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Europäische Pharmaindustrie: Bedeutung der Selbstmedikation wächst

MADRID (diz). Die Rolle, die die Selbstmedikation im Gesundheitswesen Europas spielt, wird in Zukunft weiter wachsen. Davon zeigten sich die europäischen Hersteller von OTC-Arzneimitteln und deren Verbändevertreter im europäischen Dachverband AESGP überzeugt. Auf ihrem 40. AESGP-Jahreskongress, der vom 2. bis 4. Juni in Madrid stattfand, loteten sie die Chancen für den OTC-Markt aus und stellten Nutzen und Vorteile für die Bevölkerung dar. Für Deutschland hatte der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) an der Tagung teilgenommen.

Erkki Liikanen, zuständig für Unternehmen und Telekommunikation bei der europäischen Kommission, wies in seiner Ansprache auf einen wachsenden Trend in Richtung OTC-Arzneimittel hin. Bereits heute sei der Selbstmedikationsmarkt ein bedeutender Teil des Gesundheitswesens. In Europa macht der Markt für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel inzwischen nahezu 20 Prozent aus. Die Fortentwicklung dieses Marktes könne für alle Beteiligten, den Regierungen, Verbrauchern und auch der Industrie, bedeutende ökonomische und soziale Vorteile bringen.

Besserer Zugang zu Arzneimittelinformationen

Damit die Bürger mehr Verantwortung für sich und ihre Gesundheit übernehmen könnten, benötigten sie bessere Informationen über den richtigen Lebensstil und ihre Ernährung. Auch die Qualität und Verfügbarkeit von Informationen über medizinische Produkte sollte verbessert werden, so Liikanen. Dies erfordert die Zusammenarbeit der Experten im Gesundheitswesen mit dem Gesetzgeber. Man wird z. B. die Lesbarkeit der Beipackzettel verbessern müssen. Dies sei besonders wichtig für OTC-Produkte, da sie ohne direkte Aufsicht eines Gesundheitsexperten eingenommen werden.

Die Europäische Kommission wird sich auch mit der Verfügbarkeit von Patienteninformationen über Arzneimittel im Internet befassen müssen und den Informationen, die ein Arzneimittelhersteller im Netz zur Verfügung stellt. Zu den meist besuchten Seiten im Internet gehörten z. B. Gesundheitsseiten, merkte Liikanen an.

Die G-10-Gruppe der Europäischen Kommission, in der sich die Spitzenentscheider in Europa im medizinischen Bereich wiederfinden, befasste sich unlängst mit der unterschiedlichen Preisgestaltung von Arzneimitteln in der EU, wie der Europakommissar berichtete. Angestrebt wird ein möglichst einheitlicher europäischer Preislevel, der sich dann allerdings der Kaufkraft eines Landes anpassen muss. Grundsätzlich sollte die Preisbildung bei OTC-Arzneimitteln frei sein und nicht staatlicherseits reglementiert werden.

Die Gesundheitswesen vergleichbarer machen

Auch Dagmar Behrendt-Roth, Sprecherin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament für Umwelt, Verbraucherschutz und Gesundheitspolitik, zeigte sich auf der AESGP-Tagung davon überzeugt, dass für Patienten Verfügbarkeit von und Zugang zu Arzneimittelinformationen äußerst wichtig sind. Deshalb muss in der EU besser geregelt werden, wie Arzneimittel beworben werden dürfen, erklärte sie im Rahmen einer BAH-Pressekonferenz. Auch Werbung liefert Informationen, bessere Werbemöglichkeiten für Arzneimittel sind zu überlegen. Dringend nötig sei – da schloss sie sich dem Europäischen Kommissar an – die Überarbeitung der Beipackzettel, die zurzeit den Patienten oft mehr irritierten als informierten.

Zum deutschen Gesundheitswesen merkte sie an, man solle sich die Kosten dort ansehen, wo sie entstünden. Vor diesem Hintergrund solle die Selbstverantwortung der Patienten gestärkt werden, man müsse sich mehr um die Gesundheitserziehung und den Zugang zu Gesundheitsinformationen kümmern, es sollten Anreize zu einem gesundheitsbewussten Verhalten gegeben werden.

Für sie sei es erstaunlich, dass man vor einem Arztbesuch kaum Informationen über diesen Arzt bekommen könne. Noch immer sei es Zufall, wie die Qualität einer ärztlichen Behandlung ausfalle. Auch innerhalb Europas sollte die ärztliche Versorgung vergleichbar sein. Die SPD-Europapolitikerin wünschte sich europäische Standards für die Zertifizierung von Ärzten. Bedenken, dass dann Richtlinien aufgrund unterschiedlicher Ressourcen in den einzelnen Ländern "herunter nivelliert" werden, hat sie nicht, da es bei einer Behandlung oft weniger auf die zur Verfügung stehenden Apparate ankommt als vielmehr auf das Behandlungsverfahren, so Behrendt-Roth.

Eher vorsichtig zurückhaltend äußerte sie sich zur Bürgerversicherung. Zwar ist sie schon der Meinung, dass der Einzelne mehr Verantwortung für seine Gesundheit tragen muss, ob dazu allerdings die Bürgerversicherung der geeignete Weg sei, wisse sie nicht. Jeder müsse zwar einen Solidarbeitrag leisten – wie er ihn leistet, das kann man noch überlegen, so Roth-Behrendt.

Mit grünem Rezept zufrieden

Die Selbstmedikationsindustrie begrüßte die Einführung des grünen Rezeptes, so Dr. Mark Seidscheck, Geschäftsführer des BAH auf der Pressekonferenz. Allerdings muss es jetzt noch flächendeckend an alle Ärzte gebracht werden. Seidscheck bestätigte, dass bei etwa 95% der OTC-Arzneimittel Preisstabilität festgestellt werden kann, obwohl der Apotheker die Möglichkeit zur freien Preisbildung hat. Dem Kunden fehlten die Kenntnisse über die Preise der OTC-Arzneimittel, aber auch der verschreibungspflichtigen Präparate, so dass er kaum Preisvergleiche anstellen kann.

Dies führte im verschreibungspflichtigen Markt mittlerweile dazu, dass Hersteller, deren Arzneimittel unter den Festbetrag fallen, den Arzneimittelpreis im Gegensatz zu früher nicht auf Festbetragsniveau oder gar darunter absenken. Aufgrund der Zuzahlung von 10 Prozent, die in vielen Fällen "krumme Preise" ergibt, erkennt der Kunde nicht, ob sich der Zuzahlungsbetrag nur aus der Zuzahlung alleine ergibt oder auch – wie jetzt vermehrt – den Differenzbetrag zwischen Arzneimittelpreis und Festbetrag mit einschließt.

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