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Italienische Gesundheitsreform: Streik der "weißen Kittel"

(kk). "Sciopero" Ų Streik Ų lautet ein Schlüsselwort im italienischen Alltag. Während in Deutschland Streik eher selten oder nur im Ernstfall aufgrund zu großer Diskrepanzen während der Tarifverhandlungen genutzt wird, vergeht in Italien mittlerweile so gut wie keine Woche mehr ohne "sciopero". Die Varianten sind zahlreich. Jeden Tag muss man gewappnet sein, eine durch den Streik ausgelöste Einschränkung zu überwinden. Die häufigsten Streiks betreffen den öffentlichen Personennahverkehr, die Flughäfen oder die Universitäten. Nun trifft es auch Einrichtungen des Gesundheitswesens.

Bisher hatten sich diese zurückgehalten, aber durch die Gesundheitsreform der Regierung fühlen sich jetzt insgesamt 70 000 Ärzte und Angestellte im Gesundheitswesen genötigt, ihrem Ärger durch Protestkundgebungen Luft zu machen. Am 16. April 2004 blieben z. B. sämtliche italienische Praxen geschlossen. Die Patienten waren vorher davon informiert worden. Um die Behandlung von Notfällen zu gewährleisten, wurde eine spezielle Telefonnummer eingerichtet.

Der Protest betraf 47 000 Hausärzte, 7000 Kinderärzte, 14 000 Mitarbeiter des ärztlichen Notfall- und Rettungsdienstes und 2000 Notfallärzte. Der Ärzteverband "Fimmg" (Federazione dei medici di medicina generale) fordert die Erneuerung der Arbeitsverträge und klare Vereinbarungen bis zum 31. Dezember 2005, die Neuorganisierung der im Land existierenden Pflegeeinrichtungen, um eine allgemeine ärztliche Betreuung zu sichern, und die seriöse Finanzierung des nationalen Gesundheitsdienstes.

"Wir haben leere Versprechungen satt", erklärt Mario Falconi in der Tageszeitung "La Stampa" und präzisiert: "Wir fordern ein neues standfestes Abkommen, das Gehaltserhöhungen vorsieht, die dem Wachstum der Kosten und der steigenden Arbeitsbelastung angepasst sind. Darüber hinaus brauchen wir großzügige Investitionen im Gesundheitsbereich, der mit den ihm bisher zugestandenen Mitteln aufgrund der allgemeinen Überalterung der Bevölkerung auf Dauer nicht mehr ausreichend gesichert werden kann". Massimo Cozza, Generalsekretär der gewerkschaftlich organisierten Ärzte (FP- Cgil Medici) fügt hinzu, dass "für das Recht auf Gesundheit, für ein öffentliches Gesundheitswesen und für die Anpassung der Tarifverträge, die bereits seit über drei Jahren überfällig ist" zum Streik aufgerufen wird. Für diese Forderungen waren bereits im Februar und März über 150 000 Beschäftigte auf die Straße gegangen.

Ein weiterer zentraler Punkt der Kritik an der Gesundheitsreform ist – nach verschiedenen Zeitungsmeldungen – die vom Gesundheitsminister Girolamo Sirchia vorgeschlagene Umwandlung der zur Zeit existierenden privaten Hausarztpraxen in Polikliniken (sog. "Utaps", Landeseinheiten für Primärfürsorge). Diese sollen einen 24-Stundenservice bieten und zudem die bisherigen kleineren Ambulatorien von Krankenhäusern ablösen. Roberto Anzalone, Präsident der Gewerkschaft: "Die Einführung solcher Massenambulatorien würde anstatt einer Problemreduzierung eine Vervielfältigung derselben hervorrufen, denn wer in die Notaufnahme kommt, braucht eine individuell auf den Einzelfall ausgerichtete Notfallmedizin und keine Massenabfertigung."

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