DAZ Feuilleton

Ausstellung: Besser leben mit Ersatzteilen

Staunen und Bewunderung, gelegentlich auch Gruseln befällt den Betrachter der Sonderausstellung "Leben mit Ersatzteilen", die das Deutsche Museum in München bis zum 30. Juni 2005 zeigt. Die Medizintechnik hilft dem Menschen, wenn wichtige Funktionen seines Körpers versagen. Wie in kaum einem anderen Bereich wird hier interdisziplinär geforscht und gearbeitet Ų Mediziner, Physiker, Ingenieure und Molekularbiologen arbeiten Hand in Hand, um die Lebensqualität kranker und behinderter Menschen zu verbessern.

Die Ausstellung ist der offizielle Beitrag des Deutschen Museums zum "Jahr der Technik". Sie spannt in acht Abteilungen einen weiten Bogen von antikem Zahnersatz, alten Hörtrichtern und Brillen bis zur modernen Medizintechnik. Es überrascht, wie viele Körperteile, Sinne und Organe inzwischen durch Prothesen ersetzt werden können.

Scharf sehen mit Kunststofflinse

Nur noch 10 bis 35 Minuten dauert heute das Einsetzen einer künstlichen Linse zur Behandlung des grauen Stars – weltweit bereits Routine. Noch Zukunftsvisionen sind Netzhautimplantate und Elektroden, die im Gehirn Erblindeter das Sehzentrum direkt stimulieren und so das Sehen wieder ermöglichen. Im Ausstellungsbereich Auge wird aufgezeigt, wie Sehfehlern korrigiert und wie erkrankte und verletzte Augenteile ersetzt werden können.

Knopf im Ohr

Zur Schwerhörigkeit bekennen sich wesentlich weniger Menschen. Obwohl auch hier die medizinischen Fortschritte beeindruckend sind: Digitale Mini-Hörgeräte können heute auf die Lautstärke eines Düsenjets verstärken und vermögen gleichzeitig unerwünschte Nebengeräusche auszufiltern. Implantate aus Keramik und Titan ersetzen Gehörknöchelchen, eher umstritten sind noch immer Cochlea-Implantate für gehörlose Kleinkinder und ertaubte Erwachsene. Aufzeichnungen von Elternaussagen vor dem Entschluss zu dieser Operation machen deutlich, wie entscheidend solch ein Schritt für ihr Kind ist.

Strahlendes Lächeln

Beim Zahnersatz ist Funktionalität längst nicht mehr das einzige Kriterium. Hier spielen ästhetische Ansprüche an die neuen Zähne eine ebenso große Rolle. Auch bei extremen Kieferdeformationen, ob angeboren oder durch Unfälle verursacht, kann die heutige Kieferchirurgie mit bildgebenden Verfahren, Simulationen, Computer- und OP-Techniken korrigierend oder restaurierend eingreifen.

Vom Holzstumpf ...

Vom Holzstumpf oder der selbst fabrizierten Unterschenkelprothese aus Aluminiumblech und Schuhsohlen aus dem Kambodschakrieg bis zur modernen, vollbeweglichen und täuschend echten Fluidhand – ganze Batterien von Bein-, Arm- oder Hand-Prothesen aus vielen Epochen und in unterschiedlichsten Ausführungen zeugen in der Ausstellung, wie der Mensch seit je mit viel Fantasie versuchte, fehlende Gliedmaßen zu ersetzen. Dank neuer, gewebeverträglicher Werkstoffe und Computer-gesteuerter Verankerungs- und Operationstechniken ist auch ein Gelenkersatz inzwischen alltäglich geworden.

... zur gezüchteten Herzklappe

Herzschrittmacher schrumpften im Lauf ihrer Entwicklung vom Handtaschenformat zur Chipgröße. Wie Herzklappen, Defibrillatoren, Stents und künstliche Gefäße zählen sie zu den Endoprothesen. Die Verfahren der Prothesen-Implantation – Mikrochirurgie, minimal invasive Chirurgie (MIC oder Schlüssellochchirurgie), Laser, Telemanipulationen und Navigationsverfahren – werden in Videofilmen vorgeführt. Die reality show geht "an die Nieren" und weckt gleichzeitig Bewunderung für die handwerkliche Kunstfertigkeit der Operateure.

Innereien

Nachdem durch Antisepsis und Asepsis ab etwa 1870 gefahrlose Eingriffe in die Bauchhöhle möglich geworden waren, begann eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte der Chirurgie. Weltweites Aufsehen erregten die erste Herztransplantationen in den 60er-Jahren. Heute übersteigt die Nachfrage nach Spenderherzen bei weitem das Angebot, und das "künstliche Herz" steht nach einer Periode der Zurückhaltung wieder ganz im Focus der Forschung. Auch für Niere, Leber und Lunge ist man noch auf Organspenden angewiesen, wenn externe Geräte (Nierendialysator, künstliche Lunge) die ausgefallenen Funktionen nicht mehr ausreichend erfüllen können.

Stammzellen

Mit der "Gewebezüchtung" nähert man sich der Realisierung des uralten Menschheitstraums, verbrauchte Körperteile durch neue zu ersetzen. Was für Haut, Knorpel und sogar Herzklappen schon heute möglich ist, bedeutet für ganze Organe noch Zukunftsmusik. Doch entsprechende Forschungsansätze und -ideen gibt es bereits, dank einer immer ausgereifteren Gen- und Zellkulturtechnik. Das heiße Eisen der Stammzellforschung wird in der Ausstellung nicht ausgeklammert. Wie embryonale Stammzellen aussehen, wie und wozu man sie gewinnt, kann ausgiebig studiert werden. Die langanhaltende kontroverse Diskussion dazu wird in einem eigenen Terminal dokumentiert.

Ambivalenz

Die Fortschritte der Medizintechnik sind – manchmal beängstigend – rasant. Dadurch drängt sich die Frage auf, ob die hochtechnisierte Medizin in einer dramatisch alternden Gesellschaft unbezahlbar wird. Der Nutzen der Medizintechnik wird dagegen kaum angezweifelt. Fast alle Menschen, die mit "Ersatzteilen" leben, sind froh und dankbar über wiedergeschenktes Leben und neue Lebensfreude.

Man muss schon selbst etwas dazu tun und vor allem dem Ganzen gegenüber eine positive Einstellung haben.

79-jährige Patientin mit Herzschrittmacher, zwei Hüft- und einer Knieprothese

Deutsches Museum, Museumsinsel 1, 80538 München, Tel. 0 89/2 17 91, www.deutsches-museum.de Geöffnet: Täglich von 9 bis 17 Uhr, jeden 1. und 3. Mittwoch des Monats bis 20 Uhr.

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