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BPI zur Gesundheitsreform: Abwanderung der Pharmabranche droht

BERLIN (ks). Für den pharmazeutischen Mittelstand bringt die Gesundheitsreform starke Umsatzeinbußen mit sich. Hoffnung setzen die Unternehmen nun auf das Ausland Ų ob als Forschungsstandort oder als Absatzmarkt. Dies erklärten die stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) Günther G. Sauerbrey (Merz Pharma) und Prof. Dr. Michael A. Popp (Bionorica) anlässlich der diesjährigen BPI-Hauptversammlung am 15. Juni in Berlin. Im Rahmen einer Diskussionsrunde zum "Jahr Eins GMG" diskutierten sie gemeinsam mit Vertretern der Kassen, Verbraucherschützern und Leistungsanbietern über die Auswirkungen der Reform.

Popp betonte, dass gerade Phytopharmaka durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) stark getroffen seien. Da diese in der Regel nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet werden, habe sein Unternehmen über Nacht rund drei Viertel aller Verordnungen verloren. In der Gesamtbranche sei der Umsatz um 18 Prozent eingebrochen.

Dieser Verlust sei weder durch Selbstmedikation noch durch Privatrezepte zu kompensieren. Lediglich bekannte Marken könnten sich auf dem Markt halten, so Popp. Doch so düster es im deutschen Markt aussieht, Hoffnung gibt dem Bionorica-Vorstand die EU-Osterweiterung: Dieser biete eine "Riesenperspektive". Popp erwartet, dass Bionorica hier in diesem Jahr rund 20 Prozent des Umsatzes generieren wird.

Unterschiedlich gut vorbereitet

Prof. Dr. Michael Brucksch vom Institut of Healthcare Industries an der Steinbeis Universität Berlin, erläuterte, dass sich manche Pharmaunternehmen besser auf die Reform vorbereitet hatten als andere. Brucksch hatte im Auftrag des BPI Ende vergangenen Jahres unter rund 100 mittelständischen Unternehmen eine Studie zur aktuellen Situation der Pharmaindustrie durchgeführt (siehe AZ Nr. 50, 2003, S. 8). Wie schlimm es die Unternehmen nun wirklich trifft, werde man wohl erst zur Jahresmitte beurteilen können.

Der Wissenschaftler vermutet, dass die Umsatzverluste sehr unterschiedlich ausfallen und in einer Spannbreite zwischen 20 und 50 Prozent liegen werden. Er wies auch auf eine mögliche Lösungsstrategie hin: Im vergangenen Jahr hatten bereits einige Unternehmen angekündigt, eine Reihe ihrer Aktivitäten ins Ausland zu verlagern.

Kritik am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit

Als "innovationshemmend" bezeichnete der BPI-Vize Sauerbrey das GMG mit seinen neuen Herstellerrabatten und Festbeträgen. Um kein negatives Betriebsergebnis einzufahren, könnten die Firmen weniger in Forschung investieren. Er glaubt auch nicht, dass die Unternehmen zu langsam reagiert haben: "Die Gesetzgebung ändert sich schneller – gerade im forschungsrelevanten Bereich – als die Unternehmen ihren Fahrplan korrigieren können", so Sauerbrey. Die Politik müsse beherzigen, dass die Entstehung eines Arzneimittels mindestens zehn Jahre braucht.

Er kritisierte zudem das geplante Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen. Es sei zu bürokratisch konzipiert und verschlinge zu viele Versichertengelder. Sorge bereite der mittelständischen Industrie auch die Nutzenbewertung, da sie mit viel zu unbestimmten Begriffen arbeite. Sauerbrey widerstrebt es auch, dass niemand, der je einen Bezug zur Pharmaindustrie hatte in das Institut gelangen kann. "Wir haben nichts zu verbergen", so der Firmenvertreter.

ABDA: Kritik an Befreiungsreglung

Heinz-Günter Wolf, Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), ist vor allem die neue Regelung der Zuzahlung und der Befreiungsmöglichkeit ein Dorn im Auge. Er berichtete von Patienten, die erklären, sie hätten das Geld nicht, um sich benötigte rezeptfreie Arzneimittel, die ihr Arzt ihnen nicht mehr verordnet, zu kaufen. Sie sagten dabei nicht, dass ihnen die Mittel zu teuer seien, betonte Wolf.

Vielmehr mangele es den Patienten an Liquidität, da sie bis zum Erreichen der Belastungsobergrenze Zuzahlungen für verordnete Arzneimittel und die Praxisgebühr beim Arzt zahlen müssten. Der ABDA-Vize äußerte die Hoffnung, dass sich die Menschen nach der Befreiung durch ihre Krankenkasse – die in den meisten Fällen um Ostern oder Pfingsten erfolgt ist – auch wieder die nötigen OTC-Präparate kaufen.

Ernstfall tritt bei Minderheiten ein

Dr. Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen erklärte, dass die meisten Versicherten sich zwar durchaus die höheren Zuzahlungen leisten könnten. "Aber das Gesundheitswesen ist nicht für die meisten da", so der Verbraucherschützer weiter. Der Ernstfall trete ein, wo Minderheiten betroffen sind, die chronisch Kranken und sozial Schwachen. Für diese sei das System jedoch gemacht. Fielen sie nun heraus, so sei mit dem System etwas nicht in Ordnung.

Zum Vorwurf der pharmazeutischen Unternehmen, die Reform treffe sie besonders hart und gefährde Arbeitsplätze, entgegnete Etgeton, es sei nicht Aufgabe der Gesundheitspolitik, den Standort Deutschland zu sichern. Die Pharmaindustrie müsse sich auch die Frage stellen lassen, wie viele Arbeitsplätze in ihrer Branche tatsächlich durch die Gesundheitsreform verloren gingen. Etgeton mutmaßt, dass es mehr Arbeitsplätze für Deutschland bringt, wenn die Beitragssätze zur GKV sinken.

GKV-Ausgaben vor allen Beitragszahlern legitimieren

Der Leiter des Berliner Büros des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen, Dr. Robert Paquet, betonte, dass die von der GKV finanzierten Leistungen vor der Gesamtheit der Beitragszahler verantwortet werden müssten. Deshalb werde es immer Regelungen geben, die die Leistungen begrenzen. Gerade der Arzneimittelbereich sei hierfür "beliebt" – da habe die Branche wohl "ein bisschen Pech gehabt". Paquet betonte, dass die Streichung rezeptfreier Arzneimittel aus dem GKV-Leistungskatalog beim BKK-Bundesverband zunächst ebenfalls auf Skepsis gestoßen sei. Dem Verband sei es jedoch zu verdanken, dass Ausnahmeregelungen geschaffen wurden.

Der Kassenvertreter bedauerte, dass es im Rahmen der Reform nicht zu einer Positivliste gekommen sei, die "in vieler Hinsicht Klarheit geschaffen hätte". Was das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit betrifft, so ist Paquet zuversichtlich, dass man dieses "schlank" halten könne – ein Zuviel an Bürokratie fürchtet er nicht. Er räumte ein, dass es ein Problem sein werde, zwischen echten und unechten Innovationen zu unterscheiden. Er glaubt jedoch, dass man in den kommenden Jahren vernünftige Differenzierungskriterien entwickeln wird.

Hausärzte: Mehr Zeit für Patienten

Ulrich Weigeldt, Allgemeinarzt und Chef des Hausärzteverbandes, erklärte, die Gesundheitsreform biete mehr Chancen, als dass sie Schaden anrichte. Aus seiner Erfahrung berichtete er, dass des "Prinzip der Eigenverantwortung" bei den Patienten durchaus auf Akzeptanz gestoßen sei. In den Arztpraxen sei durch die Einführung der Praxisgebühr die Fallzahl zwar zurückgegangen – doch dies sei nicht unbedingt schlecht. Es sei durchaus "sinnvoll, wenn der Arzt mehr Zeit für den Einzelnen hat".

Er räumte aber auch ein, dass bei der Zuzahlungsbefreiung zur Abfederung von Härten noch befriedigende Lösungen gefunden werden müssten. Es sei zwar zumutbar, dass ein verschnupfter Patient sich in der Apotheke selbst ein Medikament kauft, für Chroniker sehe die Situation aber anders aus.

Für den pharmazeutischen Mittelstand bringt die Gesundheitsreform starke Umsatzeinbußen mit sich. Hoffnung setzen die Unternehmen nun auf das Ausland – ob als Forschungsstandort oder als Absatzmarkt. Dies erklärten die stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) Günther G. Sauerbrey und Prof. Dr. Michael A. Popp anlässlich der diesjährigen BPI-Hauptversammlung am 15. Juni in Berlin. 

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