Arzneimittel und Therapie

KHK und Endotheldysfunktion: Evidenzbasierte NO-Substitution mit Nitraten

Mit NO-Donoren wie Glyceroltrinitrat (Nitroglycerin), Isosorbiddinitrat (ISDN) und Pentaerithrityltetranitrat (PETN) stehen unverzichtbare antianginöse Substanzen zur Verfügung. Doch ist Nitrat nicht gleich Nitrat. Man hat die Struktur-Wirkungsbeziehungen geklärt, die unterschiedliche Eigenschaften der Wirkstoffe hinsichtlich Bioaktivierung, Pharmakokinetik und -dynamik und der Toleranzentwicklung bedingen. Da Störungen der Endothelfunktion als frühe Manifestation von Gefäßerkrankungen gesehen werden, könnten antiatherosklerotische und antioxidative Effekte, wie sie für PETN nachgewiesen wurden, prognostisch von Bedeutung sein.

Seit Lou Ignarro 1987 den wenige Jahre zuvor beschriebenen Endothelium derived factor (EDRF) als gefäßrelaxierendes Stickstoffmonoxid (NO) identifizierte, machte das unscheinbare Molekül eine stürmische Karriere. Dem Interesse am Forschungsobjekt NO tut es keinen Abbruch, wenn Forscher neuerdings in Zweifel ziehen, dass Stickstoffmonoxid das Wirkprinzip der organischen Nitrate ist.

NO ist eine Substanz der Gegensätze: Toxisches Umweltgift, aber unverzichtbar im menschlichen Organismus; anorganisches Gas, aber selektiver Reaktionspartner organischer Makromoleküle; einfachste Struktur, aber vielfältige biologische Wirkungen; physiologischer Nutzen, aber auch pathologische Überproduktion.

Gut untersuchte biologische NO-Targets sind die lösliche Guanylatcyclase und das Hämoglobin. Immer wieder werden neue physiologische Funktionen des schlichten Moleküls entdeckt. Gegenstand aktueller Forschung sind z. B. die Wechselwirkungen von NO mit Proteinen oder reaktiven Sauerstoffspezies (ROS).

Neue Entwicklungen bei den NO-Donoren

L-Arginin ist im Organismus die natürliche Quelle für NO. Synthetische "chemische" Quellen, NO-Donoren, eignen sich zur NO-Substitutionstherapie. Organische Nitrate, Sydnonimine (Molsidomin) sowie Nitroprussid-Natrium waren schon als Arzneistoffe zugelassen, als man ihre Funktion als NO-Donoren noch gar nicht verstand, berichtete der Chemiker und Pharmazeut Professor Jochen Lehmann, Jena.

Der Freisetzungsmechanismus von NO aus den NO-Donoren erwies sich bei den Diazeniumdiolaten als einfach; bei Molsidomin, Nitroprussid-Natrium ist er kompliziert, aber geklärt; bei den organischen Nitraten kompliziert und nach wie vor ungeklärt. Von den neuen NO-Donoren erscheinen die Diazeniumdiolate – auch NONOate genannt – sehr viel versprechend. "Man kann sie nach Wunsch designen: Ihre Halbwertszeiten reichen von Sekunden bis viele Stunden", so Lehmann.

Struktur-Wirkungsbeziehungen organischer Nitrate

Organische Nitrate mit einem fünfwertigen Stickstoff sind Salpetersäureester mit antianginöser Wirkung wie Glyceroltrinitrat (GTN, Nitroglycerin), Isosorbiddinitrat (ISDN), Isosorbid-5-mononitrat (ISMN) und Pentaerithrityltetranitrat (PETN).

Unterschiede in der Pharmakokinetik und der Bioaktivierung dieser NO-Donoren bedingen unterschiedliche Pharmakodynamik, Klinik und Toleranzentwicklung, erläuterte Lehmann. Struktur-Wirkungsbeziehungen stehen auch hinter der unterschiedlichen Vasoaktivität und Dosierung von relativ gleichartigen organischen Nitraten. Die vasodilatatorische Potenz korreliert mit der Zahl der Nitratgruppen.

  • GTN wirkt unretardiert als Zerbeißkapsel oder als Spray binnen Sekunden oder Minuten bei einer Wirkdauer von zehn bis 30 Minuten. Es ist das wichtigste Mittel beim akuten Angina-pectoris-Anfall. Prophylaktisch kann es perkutan unter Umgehung der Leber (hoher First-pass-Effekt) appliziert werden. Wegen der sich entwickelnden Nitrattoleranz beträgt die Wirkdauer nur acht bis 12 Stunden, weshalb es sich empfiehlt, das Pflaster über Nacht zu entfernen.
  • ISDN eignet sich wegen des langsameren Wirkungseintritts nur bedingt zur Akuttherapie und wird überwiegend als Retardpräparat eingesetzt (Wirkdauer 180 bis 360 Minuten). Die entstehenden Metabolite wie ISMN sind biologisch aktiv und haben eine noch längere Wirkung (t 1\\2 ISMN = 4 h, Wirkdauer 300 bis 360 Minuten).
  • PETN ist ausschließlich ein Langzeitnitrat, mit einer Wirkdauer bis zu sechs Stunden. Jeder der drei PETN-Metaboliten, das Tri-, Di- und das Mononitrat, entwickelt eine eigene Pharmakodynamik und -kinetik, mit Halbwertszeiten bis zu zehn Stunden. Die Gesamtwirkung addiert sich aus den Einzelwirkungen. "PETN ist vier Nitrate" formulierte Lehmann.

Unterschiede in der Nitrattoleranz: GTN > PETN > NONOat

Eine verminderte Sensitivität gegenüber dem Nitrat bzw. anderen Endothel-abhängigen Vasodilatatoren kennzeichnet die Nitrattoleranz bzw. die Kreuz-Toleranz. Sie ist klinisch wie auch in vitro zu beobachten. Das unerwünschte Phänomen, wie auch die erwünschten Wirkungen, schrieb man bis etwa 1990 dem NO als Agens selbst zu. Heute geht man davon aus, dass es von der Struktur des Restmoleküls abhängt.

Das Toleranz-Phänomen ist

  • relativ stark ausgeprägt bei GTN,
  • deutlich schwächer bei PETN, und
  • praktisch nicht nachweisbar bei schnell freisetzenden NONOaten.

Wie sich die Nitrattoleranz bei den einzelnen Substanzen aus heutiger Sicht entwickelt, beschrieb Professor Münzel, Hamburg. Durch Glyceroltrinitrat werden in den Mitochondrien vermehrt reaktive Sauerstoffspecies ("freie Radikale") induziert. Dieser oxidative Stress hemmt die Aldehyddehydrogenase-2 und damit die Biotransformation und Aktivierung von Nitraten.

Zudem schädigten die reaktiven Spezies die NO-Signal-Kaskade selbst, die zur Gefäßrelaxation führt. Beide Vorgänge zusammen bedingen Nitrattoleranz und auch Kreuztoleranz nach Gabe von GTN. Nach Gabe von Pentaerithrityltetranitrat ist die Nitrattoleranz deutlich schwächer ausgeprägt.

Möglicherweise bedingt durch die langsamere Freisetzung von NO und/oder spezifische antioxidative Eigenschaften von PETN fällt hier die Bildung freier Radikale wesentlich geringer aus. "PETN und seine Metaboliten stellten eine Ausnahme dar, da sie die negativen Nitrat-Eigenschaften nur ansatzweise aufweisen, und sie größtenteils durch protektive Nebeneffekte kompensieren können", so Münzel.

Eine transdermale Dauertherapie mit Glyceroltrinitrat führe darüber hinaus zu einer erhöhten Lipidperoxidation, ergänzte Professor J. B. Parker aus Toronto, Canada. Die Beeinträchtigung der Endothelfunktion könne negative klinische Folgen haben – Effekte, die wiederum dem PETN nicht eigen seien.

Vielmehr scheinen PETN und seine Metaboliten die Bildung antioxidativer Proteine wie Ferritin und Hämoxygenase-1 zu stimulieren. In Übereinstimmung hiermit ergaben Tierexperimente und Untersuchungen an Probanden, dass PETN im Gegensatz zu anderen Langzeitnitraten die Endothelfunktion verbessert und athersklerotische Gefäßveränderungen unterdrückt.

PETN ebenso wirksam wie ISDN

Was besagen diese Unterschiede über die therapeutische Wirksamkeit? Professor A. M. Zeiher aus Frankfurt stellte eine doppelblind angelegte Multizenterstudie vor, die PETN mit dem langjährigen Standard und meistverordneten Nitrat Isosorbiddinitrat verglich. 312 Patienten mit stabiler Angina pectoris erhielten 12 Wochen lang zusätzlich zu ihrer bisherigen Therapie 2 x 80 mg PETN oder 2 x 20 mg ISDN, praxisübliche Dosen.

Hauptendpunkt der Studie war die Veränderung der Belastungskapazität auf dem Fahrradergometer. Beide Medikationen erbrachten hier keinen signifikanten Anstieg, aber eine Unterlegenheit von Pentaerithrityltetranitrat gegenüber Isosorbiddinitrat konnte ausgeschlossen werden.

Bei der per-Protokoll-Analyse (erfasst lediglich die Patienten mit einer protokollgerechten Realisation der Therapie) schnitt PETN signifikant besser ab: Eine Verbesserung der Belastungskapazität um mindestens 10% erzielten 43% der Patienten unter PETN und nur 32% unter ISDN. 10 Patienten müssen demnach mit PETN statt ISDN behandelt werden, damit ein Patient zusätzlich positiv anspricht.

Vor allem schwer Kranke profitieren

Besonders deutlich profitierten von Pentaerithrityltetranitrat Patienten mit einer anfänglich geringen Belastungskapazität von unter 513 Watt x min. Bei ihnen steigerte sich die Belastbarkeit auf dem Ergometer nach 12 Wochen um 59 Watt u min gegenüber 10 Watt u min unter ISDN.

Die Zahl der Angina-Anfälle und der Bedarf an Nitroglycerin-Akutmedikation nahm unter PETN stärker ab. Auch bei der Verträglichkeit zeigte PETN leichte Vorteile. Die Rate der Patienten, die vom Nitrat-Kopfschmerz geplagt wurden, lag bei 1,7% gegenüber 3,9% unter ISDN.

PETN bei Lungenhochdruck?

Eine pulmonal-venöse Hypertonie als Folge eingeschränkter linksventrikulärer Funktion charakterisiert eine Untergruppe von herzinsuffizienten Patienten, die eine besonders ungünstige Prognose hat. Die pulmonale Hypertonie lässt sich sehr effektiv durch Nitrate senken, erklärte Priv.-Doz. Dr. C. Schneider aus Köln.

Problematisch sei jedoch die rasch aufkommende Nitrattoleranz, die Therapiepausen erforderlich macht. Da die Toleranzentwicklung bei PETN nur eine untergeordnete Rolle spielt, wird diese Substanz derzeit in einer prospektiven, randomisierten Studie ("Decrease it") auch an Patienten mit pulmonaler Hypertonie und Herzinsuffizienz überprüft.

Quelle

Prof. Dr. Jochen Lehmann, Jena; Prof. Dr. Thomas Münzel, Mainz; Prof. J. B. Parker, Toronto, Canada; Priv.-Doz. Dr. Jens Schneider, Düsseldorf; Prof. Dr. A. M. Zeiher, Frankfurt/Main: "Endotheliale Dysfunktion – NO-Substitution als evidenz-basiertes Therapieprinzip", im Rahmen der 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Mannheim, 15. April 2004, veranstaltet von der Alpharma-Isis GmbH, Langenfeld.

Mit NO-Donoren wie Glyceroltrinitrat, Isosorbiddinitrat und Pentaerithrityltetranitrat stehen unverzichtbare antianginöse Substanzen zur Verfügung. Doch ist Nitrat nicht gleich Nitrat. Es gibt Unterschiede in den Struktur-Wirkungsbeziehungen, die unterschiedliche Eigenschaften der Wirkstoffe hinsichtlich Bioaktivierung, Pharmakokinetik und -dynamik und der Toleranzentwicklung bedingen.

Wie entsteht aus organischem Nitrat anorganisches NO?

Nach einer neueren Arbeit ist das lange gesuchte Enzym zur Bioaktivierung der Nitrate die mitochondriale Aldehyddehydrogenase (ALDH-2). Sie katalysiert die Reduktion des Nitrats zu Nitrit, welches mithilfe von Thiolen als Kofaktoren weiter zu NO reduziert wird.

Chen, Z.; J. Zhang; J. S. Stamler: Identification of the enzymatic mechanism of nitroglycerin bioactivation. pnas.122225199, 8306 – 11 (2002).

Klinisches Wirkprofil von organischen Nitraten

Das klinische Wirkprofil von organischen Nitraten wird bestimmt durch:

  • die Zahl der Nitratgruppen
  • die Biotransformation zu Nitrat-haltigen Metaboliten
  • die Affinität und Aktivität der Nitrate an der mitochondrialen Aldehyddehydrogenase
  • die Pharmakodynamik der intermediären Nitrosothiole
  • den Zustand des Endothels
  • die Bioverfügbarkeit

Nitratkopfschmerz

Als Nitratkopfschmerz bezeichnet man einen bei der Therapie mit Nitraten gelegentlich auftretenden bohrenden Kopfschmerz, der mit der Dilatation der zerebralen Blutgefäße durch NO einhergeht. Oft treten sie zu Beginn einer Nitrattherapie ein und gehen meist unter fortgesetzter Nitrateinnahme zurück. Gelegentlich bleiben sie jedoch auch über einen längeren Zeitraum bestehen. Zur Vermeidung wird empfohlen, Nitrate einschleichend zu dosieren.

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