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Charmant, wie Biggi Bender, die eloquente grüne Gesundheitsexpertin, sich wundern kann: wunderbar und wundersam zugleich. Zwei Beispiele ihrer Verwunderung lieferte sie beim "Infotainment", der traditionellen Diskussion mit Politikern während des Berliner Wirtschaftsforums des Deutschen Apothekerverbandes.

Beispiel 1: Gert Glaeske – unser Kollege, Ulla Schmidts enger Berater und sicher ein aus Regierungssicht unverdächtiger Zeuge – habe darauf hingewiesen, dass es nach Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes zu "bedenklichen" Substitutionen gekommen sei: Ärzte seien von nun nicht mehr erstattungsfähigen, nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf verschreibungspflichtige und damit weiter erstattungsfähige Arzneimittel umgeschwenkt. Diese Effekte waren bei den Anhörungen im Vorfeld des GMG mehrfach vorausgesagt worden.

Biggi Bender muss da wohl gerade draußen gewesen sein. Ein Wechsel hin zu Arzneimitteln, die wegen höherer Risiken verschreibungspflichtig sind, ist in der Tat pharmakologisch bedenklich. Als Nebeneffekt werden dabei auch die gewünschten Einsparungen konterkariert, weil verschreibungspflichtige Arzneimittel im Schnitt (mit einem Packungspreis von rund 30 Euro) deutlich teurer sind als nicht-verschreibungspflichtige (knapp 8 Euro). Auch darauf war vorher hingewiesen worden. Kein Grund also, sich jetzt zu wundern.

Beispiel 2: Eine Fraktionskollegin von Biggi Bender, unter einer laufenden Nase leidend, habe eine Mitarbeiterin losgeschickt, die in einer Apotheke in der Nähe des Bundestages einen Schnupfenspray kaufen sollte. Der habe 10 Euro gekostet, wesentlich mehr als zuvor – empörte sich Frau Bender. Warum nur? Erstens gab es Hersteller, die ihre Abgabepreise bei Selbstmedikationsprodukten als Reaktion auf mancherlei neue Restriktionen in anderen Bereichen kräftig angehoben haben.

Zweitens machen sicher auch einige Apotheken von der neu gewonnenen, aber durchaus unerwünschten Freiheit bei der Preisfestsetzung so Gebrauch, dass sie bei Arzneimitteln zur Linderung akuter Beschwerden Zuschläge realisieren, um Ertragsverluste in anderen Sektoren zu kompensieren. Genau dies verhinderte die Arzneimittelpreisverordnung, solange sie auch für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel gültig war.

Sich jetzt zu wundern, dass die von den Apothekern keinesfalls nur aus egoistischen Gründen abgelehnte Freigabe der Apothekenabgabepreise nicht zu den offensichtlich ausschließlich erwarteten Preissenkungen führt, zeigt die ganze betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Naivität der politischen Klasse, die diese Neuregelung durchgesetzt hat.

Zurück zur Herausnahme der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus der Erstattungspflicht: Die SPD-Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer, Mitglied des Gesundheitsausschusses und Dermatologin, hielt auf der gleichen Veranstaltung nicht mit ihrer Ansicht hinter dem Berg, dass diese Maßnahme "nicht sachgerecht" gewesen sei. In der Tat: Auch wenn man (wie parteiübergreifend fast alle Kundigen) die Meinung vertritt, dass eine stärkere Selbstverantwortung und Selbstbeteiligung der Versicherten nicht mehr zu umgehen ist – es war und bleibt verfehlt, dazu wegen der scheinbar leichteren Exekutierbarkeit das sachfremde Kriterium der Verschreibungspflichtigkeit heranzuziehen.

Besonders verfehlt ist dies, weil dieses Vorgehen zur Rechtfertigung fast immer mit der falschen Unterstellung verbunden wird, die nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel seien ohnehin selten wirksam und meistens unnütz. Ehrlicher wäre es zuzugeben, dass (anders als bisher im Sozialbesetzbuch proklamiert) eben nicht mehr alles, was wirksam, ausreichend und wirtschaftlich ist, voll erstattungsfähig bleiben kann.

Klaus G. Brauer

Wunderbar und wundersam

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