Arzneimittel und Therapie

Kolorektales Karzinom: Angiogenesehemmer Bevacizumab

Der monoklonale Antikörper Bevacizumab (Avastin®) verlängert in Kombination mit einem etablierten Chemotherapie-Regime das Überleben beim kolorektalen Karzinom signifikant um fünf Monate Ų das entspricht 30 Prozent. Bevacizumab hemmt die Gefäßneubildung im Tumor, die Angiogenese. Die europaweite Zulassung von Bevacizumab bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom ist Anfang 2005 zu erwarten.

Das kolorektale Karzinom gehört zu den häufigsten Malignomen in den westlichen Industrieländern: In der Tumorstatistik steht die Erkrankung nach dem Mammakarzinom bei Frauen und dem Bronchialkarzinom bei Männern an zweiter Stelle. Jährlich erkranken in Deutschland rund 57 000 Menschen, von denen etwa die Hälfte pro Jahr stirbt.

Chemotherapie mit Oxaliplatin oder Irinotecan

Zur Chemotherapie des kolorektalen Karzinoms werden heute der Topoisomerasehemmer Irinotecan und das Platinderivat Oxaliplatin mit Fluorouracil (5-FU)- und Folinsäure (Leucovorin; LV) kombiniert. Die Dreier-Kombinationen FOLFIRI (5-FU, FS, Irinotecan) bzw. FOLFOX (5-FU, FS, Oxaliplatin) gelten als Standard in der First-line-Behandlung des fortgeschrittenen kolorektalen Karzinoms im Stadium IV.

Neues Therapiekonzept: Hemmung der Angiogenese

Mit einem besseren Verständ-nis der Tumorbiologie wurden neue potenzielle therapeutische Angriffspunkte entdeckt, die eine gezieltere Tumorbekämpfung ermöglichen. Von besonderem Interesse ist dabei die Angiogenese, die Gefäßneubildung. Unter physiologischen Bedingungen findet eine Angiogenese bei Erwachsenen nur bei der Wundheilung oder während der Aufbauphase des Endometriums im Menstruationszyklus der Frau statt.

Ein Tumor benötigt neue Gefäße, damit er auch bei wachsender Größe ausreichend mit Blut versorgt wird. Wenn er über mikroskopische Grenzen hinaus wächst, können die malignen Zellen nicht mehr alleine durch Diffusion ernährt werden. Für eine weitere Größenzunahme benötigt er neue Gefäße. Deren Bildung wird durch verschiedene Faktoren gefördert. Einer der wichtigsten ist der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor). Dieser Wachstumsfaktor ist die Achillesferse des Tumors: Wenn VEGF gehemmt wird, hungert das Krebsgeschwür und kann nicht weiter wachsen.

Bevacizumab verlängert Überleben um fünf Monate

Der rekombinante humanisierte monoklonale Antikörper Bevacizumab ist der VEGF-Hemmer, der bisher am häufigsten in der Klinik eingesetzt wurde. Bevacizumab ist seit Februar dieses Jahres in den USA in Kombination mit einer 5-FU-basierten Chemotherapie zur First-line-Therapie bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom zugelassen. Diese Entscheidung der amerikanischen Zulassungsbehörde basierte auf den Ergebnissen einer Phase-III-Studie. In dieser Studie lebten die Patienten, die als Ko-Medikation zu einer Standard-First-line-Chemotherapie Bevacizumab erhalten hatten, im Durchschnitt fünf Monate länger als die Patienten unter alleiniger Zytostatikagabe.

Die randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie umfasste insgesamt 925 Patienten mit therapienaivem, metastasiertem kolorektalem Karzinom, die nach randomisierten Kriterien zusätzlich zur etablierten First-line-Therapie mit Irinotecan/5-FU/Leucovorin (IFL) als Bolus entweder Plazebo oder Bevacizumab erhielten (5 mg/kg Körpergewicht alle zwei Wochen). Die Patienten im dritten Studienarm erhielt nur 5-FU/FS als Bolus plus Bevacizumab.

Die mediane Gesamtüberlebenszeit unter Therapie mit Bevacizumab lag bei 20,3 Monaten im Vergleich zu 15,6 Monaten in der IFL-Plazebo-Gruppe. Damit lebten die Patienten der Bevacizumab-Gruppe nahezu fünf Monate länger - ein statistisch hochsignifikantes Ergebnis (p = 0,00003). Auch das mediane progressionsfreie Überleben verbesserte sich nach Gabe von Bevacizumab ebenfalls statistisch hochsignifikant von 6,2 auf 10,6 Monate (p < 0,00001), eine Steigerung um 70 Prozent.

Der signifikante Überlebensvorteil basierte auf der hohen Tumor-Rückbildungsrate unter kombinierter Immuno-Chemotherapie: Die Tumoransprechrate (komplette und partielle Remissionen) betrug nach zusätzlicher Bevacizumab-Gabe 45% und 35% unter Standardtherapie (p < 0,0029). Die Ansprechdauer lag bei 10,4 vs. 7,1 Monaten (p = 0,0014). Die Immuno-Chemotherapie mit Bevacizumab erwies sich als gut verträglich: Etwa jeder zehnte Patient entwickelte eine arterielle Hypertonie (10,9% vs. 2,3%), die mit oralen Antihypertensiva problemlos kontrolliert werden konnte.

Angiogenesehemmung als sinnvolle Strategie

Mit Bevacizumab wurde so der größte Fortschritt in der Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms erzielt, der jemals in einer einzelnen Studie gezeigt werden konnte. Damit wurde erstmals in der Klinik deutlich, dass die zielgerichtete Angiogenesehemmung in der Tumorbehandlung eine sinnvolle Strategie sein könnte.

Europaweite Zulassung Anfang 2005 erwartet

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ist die europaweite Zulassung von Bevacizumab bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom im ersten Quartal des Jahres 2005 zu erwarten. Darüber hinaus wird der Nutzen des monoklonalen Antikörpers in Kombination mit dem FOLFOX- und XELOX (Capecitabin/Oxaliplatin)-Regime im Rahmen einer plazebokontrollierten Phase-III-Studie mit insgesamt 1620 Patienten untersucht.

Inwieweit auch Patienten mit kolorektalem Karzinom in der adjuvanten Situation von Bevacizumab profitieren, wird in einer demnächst beginnenden großen Phase-III-Studie geprüft. Erste viel versprechende Ergebnisse sind zudem bei der Behandlung mit Bevacizumab in anderen Tumoren wie beispielsweise dem Nierenzellkarzinom zu verzeichnen.

Das kolorektale Karzinom

  • Das kolorektale Karzinom ist mit weltweit mehr als 600 000 Neuerkrankungen die dritthäufigste Krebsart. Zwischen 1960 und 1980 hat sich die Zahl der Patienten verdoppelt. Heute erkranken in Deutschland 30 000 Frauen und 27 000 Männer pro Jahr neu. Damit erkranken in Deutschland im Vergleich zu den übrigen EU-Staaten und den USA im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Menschen. In Deutschland ist das kolorektale Karzinom die zweithäufigste Krebstodesursache bei Frauen und Männern.
  • Als Ursachen werden unter anderem eine Ernährung mit einem hohen Anteil tierischer Fette und der häufige Verzehr von "rotem Fleisch" (Rind, Schwein, Lamm) angesehen. Auch kolorektale Erkrankungen wie Polypen, eine langjährige Colitis ulcerosa mit hoher Entzündungsaktivität sowie eine genetische Prädisposition erhöhen das Risiko für diese Krebsart.
  • Über 80% aller Patienten erkranken nach dem 60. Lebensjahr, bei 20% der Patienten sind zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Fernmetastasen vorhanden. Etwa die Hälfte aller Betroffenen stirbt innerhalb von 5 Jahren an den Folgen der Erkrankung.
  • 25% bis 70% der kolorektalen Karzinome überexprimieren den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), bis zu 80% den epidermalen Wachstumsfaktor(EGF)-Rezeptor.

Therapie des kolorektalen Karzinoms

  • Operation: In frühen Tumorstadien nach kurativer Resektion 5-Jahres-Überlebensrate derzeit bei rund 50%. Bei bis zu 2/3 der Patienten treten nach der Resektion Metastasen auf.
  • Bestrahlung
  • Adjuvante Chemotherapie: Standardkombination 5-Fluorouracil (5-FU)/Folinsäure (FS)
  • Bisherige palliative Chemotherapie: Kombination 5-FU/FS mit Irinotecan (FOLFIRI) oder Oxaliplatin (FOLFOX); Kombination Capecitabin (Xeloda®) mit Oxaliplatin (XELOX) oder Irinotecan (XELIRI)
  • Neue Antikörper zur palliativen Chemotherapie: Bevacizumab (Anti-VEGF) ist in den USA bei metastasiertem kolorektalen Karzinom in Kombination mit 5-FU-basierter Chemotherapie zur First-line-Therapie zugelassen (Avastin®). Cetuximab (Anti-EGF, Erbitux®) ist in Kombination mit Irinotecan-basierter Chemotherapie zur Second-line-Therapie nach Irinotecan-Versagen zugelassen; in den USA und der Schweiz bei metastasiertem, EGFR-überexpremierendem kolorektalem Karzinom.

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