Arzneimittel und Therapie

Diabetes mellitus: Kommt jetzt die Inhalation von Insulin?

Diabetiker scheuen vor "der Spritze" zurück, die Injektion ist eine psychologische Hürde, die die Insulintherapie beeinträchtigt. Es wird deshalb schon lange fieberhaft an der Entwicklung anderer Darreichungsformen gearbeitet, wobei vor allem inhalierbares Insulin Erfolg verspricht. Für ein erstes Präparat wurde kürzlich die Zulassung beantragt.

Bisher sind alle Versuche gescheitert, Insulin in Form von Tabletten oder Kapseln herzustellen und zu verabreichen. Da Insulin im Magen sehr rasch durch die Magensäure sowie durch proteolytische Enzyme inaktiviert und abgebaut wird, bleibt die orale Verabreichung des Hormons wohl vorerst eine Utopie. Erfolglos waren bislang auch die Versuche, Insulin nasal zu applizieren. Denn eine nennenswerte Wirkstoffaufnahme war über diesen Weg nur zu gewährleisten, wenn gleichzeitig Adsorptionsverstärker gegeben werden, welche ihrerseits jedoch die Nasenschleimhaut reizen.

Wirkstoff-Freisetzung via Trockeninhalator

Nun scheint aber eine andere Applikationsart und zwar die Inhalation von Insulin Realität zu werden. Denn jüngst wurde durch die Firmenallianz Aventis/Pfizer/Necker für ein erstes Insulin-Inhalationssystem die Zulassung durch die Gesundheitsbehörden beantragt. Es handelt sich um einen Pulverinhalator, in Entwicklung sind ferner Systeme, in denen das Insulin aus einer Lösung heraus zerstäubt wird.

Bei dem zur Zulassung eingereichten Device liegt das Humaninsulin als Trockenpulver vor und wird über einen rein mechanisch arbeitenden Inhalator eingeatmet. Dies geschieht unmittelbar vor der Mahlzeit und führt den vorliegenden Daten zufolge zu gleichen Plasmainsulin- und Blutzuckerwerten wie nach subkutaner Injektion. Mit dem Pulverinhalator lässt sich, so hieß es in Wiesbaden, die Wirkstoffzufuhr individuell dosieren, das Pulver ist einfach zu inhalieren und es zeigt sich eine kalkulierbare und reproduzierbare Wirksamkeit. Das innovative System hat dabei sogar Vorteile gegenüber der herkömmlichen Therapie, denn es kombiniert den schnellen Wirkeintritt der Insulin-Analoga mit der langen Wirkdauer von Basalinsulin.

Langzeitstudien bei Typ-1- wie auch Typ-2-Diabetikern dokumentieren, dass eine der subkutanen Gabe gleichwertige Blutglucosekontrolle gewährleistet wird. Die umgestellten Patienten behalten beim Wechsel in aller Regel sogar identische HbA1c-Werte als Ausdruck der Blutzuckerkontrolle. Allerdings sind die Nüchternblutzuckerwerte etwas besser und vorteilhaft wird ferner vermerkt, dass offenbar etwas seltener als bei der Injektion Hypoglykämien auftreten. Werden Typ-2-Diabetiker bei unzureichender Blutzuckerkontrolle von oralen Antidiabetika auf inhalierbares Insulin umgestellt, so resultiert, wie erwartet, sogar eine Verbesserung der Nüchternblutzuckerwerte wie auch des HbA1c.

Hohe Akzeptanz bei den Patienten

Von den Patienten wird das inhalative System gut akzeptiert, 75 Prozent derjenigen, denen eine Umstellung von subkutan injiziertem auf inhalierbares Insulin angeboten wird, nehmen diese Option gerne wahr und bei der Ersteinstellung entscheiden sich sogar 85 Prozent der Diabetiker für die Inhalation. Die Befürchtungen, der Anwendung stehe eine hohe Variabilität bei der Inhalation gegenüber, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Die Variabilität ist trendmäßig sogar bei der subkutanen Gabe etwas höher.

Keine Option für Raucher

Die Sicherheit des inhalativen Insulins ist entsprechend der vorliegenden Daten gut, besondere pharmakologische oder toxikologische Probleme traten in den Prüfungen nicht auf und auch die parallel durchgeführten Lungenfunktionsprüfungen verliefen positiv. Es kann zu einer leichten Abnahme der Lungenfunktion kommen, was derzeit noch in weiteren Studien genauer untersucht wird, klinisch relevante Begleiteffekte wurden bislang aber nicht gesehen und auch Patienten mit leichtem Asthma können offenbar problemlos mit inhalativem Insulin behandelt werden. Anders sieht das bei Rauchern aus. Bei ihnen ist die Resorption stark beschleunigt, was erhebliche Überdosierungen nach sich ziehen kann. Rauchen ist daher eine klare Kontraindikation für inhalatives Insulin.

Insulin-Inhalationssysteme in klinischen Studien

  • Die Firmen Pfizer und Aventis haben bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA einen Zulassungsantrag für das erste inhalative Insulin (vorgesehenes Warenzeichen: Exubera®) eingereicht. Das Insulin-Trockenpulver zur Inhalation wird durch einen Druckluftpuls zerstäubt und gelangt als homogene Staubwolke in ein Inhalationsreservoir. Die entstehenden Partikel sind klein genug (1 – 3 µm), um ohne vorzeitiges Ausklumpen bis in die Alveolen zu gelangen.

  • Novo Nordisk und Aradigm wollen Anfang 2006 unter der Bezeichnung AERx® Insulin Diabetes Management System (iDMS) ein elektronisches System für inhalierbares Insulin auf den Markt bringen: eine Flüssigaerosol-Insulin-Formulierung, aus der das Insulin schrittweise in Einzeldosen abgegeben wird. Dieses elektronische Inhalationssystem ermöglicht dem Patienten eine Atmungskontrolle sowie die Auswertung der Daten, so dass eine Überprüfung der Dosierungsdaten und der Atemtechnik möglich wird.

  • Die Pharmaceutical Discovery Corporation (PDC-mannkind) verwendet mit Insulin beladene Technosphere™-Partikel, um das Insulin in die Lunge zu transportieren. Es handelt sich dabei um Diketopiperazinderivate, die sich bei niedrigem pH zu polymeren Partikeln zusammenlagern und dabei andere Moleküle wie z. B. Insulin in einem gitterartigen Polymerverband fixieren können. Diese Partikel werden als Trockenpulver mit dem Inhalationsgerät Med Tone® inhaliert. Die Pulverpartikel werden nach Portionierung durch den Inhalationsluftstrom passiv desaggregiert.

    Die Diketopiperazinderivate werden unmetabolisiert über die Niere ausgeschieden. Ein Vorteil der Technosphere™-Partikel besteht in ihrer einheitlichen Größe, zudem lösen sie sich nach dem Erreichen der Alveolen rasch auf.

  • Der AIR® Inhaler von Eli Lilly-Alkermes verwendet ebenfalls mit Insulin beladene Partikel. Die relativ großen Partikel (10 – 20 µm) des Trockenpulvers zur Inhalation haben eine sehr niedrige Dichte und sind porös, um eine bessere Absorption zu gewährleisten.
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