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Krankenversicherung: Führt kein Weg am Prämiensystem vorbei?

BONN (hb). Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) kam auch die Gesundheitspolitik "aufs Tapet". Am 23. Juni 2004 informierte der Verband seine Mitglieder sowie den Bonner Journalistenkreis mit einem Vortrag von Prof. Dr. Eckhard Knappe, Direktor des Zentrums für Gesundheitsökonomie der Universität Trier, über das Für und Wider von "Bürgerversicherung und Kopfpauschale".

Dr. Mark Seidscheck hält eine definitionsmäßige Differenzierung zwischen dem "harten Klang der Kopfpauschale gegen den weichen Klang der Bürgerversicherung" durchaus für angebracht, auch wenn jüngst in Politikerkreisen angeklungen sei, das sei doch im Grunde dasselbe, so der BAH-Hauptgeschäftsführer in seinen einführenden Worten. Wo die großen Unterschiede liegen, verdeutlichte der, wie Seidscheck betonte, vom BAH eigens wegen seiner politischen Neutralität ausgewählte Referent Professor Eckhard Knappe.

Er charakterisierte die Unzulänglichkeiten des bisherigen Krankenversicherungssystems und machte diese an den drei Kernpunkten Finanzierungs-, Effizienz- und Gerechtigkeitsproblem fest. Dass man mit dem Instrument ständig wiederkehrender Ausgabendämpfungsmaßnahmen nicht weiterkommt, belegte Knappe anhand der Beitragssatzentwicklung in den letzten zwanzig Jahren. Hier sei keine spürbare Erleichterung festzustellen. Mit dem gleichzeitigen Wegbrechen der Finanzspielräume durch die hohe Arbeitslosigkeit gerät die Gesundheitspolitik vielmehr in eine Finanzierungsklemme, aus der ohne eine Systemveränderung kein Weg mehr hinausführt.

Solange an lohnbezogenen Beiträgen festgehalten werde, werde man um eine Rationierung der Leistungen über kurz oder lang nicht herumkommen. Eine Bruttolohn-bezogene Bemessung habe im Übrigen auch nichts mit Beitragsgerechtigkeit zu tun, denn hierbei bleiben Fremd- wie etwa Kapitaleinkünfte völlig unberücksichtigt. In vielen Fällen entspreche sie demnach nicht der tatsächlichen ökonomischen Leistungsfähigkeit.

Wo schafft die Bürgerversicherung Abhilfe?

In eine Bürgerversicherung, so umriss Knappe eines der beiden alternativen Zukunftskonzepte, würden alle Erwerbstätigen einzahlen, das heißt auch Beamte, Politiker, Selbstständige und Freiberufler. Die Beiträge würden nicht mehr nur auf das Arbeitseinkommen, sondern auch auf Miet- und Zinseinkünfte erhoben, womit die Beitragshöhe demzufolge nach wie vor abhängig vom Einkommen bliebe. Der Solidarausgleich zwischen mehr und weniger Verdienenden, zwischen jung und alt sowie zwischen Gesunden und Kranken finde ebenfalls nach wie vor innerhalb der Versicherung statt. Die Beitragsbemessungs- und die Versicherungspflichtgrenze würden angehoben beziehungsweise differenziert oder ganz wegfallen.

Pauschalprämien schaffen "differenzierte" Solidarität

Demgegenüber verfolgt das Konzept der Pauschalprämie ein anderes Prinzip, nämlich eine grundlegende Trennung der Versicherung von der Einkommensumverteilung, das heißt eine Trennung der

  • Solidarität innerhalb der GKV, also zwischen aktuell Gesunden und Kranken sowie zwischen Personen mit hohem und niedrigem Krankheitsrisiko von der
  • Solidarität zwischen wirtschaftlich Leistungsfähigen und wirtschaftlich weniger Leistungsfähigen beziehungsweise zwischen Alleinstehenden bzw. Kinderlosen und Familien mit Kindern.

In der Praxis heißt dies: gleich hohe Prämien für alle Erwachsenen sowie Beitragsleistungen auch für Kinder, in welcher Höhe auch immer – was derzeit noch schwer vermittelbar sei. Der soziale Ausgleich soll durch ein Steuertransfersystem gewährleistet werden. Zugegebenermaßen sei es schwierig, hier eine angemessene Grenzziehung der Empfangsberechtigten vorzunehmen. Eine Transferleistung, etwa bei einem 1400 Euro-Netto-Äquivalenzeinkommen, so rechnete Knappe vor, würde rund 26 Mrd. Euro kosten, was in etwa dem Betrag entspreche, der derzeit für Arbeitgeberbeiträge aufgewendet werde.

Regelleistungskatalog mit Fixbeitrag unverzichtbar

Knappe machte als Fazit aus seinen Erläuterungen keinen Hehl daraus, dass er ein System von Pauschalprämien gekoppelt mit Steuer-Transferleistungen als Zukunftsmodell eindeutig präferiert (zu den Merkmalen beider Systeme siehe Kastentexte). Auch für den BAH-Hauptgeschäftsführer ist es nach eigenem Bekunden das einzige Modell, "über das ernsthaft nachgedacht werden sollte". Gleichwohl sieht Seidscheck die Gefahr, dass es durch unterschiedliche Pauschalprämien mit variierenden Leistungsangeboten zu einer Mehr-Klassen-Medizin kommen kann.

Dieser kann jedoch aus Knappes Sicht durch einen gesetzlich definierten Regelleistungskatalog mit Versicherungspflicht und Differenzierungsverbot der Beiträge zumindest partiell begegnet werden. Für Knappe wäre hier allerdings auch kein Platz für Bonusregelungen und eine Beitragdifferenzierung nach unterschiedlichen Selbstbehalten.

Sie glauben gar nicht, wie schnell sich eine verwaltungsmäßig organisierte Krankenversicherung auf den Wettbewerb einstellt. Eckhard Knappe

Merkmale der Bürgerversicherung (nach Knappe)

  • Macht die Umverteilung etwas gerechter.
  • Bringt kurzfristig mehr Geld ins System.
  • Kein Beitrag zu Wettbewerb und Effizienzverbesserung.
  • Kein Beitrag zur Lösung der langfristigen Finanzierungsprobleme (Kapitaldeckung der PKV entfällt).
  • Kein Beitrag zur Europäischen Integration.

Merkmale des Konzepts der Pauschalprämie mit Steuer-Transferleistungen (nach Knappe)

  • Verringert die demographische Abhängigkeit der GKV.
  • Koppelt die GKV vom Arbeitsmarkt ab.
  • Fördert einen funktionsfähigen Preis-Leistungswettbewerb der Krankenversicherer.
  • Beseitigt Verteilungswidersprüche.
  • Erhält das gesundheitsbezogene Solidarprinzip der GKV.
  • Belastet den Staatshaushalt nicht (wesentlich), wenn der Arbeitgeber-Beitrag ausgezahlt und versteuert wird.
  • Erleichert den Übergang zu einem europäischen Gesundheitswesen und zum Kapitaldeckungsverfahren.

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