sei nicht zumutbar, weil innerhalb der ABDA ein Demokratiedefizit bestehe, urteilte die 14. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts: Selbstständige Apotheker seien hier im Gegensatz zu angestellten und beamteten Apothekern doppelt repräsentiert. Die Entscheidung fiel bereits am 6. Mai 2004 (siehe DAZ Nr. 20/2004, S. 21). Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen erst jetzt vor. (Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 6. Mai 2004, Az.: VG 14 A 385.98)

Das Verwaltungsgericht gab der Klägerin insoweit Recht, als dass diese ihre Klage darauf stützte, der Zusammenschluss der AK Berlin mit anderen Vereinigungen unter dem Dach der ABDA stelle sich nicht als eine Zusammenarbeit einander "gleichgestellter Partner" dar.

ABDA-Mitgliedschaft: Durch öffentliche Aufgaben gerechtfertigt ...

Grundsätzlich, so führte das Gericht aus, sei die Mitgliedschaft einer Zwangskörperschaft (hier: AK Berlin) in einem privatrechtlichen Verband oder Verein (hier: ABDA) aber zulässig. Die Rechtsgrundlage für den Zusammenschluss findet sich im Berliner Kammergesetz und ist verfassungsmäßig nicht zu beanstanden. Dabei muss sichergestellt sein, dass die privatrecht- liche Organisation, welcher der Berufsverband beigetreten ist und deren Agieren ihm damit zuzurechnen ist, sich nach ihrem Satzungszweck und mit ihren Aktivitäten noch im Bereich der Aufgaben bewegt, die der Zwangskörperschaft obliegen.

Auch dies sei im gegebenen Fall nicht anzuzweifeln, so die Verwaltungsrichter: Die ABDA nimmt laut ihrer Satzung die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder überregional wahr und fördert sie – dies ist grundsätzlich von den Aufgaben, die der beklagten Apothekerkammer gesetzlich zugewiesen sind, gedeckt. Die Koordinierung des bundesweiten Meinungs- und Erfahrungsaustauschs im Gesundheits- und Arzneimittelwesen sowie die Entwicklung einheitlicher Grundsätze für die apothekerliche Tätigkeit seien legitime Zwecke im Interesse der Effektivierung der Kammertätigkeit, heißt es im Urteil.

... wegen überproportionalem Einfluss der Apothekenleiter nicht zumutbar

Den kritischen Punkt sehen die Verwaltungsrichter darin, dass die Bestimmungen der ABDA-Satzung zu einem "überproportionalen Einfluss" der selbstständigen Apotheker im Verhältnis zu den abhängig beschäftigten Apothekern führen. Ausgangspunkt ist, dass die Pflichtmitgliedschaft in Organisationen und die damit verbundene Freiheitsbeschränkung trotz ihres legitimen Zwecks nur dann auch zumutbar ist, wenn sie den Mitgliedsorganisationen eine Chance zur Beteiligung und Mitwirkung bei staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet. Dies erfülle eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. Dezember 2001, Az.: BvR 1806/98).

Die funktionale Selbstverwaltung ist somit mit dem Demokratieprinzip verbunden. Konkret heißt dies: Schließen sich Zwangskorporationen (wie die AK Berlin) mit anderen Organisationen (wie den Apothekerverbänden) privatrechtlich zusammen, so muss die binnendemokratisch geforderte Beteiligungs- und Mitwirkungschance auch in dieser Kooperation erhalten bleiben. Dies habe vor allem Bedeutung, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Dachverband aufgrund seiner Außendarstellung als "Sprachrohr" oder "Parlament" des Berufsstandes auf Bundesebene wahrgenommen wird, so die Richter.

Die Satzung der Dachorganisation dürfe daher keine strukturelle Unter- oder Überrepräsentationen einzelner Mitgliedsorganisationen schaffen. Auch die tatsächliche Umsetzung der Bestimmungen dürfe nicht zu einer Benachteiligung oder Bevorzugung der Interessen bestimmter Teilgruppen führen, die der Apothekerkammer als Pflichtmitglieder angehören. Doch diesen Anforderungen genügt die ABDA-Satzung nach Auffassung der Verwaltungsrichter nicht.

Demokratiedefizit in laufender Geschäftstätigkeit

Die ABDA besteht gemäß ihrer Satzung aus den Apothekerkammern einerseits und den Apothekervereinen bzw. -verbänden andererseits. Während in den Kammern alle Apotheker – ob selbstständig oder nicht – Pflichtmit- glieder sind, gehören den Vereinen lediglich Apothekenleiter an. Damit seien die selbstständigen Apotheker in der ABDA gleichsam "doppelt repräsentiert", heißt es im Urteil. Die ABDA-Satzung sieht weiterhin vor, dass ihre Mitgliederversammlung aus jeweils höchstens vier Teilnehmern der Mitgliedsorganisationen zusammengesetzt ist.

Die Teilnehmer bestellt jede Mitgliedsorganisation selbst. Apothekenleiter haben somit in den Kammern wie auch in den Verbänden ein Mitwirkungsrecht bei der Teilnehmerauswahl. Den abhängig beschäftigten Apothekern wird hingegen die doppelte Mitwirkungschance vorenthalten. Die Satzung der ABDA sieht lediglich vor, dass die Teilhabe dieser Berufsgruppe in der Mitgliederversammlung durch eine Art Grundmandat gesichert ist: Mindestens ein Teilnehmer der Kammern muss ein nicht-selbstständiger Apotheker sein.

Das genügt dem Gericht jedoch nicht: Die personelle Teilidentität in den Mitgliedsorganisationen der ABDA führe zu einer Verschiebung der "tatsächlichen Machtverhältnisse" zwischen selbstständigen und angestellten bzw. beamteten Apothekern. Dieses "strukturell angelegte Übergewicht" könne auch nicht dadurch kompensiert werden, dass die Wahlen für sich unter demokratischen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sind, so die Richter. Ebenso wenig gelte dies für die in Streitfällen vorgesehene Regelung, nach der im Zweifel die Kammern überlegen sind.

Dies beseitige nicht das "Demokratiedefizit" in der laufenden Geschäftstätigkeit, das durch die Doppelrepräsentanz der selbstständig tätigen Apotheker angelegt sei. Allenfalls relativiere es seine Auswirkungen auf die konkreten Abstimmungen. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei es der AK Berlin als Zwangskörperschaft jedoch nicht erlaubt, sich zu Lasten ihrer abhängig beschäftigten Mitglieder mit den in den Verbänden nochmals separat organisierten Apothekenleitern in der Weise zusammenzuschließen, dass der Stimmenanteil der selbstständigen Apotheker in der ABDA überproportional zur Geltung kommt.

Berufung zugelassen

Der Klägerin steht damit dem Gericht zufolge ein Anspruch auf Austritt der beklagten Apothekerkammer aus der ABDA zu. Auf die von der Klägerin weiterhin vorgetragenen Rügen – wie Verstoß gegen die Haushaltsklarheit, wirtschaftliche und allgemeinpolitische Betätigung – kommt es nach Auffassung der Verwaltungsrichter nicht mehr an. Weil ein Austritt nur zum Jahresschluss mit einjähriger Kündigungsfrist möglich ist, wurde die AK Berlin zugleich verurteilt, bis zu ihrem Ausscheiden ihre Mitgliedschaftsrechte bei der ABDA nicht mehr auszuüben. Das Gericht hat die Berufung gegen das Urteil – deren Zulassung normalerweise zunächst gesondert zu beantragen ist – bereits zugelassen.

Geht es nach dem Berliner Verwaltungsgericht, so muss die Apothekerkammer Berlin aus der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA austreten. Die klagende Apothekerin Ingeborg Simon kann sich darauf berufen, dass Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz – das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit – sie vor einer pflichtmitgliedschaftlichen Inanspruchnahme schützt. Die Pflichtmitgliedschaft sei nicht zumutbar, weil innerhalb der ABDA ein Demokratiedefizit bestehe, urteilte die 14. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts. 

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