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Komitee Forschung Naturmedizin: Phytopharmaka in der Krise

MÜNCHEN (sei). Die Wogen gingen noch hoch, als das Komitee Forschung Naturmedizin am 17. März 2004 in München die vom GMG verursachte neue Lage der Phytotherapie und des Marktes für Phytopharmaka auszuloten versuchte. Hatte doch am vorherigen Abend der Gemeinsame Bundesausschuss die Ausnahmeliste der GKV-erstattungsfähigen nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel veröffentlicht Ų nicht gerade zur Freude vieler Beteiligter dieser Presseveranstaltung.

Auch nach 26 Jahren seit In-Kraft-Treten des AMG II im Jahre 1978 ist das Nachzulassungsverfahren für Arzneimittel noch nicht abgeschlossen, und immer noch befinden sich zwei Kategorien von Arzneimitteln auf dem Markt: solche, denen nach amtlicher Prüfung der Nachweis von Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischer Qualität durch die Behörde bescheinigt wurde, und solche, die nach wie vor auf die Prüfung warten bzw. die in der ersten Prüfung Mängel aufwiesen und nach deren Beseitigung auf die endgültige Prüfung warten.

Schaden durch verschleppte Nachzulassung

Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, machte klar, dass nicht nur von Experten und Protagonisten der Evidenz-basierten Phytotherapie dieser Zustand als untragbar angesehen wurde. Auch die EU-Kommission beklagte ihn schlussendlich am Europäischen Gerichtshof als Verletzung des Europäischen Vertrages, worauf sich die Bundesregierung endlich verpflichtete, in zügigeren Verfahren die Nachzulassung bis zum 31. Dezember 2005 abzuschließen.

Schließlich bindet die Nachzulassung erhebliche Kapazitäten, die für die Neuzulassungen benötigt werden. Dadurch, dass den Phytopharmaka bei dem Systemwechsel in der Arzneimittelzulassung eine immer wieder verlängerte Übergangsfrist von nunmehr 27 Jahren eingeräumt wurde, wurde ihnen ein großer Schaden zugefügt, so Dingermann.

Die berechtigte Kritik an der Inhomogenität und Intransparenz vieler Präparate traf die Phytopharmaka insgesamt. Die Verschleppung der Nachzulassung sei jedoch nicht (nur) der Zulassungsbehörde, sondern einer unkalkulierbaren Politik zuzuschreiben. "Immer wieder wurden Regeln geändert, und viel zu lange Zeit wurden diejenigen Hersteller belohnt, die nur zögerlich in das Verfahren eintraten".

Mit dem Entzug der Erstattungsfähigkeit fast aller Phytopharmaka als nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel steht die Phytotherapie, die sich auf ein langes Erfahrungswissen, aber auch in vielen Bereichen auf eine zeitgemäße Evidenz berufen kann, wieder ganz am Anfang und muss sich mühsam den Weg durch die Erfahrungsmedizin erarbeiten.

Der Geschädigte ist der Patient

Aus der Praxis bestätigte dies am Beispiel von Gelenk- und Rückenschmerzen auch der Vizepräsident des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren, Dr. Martin Adler. Viele solcher Patienten, oft mit altersbedingten Degenerationen, seien hervorragend und komplikationsfrei auf entsprechende Phytopharmaka (Teufelskralle, Weidenrinde u. a.) eingestellt.

Etliche können sich, wie vom Gesetzgeber erwartet, diese Medikamente nun nicht mehr selbst leisten und werden häufig auf die in den Behandlungsleitlinien empfohlenen erstattungsfähigen NSAR, Corticoide oder Methotrexat umgestellt. Die klassischen Nebenwirkungen kenne jeder Apotheker, von den Kosten extra zu behandelnder Nebenwirkungen spricht niemand!

Arzt im Konflikt

Der Arzt befindet sich häufig in einer ethischen Konfliktsituation. Das grüne (Privat-)Rezept, das sowohl Ärzte als auch Patienten dabei unterstützen soll, bewährte Therapien mit Arzneimitteln in gewohnter Weise fortzusetzen, hält Adler bei sozial schwächer gestellten Patienten für keine gute Lösung.

Sein Verband plädiert daher mit Nachdruck für den Verbleib der Phytotherapie in der Kassenärztlichen Versorgung und will dazu nötigenfalls rechtliche Mittel einlegen. "Phytotherapie ist für die Gesundheit der Patienten unverzichtbar!"

Sinn und Zweck des grünen Rezepts sei in erster Linie die Vermeidung von unkontrollierter Selbstmedikation ohne ausreichende Diagnose, stellte Prof. Dr. Michael Popp, Neumarkt, klar. Er berichtete von dramatischen Umsatzeinbrüchen von 20 bis 50% bei den Phytopharmakaherstellern seit dem 1. Januar. Die massiven Verordnungsrückgänge können weder durch einen Anstieg der (grünen) Privat-Rezepte noch durch den moderat wachsenden Selbstmedikationsmarkt kompensiert werden.

Während in den USA und Großbritannien die Erforschung pflanzlicher Arzneimittel vom Staat mit Hunderten Millionen Euro unterstützt wird, müssen sich die auf diesem Gebiet bisher führenden deutschen Phytopharmakahersteller fragen, wie sie zukünftige Studien weiterfinanzieren können. "Phytopharmakahersteller sind im Wettbewerb beim Arzt aus dem Ring gekickt!"

Perspektiven auf dem europäischen Markt

Als positiv wertete Popp die Rahmenbedingungen für Phytopharmaka in der Europäischen Union. Im vergangenen Dezember wurde endlich eine europäische Arzneimittelzulassung protokolliert. Pflanzliche Arzneimittel können nun nach den Richtlinien des "traditional use" oder des "well-established use" beurteilt und EU-weit anerkannt werden.

Dazu können firmeneigene wissenschaftliche Dokumentationen, auch für Spezialextrakte, eingebracht werden. Hier bleibt nun abzuwarten, wie deutsche Phytopharmakahersteller diesen sehr schwierigen Spagat zwischen wissenschaftlicher Forschung und Investitionen in das Marketing absolvieren werden und ob sie wegen des wegbrechenden hiesigen Marktes überhaupt noch eine Chance haben, die Möglichkeiten und Perspektiven für Phytopharmaka innerhalb Europas zu nutzen.

Popp ermahnte die deutschen Politiker, durch Schaffung gleicher Bedingungen für rezeptpflichtige und rezeptfreie Arzneimittel in der Versorgung durch die GKV die Therapie mit pflanzlichen Arzneimitteln nicht auszugrenzen. (Siehe hierzu auch die "Berliner Resolution zum Erhalt pflanzlicher Naturheilmittel in Deutschland", abgedruckt in DAZ Nr. 10, S. 37.)

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