Ernährung aktuell

Essen im Alter: Oft zu wenig, meist das Falsche

So unwahrscheinlich es klingt: Im Überflussland Deutschland gibt es nach wie vor eine große Anzahl von Menschen, die mangelernährt sind. Die Rede ist von Senioren, die unterernährt und ausgetrocknet sind, weil sie seit Jahren zu wenig essen und zu wenig trinken. Wie aus dem vom Verbraucherzentrale Bundesverband herausgegebenen Dossier "Essen im Alter" hervorgeht, ist die Situation bei pflegebedürftigen Bewohnern im Altenheim besonders dramatisch.

Rund 20 Millionen Menschen leben in Deutschland, die das 60. Lebensjahr überschritten haben. Das entspricht einem Anteil von rund 25% der Gesamtbevölkerung. In 30 Jahren wird die Quote Schätzungen zufolge auf 35% anwachsen. Jeder Dritte wird dann zur Gruppe der Senioren zählen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung alter Menschen von Jahr zu Jahr. Bis 2030 wird sich die Zahl der über 80-Jährigen mehr als verdoppeln. Unsere Gesellschaft wird also immer älter – und damit gewinnt auch das Thema "Ernährung im Alter" zunehmend an Bedeutung.

Eine gesunde Ernährung ist die Grundvoraussetzung für Vitalität im Alter. Doch als gesund kann man die Ernährung vieler Senioren derzeit leider kaum bezeichnen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Physiologische Veränderungen und psychische Probleme spielen dabei eine Rolle.

Sinkender Energiebedarf – gleichbleibender Nährstoffbedarf

Zu den auffälligsten Veränderungen im Alter gehört die Abnahme des Energiebedarfs. Infolge des verringerten Grundumsatzes und des verringerten Leistungsumsatzes ist der Energiebedarf von Senioren (über 65 Jahre) ca. 25% niedriger als bei 19- bis 24-Jährigen. Das bedeutet, dass alte Menschen weniger Fett in der Nahrung benötigen. Aber sie brauchen Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe in unverminderter Menge! Da alte Menschen aber weniger essen, können die essenziellen Nährstoffe nur durch Lebensmittel mit besonders hoher Nährstoffdichte in ausreichender Menge aufgenommen werden.

Das Durstgefühl lässt nach

Viele ältere Menschen verlieren das normale Durstempfinden, daher werden Flüssigkeitsdefizite nicht oder erst sehr spät registriert. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt 1,5 Liter pro Tag über Getränke zuzuführen. Besonders an heißen Tagen kann es zu lebensbedrohlichen Austrocknungszuständen kommen, wenn nicht ausreichend getrunken wird. Neben der Austrocknung von Haut und Schleimhäuten werden Verstopfung und Infektion der Harnwege begünstigt, vor allem aber auch Verwirrtheitszustände ausgelöst.

Kein Appetit mehr

Insbesondere im hohen Alter ist Appetitlosigkeit verbreitet. Die Ursachen sind teilweise physiologischer Natur (verringerte Elastizität des Magens, veränderte Hunger-Sättigungs-Steuerung, verlangsamte Magenentleerung und Verdauung etc.), teilweise liegen sie in Einsamkeit und mangelnder Ansprache begründet. Hinzu kommen Zahn-, Gebiss- und Kaubeschwerden, die Schmerzen beim Essen verursachen und infolgedessen zu einer unausgewogenen Kost führen.

Schluckstörungen durch Schlaganfall und Alzheimer bzw. durch Tumoren oder Operationen haben ähnliche Folgen. Die Betroffenen ernähren sich monatelang von Weißbrot, Brötchen, Zwieback und Marmelade. Gemüse wird allenfalls sehr weich gekocht verzehrt, Obst kaum gegessen.

Ernährungssituation alter Menschen in Deutschland

Gesunde, rüstige Senioren, die zu Hause leben 95% aller Senioren leben mehr oder weniger selbstständig in Privathaushalten. Sie versorgen sich weitgehend selbst. Ihr Gesundheitszustand ist befriedigend, allerdings befinden sie sich oft in einem labilen Gleichgewicht. Krankheit, Unfall, Ortswechsel, Verlust einer nahestehenden Person oder finanzielle Engpässe können schnell zu einer Unterversorgung führen.

70% der 80- bis 90-Jährigen sind immer noch in der Lage, sich selbst zu versorgen. Allerdings ist der tägliche Lebensmitteleinkauf mit Problemen wie schwer erreichbaren Supermärkten, langen Wegen bis zur Kasse, schlecht rollenden Einkaufswagen, Stress an den Kassen, ungenügender Beratung und schlecht lesbaren Etiketten verbunden. Häufig gibt es auch Probleme beim Öffnen der Verpackungen.

Daheim lebende, hilfsbedürftige Senioren

Es gibt viele Hilfsangebote, die es Senioren ermöglichen, trotz eingeschränkter Mobilität und krankheitsbedingter Handicaps im eigenen Haushalt zu bleiben – von Einkaufsdiensten und "Essen auf Rädern" über ambulante Pflegedienste für normale pflegerische Aufgaben bis hin zu Sondenernährung.

90% der 325 000 Kunden mobiler Mahlzeitdienste sind über 70 Jahre alt. Es dominieren tiefgefrorene, meist täglich heiß ausgelieferte Mittagessen. Nach den bisher vorliegenden, nicht sehr umfangreichen Untersuchungen ist die Zusammensetzung der Mahlzeiten nicht zu beanstanden. Aktuelle Ergebnisse der Stiftung Warentest werden in Kürze hierzu erwartet. Kritik gibt es bisher vor allem am Service (nicht eingehaltene Liefertermine, hohe Preise, große Preisunterschiede bei gleichen Gerichten, lange Kündigungsfristen).

Trotz dieser Angebote: Die Ernährungssituation Hochbetagter spitzt sich häufig dramatisch zu. Ein hoher Anteil (fast 50%) weist bei Einweisung in ein Krankenhaus typische Austrocknungsmerkmale auf, fast ein Viertel ist lebensbedrohlich unterernährt. Die beiden Hauptgründe sind verringerter Appetit und Kräfteverlust. Obwohl sich viele Menschen um hochbetagte, zu Hause lebende Senioren kümmern, ist die Aufmerksamkeit für Ernährungsfragen offenbar immer noch ungenügend ausgeprägt.

Pflegebedürftige Bewohner im Altersheim

In Deutschland existieren ca. 8300 stationäre Senioreneinrichtungen und 10 800 ambulante Pflegedienste, die auch für die Ernährung der Senioren zuständig sind. Offenbar wird diese Aufgabe jedoch nur unzureichend erfüllt: Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) spricht von einem Anteil mangelversorgter Heimbewohner von 25 bis 50%, eine andere Untersuchung spricht sogar von mehr als 60%.

Mögliche Gründe dafür: Alte Menschen können sich bei Wochenplanangeboten schwer für ein Gericht entscheiden, das sie nicht vorher gesehen haben. Die Vorstellungen bei einem bekannten Gericht sind sehr unterschiedlich. Das Essen im Speisesaal verlangt eine enorme Umstellung. Eine Reihe von chemisch orientierten Untersuchungen hat ergeben, dass die Zusammensetzung der Nahrung hinsichtlich Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten den Empfehlungen in etwa entspricht. Defizite gibt es bei Mineralstoffen und Vitaminen.

Befragungen von Heimbewohnern ergaben Beschwerden über zu wenig schmackhaftes Essen, ungeeignete Kost z. B. bei Diabetes, zu geringes Obst- und Gemüseangebot, zu wenig Abwechslung. Schon bei den Heimbewohnern, die selbstständig zum Essen gehen, gibt es Mängel. Senioren, die gefüttert werden müssen, nehmen erheblich weniger (zu wenig) Nahrung und damit Energie und Mikronährstoffe zu sich.

Zu wenig Pflegekräfte und der offenkundige Mangel an Aufmerksamkeit für den Ernährungsstatus der Senioren führen zu einer unzureichenden Pflege, u. a. zur Versorgung mit Sondenkost zur Zeitersparnis. Gefordert wird daher der Abbau des Mangels an Pflegekräften, um eine individuelle Ernährungsbetreuung zu gewährleisten (Hilfe beim Kleinschneiden oder Öffnen der Portionspackung, Besteck oder Geschirr reichen, Aufmuntern und Auffordern zum Essen, Bissen zum Mund führen, Essverhalten beobachten, um Probleme zu erkennen und Situation zu verbessern).

Grundsätzlich ist mehr Kreativität bei der Zubereitung und Zusammenstellung der Mahlzeiten gefragt. Übrigens werden selbst geriatrische Krankenhäuser den Erfordernissen kaum gerecht, wie entsprechende Untersuchungen zeigten.

Quelle

Essen im Alter. Dossier zur Seniorenernährung in Deutschland. Hrsg.: Verbraucherzentrale Bundesverband, Autor: Michael Engel; Berlin 2004

Symptome von Mangelernährung

Ödeme Tremor blasse Hautfarbe Hämatome Hautläsionen schuppige Haut Apathie Risse oder wunde Stellen am Mund Desorientiertheit, Lethargie Nachtblindheit Schwäche Photophobie

Kauprobleme minimieren

  • Brotrinde abschneiden
  • Obst und Gemüse schälen
  • Speisen pürieren, nicht weich kochen
  • Frischkäse statt Hartkäse
  • Puddings mit Milch statt mit Wasser kochen

Genforschung Ernährung und Altern

Während des physiologischen Prozesses des Alterns erfolgen Veränderungen auf verschiedenen Ebenen des Organismus, von der Zelle bis zum Organsystem. Dabei kommt es zu fortschreitenden funktionellen Einbußen zellulärer Vorgänge. Die moderne Genforschung versucht nun, die zugrunde liegenden Mechanismen aufzuklären, um schließlich gezielt Alterungsprozesse verzögern zu können. Zu den wichtigsten Regulationsmechanismen gehört der Proteinabbau.

In dessen Verlauf erfolgt u. a. die Akkumulation von oxidierten und modifizierten Proteinen, die dann die Grundlage für die Bildung von Lipofuszin, dem Alterspigment bilden. Diese Vorgänge werden mithilfe eines In-vitro-Alterungsmodells menschlicher Fibroblasten untersucht.

Grundlegende Fragen der Alterungsforschung werden mit dem Modellorganismus Caenorhabditis elegans (Fadenwurm) untersucht. Seine mittlere Lebensspanne von 17 Tagen erlaubt, Alterungsprozesse in einem überschaubaren Zeitraum zu untersuchen. Außerdem haben viele krankheitsrelevante Gene des Tieres hohe Ähnlichkeit mit denen des Menschen. Mutationen, die zu einer 5fach verlängerten Lebensspanne des Tieres führten, gingen mit einer erhöhten Resistenz gegenüber reaktiven Sauerstoffspezies einher.

Außerdem fand man Substanzen, die zu einer erhöhten Aktivität von Enzymen führten, die reaktive Sauerstoffspezies entgifteten, was ebenfalls die Lebensspanne verlängerte. Untersuchungen mit sekundären Pflanzeninhaltsstoffen, z. B. Antioxidanzien aus der Nahrung, sind im Gang.

Quelle: 41. Wissenschaftlicher Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, 11. bis 12. März 2004, Freising-Weihenstephan

Empfehlungen für die Ernährung im Alter

  • Energiezufuhr von 1700 bis 2400 Kilokalorien pro Tag und täglich 1 bis 2 g Eiweiß pro kg Körpergewicht
  • Abwechslungsreiche Ernährung mit 4 bis 6 Mahlzeiten pro Tag
  • Täglich Brot, Obst, Salat, Gemüse, Kartoffeln, Reis oder Nudeln
  • Täglich Milchprodukte (mindestens 2 Scheiben Käse und 1 Becher Joghurt oder Milch)
  • Täglich pflanzliche Öle sowie ein Esslöffel Butter oder Margarine
  • 2-mal pro Woche Seefisch
  • 2- bis 3-mal pro Woche ein Ei
  • 2- bis 4-mal wöchentlich Fleisch oder Geflügel und 2 bis 3 Scheiben Wurst
  • Wenig Süßigkeiten
  • Kein bis moderater Alkoholkonsum
  • Täglich 4 Tassen Tee, 1 Glas Gemüsesaft, 1 Glas Obstsaft und 4 Gläser Mineralwasser

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