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100 Tage Gesundheitsreform: Schwarzbuch erregt Ärzteschaft

BERLIN (ks). Das von der parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk am 6. April in Berlin vorgestellte "Schwarzbuch" hat bei der Ärzteschaft heftige Empörung hervorgerufen. Unter dem Titel "Auf dem Rücken der Patienten" hat das Bundesgesundheitsministerium Beispiele unseriöser Vorgehensweisen von Ärzten und Zahnärzten im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform aufzeigt. Die Stimmung zwischen Ministerium und Ärzten ist 100 Tage nach Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.

Nachdem Ministerin Ulla Schmidt und die Patientenbeauftragte Helga Kühn-Mengel Anfang April zunächst vor allem positiv auf die ersten rund 100 Tage der Gesundheitsreform zurückblickten, richtete Caspers-Merk ihr Augenmerk auf das, was nicht funktionierte. Konkret traf es die Ärzte.

Eine Reihe von Medizinern sei zu Beginn des Jahres nicht müde geworden, von einem Praxisgebühr-Chaos zu reden, obwohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) unter drei Millionen Fällen zur Praxisgebühr nur 30 ausmachen konnte, in denen es Probleme gab. Zeitungen und Sender hätten diese Stimmen aufgegriffen und in die Öffentlichkeit getragen. "Das öffentliche Klima für die Reform wurde systematisch und wider besseres Wissen vergiftet", heißt es im Schwarzbuch.

Kriminelle Energie

Nun hat das Ministerium auf 68 Seiten Fälle zusammengetragen, die beispielhaft belegen sollen, wie Ärzte "falsches Spiel gegen die Gesundheitsreform" treiben. So wurden Vorsorgeuntersuchungen immer wieder zu Behandlungsfällen gemacht, für die zehn Euro kassiert wurden. Andere Ärzte "missbrauchten" GKV-Patienten als "Goldesel" und "diffamierten und konterkarierten" ihnen gegenüber die Reform. Das Schwarzbuch wirft der Ärzteschaft vor, miese Stimmung zu verbreiten und in beträchtlicher Zahl auch gegen das Gesetz zu verstoßen.

"Die Fülle und Dreistigkeit der Vorfälle lässt auf kriminelle Energie einerseits und fehlendes Rechtsbewusstsein andererseits schließen", heißt es im Text. Allerdings – so wenige Zeilen später und von Caspers-Merk betont – richte sich das Schwarzbuch ausdrücklich nicht gegen die Ärztinnen und Ärzte. Vielmehr wolle es deutlich machen, dass Patienten, denen Unrecht widerfährt, nicht allein sind.

Bekannte Beispiele aus der Presse

Die Beispiele sind alle nicht neu – Presseberichte und Schreiben Kassen(zahn)ärztlicher Vereinigungen werden aufgeführt und kommentiert. Es geht um Gynäkologen, die für Schwangerenvorsorge kassieren, Kieferorthopäden, die bei der Abrechnung auf das Kostenerstattungsprinzip beharren oder eine Klinikärztin, die eine vergewaltigte 17-Jährige warten lässt, weil sie die zehn Euro nicht zur Hand hat. Alles "illegal", so das Schwarzbuch.

Auch das Info-Schreiben der KV Bayern zu nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln findet sich unter den zusammengetragenen Fällen. Obwohl Vertragsärzte bis zur Fertigstellung der Ausnahmeliste für weiterhin erstattungsfähige OTC-Präparate rezeptfreie Arzneimittel mit Begründung verordnen konnten, empfahl die bayerische KV ihren Ärzten, genau dies nicht zu tun. Entgegen "irreführender Darstellungen in den Medien, von Politikern und Mitarbeitern der Pharmaindustrie", sei eine "Übergangsregelung" im GMG nicht vorgesehen, hieß es in dem Schreiben der KV.

Ärzte: Ministerium lenkt von eigenen Fehlern ab

Dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, ist das Schwarzbuch Beleg für ein "eklatantes Versagen in der Informationspolitik von Regierung und Bundesgesundheitsministerium". Man greife zu einer der "billigsten Methoden aus den 70er Jahren". Da es an Akzeptanz in der Bevölkerung für die Sparmaßnahmen mangele, versuche das Ministerium nun sein Imageproblem auf dem Rücken der Gesundheitsberufe zu lösen. "Nichts von dem, was jetzt populistisch formuliert und selbstgefällig verkündet wird, kann über die handwerklichen Fehler dieses Gesetzes hinwegtäuschen", sagte Hoppe.

Für die KBV offenbart das Schwarzbuch "die fehlende Souveränität und Dünnhäutigkeit des Bundesministeriums". Offensichtlich wolle man "von einem Hauptflop der Gesundheitsreform ablenken", sagte KBV-Chef Dr. Manfred Richter-Reichhelm: Dass die Krankenkassen ihre Beitragssätze nicht auf 13,6 Prozent senken. Er forderte Schmidt auf, sich von dem Machwerk und der Art und Weise des Vorgehens zu distanzieren. "So kann man nicht miteinander umgehen."

Auch der Vorsitzende des Hartmannbundes Dr. Hans-Jürgen Thomas übte heftige Kritik: Anhand von Einzelfällen verunglimpfe das Ministerium pauschal die gesamte Ärzteschaft. Dies sei ein Verstoß gegen elementare Regeln der Demokratie und störe die gemeinsame Arbeit bei der gesundheitlichen Versorgung empfindlich. "Wer ein handwerklich unsauberes Gesetz auf den Weg bringt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Umsetzung stockt und mit absehbaren Problemen verbunden ist", konstatierte Thomas.

FDP unterstützt Kritik der Ärzte

Rückendeckung erhielt die Ärzteschaft vom FDP-Politiker Detlef Parr: Das Schwarzbuch lenke "in dreister Weise von den Unzulänglichkeiten der von SPD, CDU/CSU und den Grünen beschlossenen so genannten Gesundheitsreform ab". Die "dilettantische Umsetzung des Gesetzes" habe zu wochenlangen Unsicherheiten und Unklarheiten bei Patienten und Heilberuflern geführt. Dass man das auch hierdurch verursachte Fehlverhalten einzelner Ärzte jetzt zu einem Rundumschlag nutze, beweise, dass die Ministerin "mit dem Rücken zur Wand" stehe.

Das von der parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk am 6. April in Berlin vorgestellte "Schwarzbuch" hat bei der Ärzteschaft heftige Empörung hervorgerufen. Unter dem Titel "Auf dem Rücken der Patienten" hat das Bundesgesundheitsministerium Beispiele unseriöser Vorgehensweisen von Ärzten und Zahnärzten im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform aufgezeigt. Die Stimmung zwischen Ministerium und Ärzten ist 100 Tage nach Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. 

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