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Bundesgerichtshof: Kein Betrug, aber...

Das Einreichen eines kassenärztlichen Rezepts, für dessen Erteilung keine medizinische Indikation vorliegt, stellt keinen Betrug des Patienten gegenüber der Krankenkasse und dem Apotheker dar. Der Apotheker ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, das vorgelegte Rezept auf seine medizinische Richtigkeit hin zu überprüfen. Ein Betrug liegt auch nicht vor, wenn der die Arzneimittelverordnung ausstellende und insoweit als Vertreter der Kasse handelnde Arzt weiß, dass die angegebenen Leistungen nicht notwendig sind. Dies hat das oberste deutsche Zivilgericht in einem Grundsatzbeschluss entschieden. (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. November 2003/ Az.: 4 StR 239/03)

Der Angeklagte musste sich aufgrund seines Gesundheitszustandes seit 1996 vorwiegend parenteral ernähren. Die Kosten für die Infusionen der hochkalorischen Nahrung und der Hilfsmittel trug die gesetzliche Krankenkasse, bei welcher der Angeklagte krankenversichert war.

Auf Aufforderung des Angeklagten verordnete ihm der ebenfalls angeklagte Vertragsarzt zunächst das Doppelte der ursprünglich mit einer Ernährungsberaterin abgestimmten Kalorienmenge und später sogar das Dreifache des täglichen Kalorienbedarfs, ohne dass dafür eine entsprechende ärztliche Indikation vorlag. Die durch die Apotheken ausgelieferten Übermengen verwendete der Angeklagte anderweitig, was auch der verordnende Arzt billigend in Kauf nahm.

Patient: Kein Betrug durch Vorlage des Rezepts

Der Bundesgerichtshof erkannte in dem Verhalten des Patienten keinen Betrug zu Lasten der Krankenkasse. Er habe den Apotheker nicht getäuscht. Aufgrund des gesetzlichen Systems der gesetzlichen Krankenversicherung erwerbe der Versicherte einen Anspruch auf ein bestimmtes Arzneimittel nämlich erst dann, wenn es ihm als ärztliche Behandlungsmaßnahme verschrieben werde.

Bei Verordnung einer Sachleistung handelt der Vertragsarzt danach kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen. Er gibt für und gegen die Krankenkasse die Willenserklärung zum Abschluss eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab.

Der Apotheker, dem das Kaufvertragsangebot der Krankenkasse mit Vorlage der kassenärztlichen Verordnung durch den Versicherten als Boten angetragen wird, nimmt dieses an, indem er den Versicherten das verordnete Arzneimittel aushändigt. Auf diese Weise kommt ein zwischen der Krankenkasse und dem Apotheker unter Einschaltung des Vertragsarztes als Vertreter der Krankenkasse geschlossener Vertrag zu Gunsten des Versicherten zustande.

Prüfpflicht wäre Überforderung

Die Prüfung des Apothekers bei Vorlage des kassenärztlichen Rezepts ist dabei in § 17 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), § 129 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB V) sowie in den Rahmenverträgen über die Arzneimittelversorgung auf Bundesebene geregelt.

Der Apotheker hat danach zu prüfen, ob die vorgelegte ärztliche Verordnung den formalen Anforderungen entspricht, das Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen ist und ob gegebenenfalls ein Arzneimittelmissbrauch vorliegt (§ 17 Abs. 8 ApBetrO).

Über diese pharmazeutische und pharmakologische Prüfungspflicht hinaus ist der Apotheker grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, die Angaben des Arztes auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen (vgl. dazu ausführlich Cyran/Rotta, Kommentar zur Apothekenbetriebsordnung, § 17 Rdnr. 21 ff.). Alles andere bedeutete, so das Gericht, eine zeitliche und fachliche Überforderung des Apothekers und würde seiner Stellung im System der Kassenversorgung nicht entsprechen.

Vor diesem Hintergrund konnte der Angeklagte gegenüber den Apothekern keinen betrugsrelevanten Irrtum hervorrufen: selbst wenn in dem Verhalten des Kunden die Behauptung gelegen habe, dass die verschriebenen Medikamente notwendig seien, fehle es doch an einem Irrtum des Apothekers, der für die Aushändigung des Arzneimittels hätte kausal werden können.

Denn die Notwendigkeit der Leistungen hatte der Apotheker grundsätzlich nicht zu prüfen. Lediglich bei ganz offensichtlichen, objektiv klar erkennbaren Verletzungen kassenärztlicher Pflichten ist es erforderlich, dass der Apotheker zunächst Rücksprache beim Arzt nimmt (§ 20 ApBetrO).

Besteht dieser auf die uneingeschränkte Beachtung seiner Verschreibung, ist der Apotheker regelmäßig berechtigt und verpflichtet, die ärztliche Verordnung auf Kosten der Krankenkasse auszuführen. Ob darüber hinaus im Falle des offensichtlichen Missbrauchs eine Prüfungspflicht des Apothekers und damit auch eine Täuschungshandlung denkbar ist, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offen gelassen.

Untreue des verschreibenden Arztes

Hingegen lag in dem Verhalten des angeklagten Arztes, der in Kenntnis der nicht vorliegenden medizinischen Indikation Arzneimittel verschrieben hatte, eine strafbare Untreue (§ 266 Strafgesetzbuch). Einem Vertragsarzt ist es nämlich verwehrt, Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst eindeutig nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, zu verordnen (§§ 12 Abs. 1 Satz 2, 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Verschreibt er dennoch ein Medikament zu Lasten der Krankenkasse, obwohl er weiß, dass er die Leistung nicht bewirken darf, missbraucht er die ihm vom Gesetz eingeräumten Befugnisse und verletzt seine Betreuungspflicht gegenüber dem betroffenen Vermögen der Krankenkasse.

Patient: Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue?

Ob sich der Patient im vorliegenden Fall als Teilnehmer (Anstifter oder Beihelfer) an der Untreue des Arztes beteiligt hatte, konnte der Bundesgerichtshof nicht endgültig entscheiden. Er wies deshalb die Rechtssache zur weiteren Aufklärung an eine andere Strafkammer des erstinstanzlich zuständigen Landgerichts Kaiserslautern zurück.

Entscheidung im Wortlaut bei DAZonline

Den hier zusammengefassten Beschluss können Sie neben anderen apothekenrechtlichen Entscheidungen im Wortlaut abrufen bei DAZonline unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de (Recht/Urteile) Benutzername: apotheke Kennwort: daz

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