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Gesundheitspolitisches Forum: Die Situation der Phytopharmaka nach dem GMG

BERLIN (cae). Über das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) und seine Konsequenzen für Patienten, Krankenkassen und Hersteller von Phytopharmaka fand am 27. Februar 2004 in Berlin ein Forum statt, das in den Kongress "Phytopharmaka und Phytotherapie 2004" eingebunden war. Sechs Vertreter von Industrie, Wissenschaft und Gesetzlicher Krankenversicherung legten ihre Hoffnungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Erstattungsfähigkeit nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel dar, die die Phytopharmaka eindeutig benachteiligt; so berichteten die Industrievertreter über Umsatzeinbrüche in den ersten Wochen dieses Jahres. Unter dem Eindruck der Statements und der sich anschließenden Diskussionen verabschiedeten die gut 200 Kongressteilnehmer am folgenden Tag eine Resolution zum Erhalt pflanzlicher Arzneimittel in Deutschland.

Größter Rückschlag seit Paracelsus

Über die ersten Auswirkungen des GMG auf das Verhalten von Ärzten und Patienten seit dem In-Kraft-Treten des GMG zu Beginn dieses Jahres berichtete Dr. Bernd Eberwein, Geschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Er begann seine Ausführungen mit der Feststellung: "Seit Paracelsus gab es keinen so schlimmen Rückschlag für die Phytotherapie."

Bei den Ärzten konstatierte Eberwein eine Überreaktion: Sie verordnen – außer bei Kindern – fast keine (rezeptfreien) Phytopharmaka mehr und folgen damit den Empfehlungen der GKV. Allerdings substituieren sie sehr häufig die Phytopharmaka durch (rezeptpflichtige) Synthetika derselben Indikation.

Diese von den Urhebern des GMG nicht beabsichtigte, von dessen Kritikern jedoch sehr wohl vorhergesehene Änderung des Verschreibungsverhaltens ist aus Eberweins Sicht widersinnig. Denn der Verschreibungsstatus ergibt sich nicht aus der Wirksamkeit, sondern aus den gesundheitlichen Risiken, die oft aus stärkeren unerwünschten Wirkungen bei vergleichbarer Wirksamkeit resultieren.

In den Kalenderwochen 2 bis 5 dieses Jahres ergaben sich folgende prozentuale Veränderungen beim Umsatz rezeptfreier Arzneimittel:

  • Verordnungen zu Lasten der GKV: – 68,8%
  • Verordnungen zu Lasten der PKV: + 40,6%

Der Anstieg der Verordnung rezeptfreier Arzneimittel bei der PKV zeigt, dass die Ärzte von deren Unwirksamkeit keineswegs überzeugt sind. Dieser Anstieg kann den Einbruch bei der GKV jedoch nur etwas mildern: Insgesamt ergibt sich ein wertmäßiger Verordnungsrückgang von knapp 50 Prozent.

Im gleichen Zeitraum stieg die Selbstmedikation, die bereits seit einigen Jahren das Umsatzvolumen verordneter rezeptfreier Arzneimittel übertrifft, um 4,3% an; ob sich hier ein Trend ankündigt, der auf einen Switch zur Selbstmedikation hinaus läuft, sei allerdings noch völlig offen.

Unterm Strich resultiert aus allen diesen Veränderungen im genannten Zeitraum ein Umsatzrückgang von 17,2%, und zwar von 536 auf 444 Mio. Euro. Eberwein kommentierte dies so: "In diesem Rückgang wird das Geld verbrannt, das wir dringend für die Forschung bräuchten."

Phytopharmaka, die einen Anteil von etwa 30 Prozent am Umsatz der rezeptfreien Arzneimittel haben, sind von dem Rückgang vermutlich überproportional betroffen. Doch die Katastrophe bleibt wahrscheinlich nicht auf Deutschland beschränkt: Eberwein erwartet vom GMG eine negative Signalwirkung auf die ausländischen Märkte.

So seien z. B. Ginkgo- und Hypericum-Präparate nicht nur deshalb so erfolgreich in den US-amerikanischen Markt eingeführt geworden, weil die zugrunde liegenden Studien überzeugt haben, sondern auch weil sie in Deutschland erstattungsfähig waren. Im drohenden Rückgang der Exporte liegt also eine weitere Gefahr für den Fortbestand der Phytopharmakahersteller in Deutschland.

Mündiger Patient hat Anrecht auf Information

Mit einem weiteren aktuellen Zahlenvergleich wartete Prof. Dr. Michael Habs von der Firma Dr. Willmar Schwabe auf: Im Januar 2003 gingen bei GKV-Patienten noch 49,3% aller vom Arzt verordneten bzw. empfohlenen Schwabe-Phytopharmaka zu Lasten der Krankenkasse, im Januar 2004 waren es nur noch acht Prozent.

Es sei politisch so gewollt, dass die GKV für die Kosten der Phytotherapie nicht mehr aufkommt. Auch die arztgestützte Selbstmedikation in diesem Bereich sei nicht das Ziel der Politik – siehe Praxisgebühr. Dagegen solle die Eigenverantwortung des Patienten gestärkt werden.

Dieser grundlegende Wandel zwinge, so Habs, auch die Hersteller zu einer Neuausrichtung. Allerdings werden sie dabei durch das Heilmittelwerbegesetz – "ein Gesetz aus dem letzten Jahrhundert, das nicht mehr in die politische Landschaft passt" – gehindert. Der Sinn dieses Gesetz lag darin, den Patienten vor unlauterer Werbung bei Waren der besonderen Art, wie sie Arzneimittel darstellen, zu schützen.

Dabei gehen die Bestimmungen so weit, dass auch sachliche medizinische Informationen nicht an den Laien weitergegeben werden dürfen, weil man ihn für unfähig hält, die Informationen richtig einzuordnen, und weil man ihn davor bewahren will, aus diesen Informationen falsche Schlüsse zu ziehen und falsche Entscheidungen zu treffen.

Derzeit sind beispielsweise bildliche Darstellungen von Krankheiten und Arzneiwirkungen in der Verbraucheraufklärung verboten. Ebenso ist die Publikumswerbung für bestimmte Arzneimittel verboten (§ 10 Abs. 2 HWG). Doch auf Grund der politischen Vorgabe, dass der Patient weniger den Arzt konsultieren und sich in stärkerem Maße selbst behandeln soll, müsse man ihm auch mehr Information "zutrauen".

Der selbstzahlende Kunde habe geradezu ein Recht auf fachliche Information, wobei aber eine klare Grenze zwischen Information und Werbung nicht zu ziehen sei. Die Europäische Kommission hat bereits vorgeschlagen, das Verbot der Publikumswerbung für bestimmte Krankheiten zu streichen, und das Europäische Parlament hat dem zugestimmt. Es sei höchste Zeit, diese Vorgaben mit einer Novelle des HWG umzusetzen.

Forschung mehr belohnen

Mit der Frage, wie die unter finanziellen Einbußen leidenden Hersteller von Phytopharmaka ihre Forschungstätigkeiten aufrecht erhalten können, befasste sich Dr. Günter Meng, der wie sein Vorredner bei der Firma Dr. Willmar Schwabe tätig ist. Er ließ keinen Zweifel daran, dass bei den Herstellern der Wille, ihre hochstehende Phytopharmakaforschung aufrecht zu erhalten, vorhanden ist, sofern sie sich diese finanziell noch leisten können.

Hier seien die Politik und die Behörden gefordert: Der Gesetzgeber müsse die Rahmenbedingungen verbessern, indem er den Firmen einen Verwertungsschutz ihrer Forschungsergebnisse gewährt, und die Zulassungsbehörden sollten den ihnen zustehenden Entscheidungsspielraum nutzen, indem sie eher pragmatisch als formal entscheiden.

Der Patentschutz spielt bei pflanzlichen Zubereitungen bei weitem nicht die Rolle wie bei synthetischen Präparaten, da allenfalls Spezialextrakte patentierbar sind. Klinische Studien, die eine Firma mit einem nicht patentierbaren Extrakt durchgeführt hat und die für dessen Zulassung als Arzneimittel entscheidend waren, sollten der Firma für einige Jahre ein exklusives Verwertungsrecht des betreffenden Extraktes für die belegte Indikation sichern.

Der Beitrag fand im Plenum sehr viel Zustimmung und wurde durch weitere Aspekte ergänzt. Mehrere Hochschullehrer, die mit der Industrie zusammenarbeiten, wiesen darauf hin, dass ohne aktuelle Forschung an den Instituten auch keine aktuelle Lehre möglich sei. Prof. Dr. Adolf Nahrstedt, Münster, forderte, dass die Phytopharmakaforschung auch direkt vom Staat unterstützt werden sollte, wie das zurzeit in den USA geschieht.

Dafür gebe es eine demokratische Legitimation, weil die Mehrheit der Bevölkerung mit Phytopharmaka behandelt werden wolle. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) lehne jedoch regelmäßig alle derartigen Forschungsprojekte ab – und das sei ein Skandal.

Phytopharmaka können die Kassen entlasten

Mit den klinischen Prüfverfahren für Arzneimittel setzte sich Prof. Dr. Volker Schulz, Vorsitzender des Kuratoriums der Gesellschaft für Phytotherapie, kritisch auseinander. Das artifizielle Umfeld klinischer Doppelblindstudien entspreche nicht dem therapeutischen Umfeld der alltäglichen Praxis und führe schon allein deshalb oft zu Ergebnissen, die nicht eins zu eins auf die Therapie übertragbar seien. Dies gelte insbesondere bei psychiatrischen Erkrankungen, aber durchaus auch bei akuten Atemwegsinfekten, Demenz oder benigner Prostatahyperplasie.

Da die Umwelteinflüsse aus den Studien eliminiert werden und nur die Pharmakodynamik bewertet wird, wurden viele Arzneistoffe als Innovationen zugelassen, obwohl sie praktisch keinen oder nur einen minimalen Therapiefortschritt bedeuteten. Schulz behauptete, es habe bei den Antidepressiva in den letzten vier Jahrzehnten keinen Fortschritt bei der Wirksamkeit, sondern nur hinsichtlich der Minderung unerwünschter Wirkungen gegeben.

Auch die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports haben dies nun endlich eingesehen, indem sie seit der Ausgabe des Jahres 2002 neue Antidepressiva nicht mehr als therapeutisch innovativ einstufen. Jedoch gibt die GKV Unsummen für solche – laut Schulz – "Pseudo-Innovationen" aus, während sie andererseits die Kosten für bewährte Phytopharmaka nicht mehr erstattet.

Nach einer Schätzung von Schulz dürfte allein die Umstellung der Demenzpatienten von Ginkgopräparaten auf Synthetika mit einer Milliarde Euro jährlich zu Buche schlagen. Er resümierte, dass der Ausschluss der Phytopharmaka aus der Erstattungsfähigkeit auch im Interesse der GKV wieder rückgängig gemacht werden müsse.

Souveräne Patienten – überforderte Apotheker?

Als Vertreter der GKV, die hiermit direkt angesprochen waren, referierten Hardy Müller, Leiter des Referates Versorgungsmanagement/Projekte der Techniker Krankenkasse (TK), und Wolfgang Kaesbach, Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte und Heilmittel im Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK).

Müller meinte, der aktuelle Einbruch bei den Phytopharmaka beruhe auf einem Vorzieheffekt, das heißt: Die Patienten haben sich Ende letzten Jahres mit einem Vorrat an Präparaten eingedeckt, sodass sie aktuell keinen Bedarf haben. Ansonsten sah Müller die Veränderung im OTC-Bereich als "riesige Chance" sowohl für die Hersteller als auch für die Apotheken.

Die Krankenkassen wollen den eigenverantwortlichen, souveränen Patienten, der nach sachlichen Kriterien selbst entscheidet, weil dies auch Kosten spare. Sie wollen diese Entwicklung fördern, indem sie den Versicherten mehr Informationen, insbesondere im Internet, bietet. Die Patienten sollten ihre Medikationsprofile, die Daten und Kosten ihrer individuellen Therapie bei ihrer Krankenkasse online abrufen können. Das Ziel sei die virtuelle Patientenakte.

Kaesbach begann seinen Vortrag mit der provokanten These, dass der kulturell und historisch bedingte Schutz der Phytotherapie nicht länger gerechtfertigt sei. Phytopharmaka seien, gerade weil sie meistens mild wirksam sind und keine Nebenwirkungen haben, ideale "Einstiegsdrogen" in einen übermäßigen Arzneimittelkonsum.

Statistisch erhalte jeder GKV-Versicherte eine Dauertherapie von 1,5 Arzneimitteln täglich; dies sei entschieden zu viel. So entstehe ein Gewöhnungseffekt, dass man mit Arzneimitteln "für und gegen alles" etwas tun könne. Es sei die Absicht der Krankenkassen, dass die zu ihren Lasten verschriebenen Arzneimittel zielgerichteter eingesetzt werden und dass der Arzneimittelkonsum insgesamt sinkt.

In der Diskussion machten mehrere Teilnehmer des Kongresses klar, dass sie mitnichten einen besonderen Schutz für die Phytopharmaka in Anspruch nehmen, sondern dass sie sich nur "Gleichberechtigung" mit den Synthetika wünschen. Die Phytotherapie verstehe sich nicht mehr als "besondere" Therapierichtung, sondern stehe auf dem Boden der Rationalität, indem sie mit anerkannten Methoden die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachweist.

Auch eine Auswirkung des GMG, dass viele Patienten nicht mehr zum Arzt, sondern gleich in die Apotheke gehen und dort eine Diagnose erwarten, kam in der Diskussion zur Sprache. Auf die Bemerkung einer Apothekerin im Plenum, dass sie damit bisweilen fachlich überfordert sei, entgegnete Kaesbach, dass die Apotheker doch sonst "mit dem Ethikschild herumlaufen, dass sie die einzigen Arzneimittelfachleute sind", ließ aber die Problematik der Diagnostik in der Apotheke unbeantwortet.

Er forderte die Apotheker auf, im OTC-Bereich mehr Kompetenz zu zeigen, auch gegenüber dem Arzt. Sie sollten die neue Gesetzeslage als Chance nutzen und nicht mit dem "grünen Rezept" die alten Zeiten scheinbar wiederaufleben lassen. Nach diesem Forum verfassten die Vorsitzenden der Gesellschaft für Phytotherapie, der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung und der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmakologie und Therapie eine Resolution zum Erhalt der Phytopharmaka in Deutschland, die am folgenden Tag vom Plenum angenommen wurde (s. Kasten).

Ein Bericht über die wissenschaftlichen Vorträge des Phytopharmaka-Phytotherapie-Kongresses folgt in einer der nächsten Ausgaben der DAZ.

Über das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) und seine Konsequenzen für Patienten, Krankenkassen und Hersteller von Phytopharmaka fand am 27. Februar 2004 in Berlin ein Forum statt, das in den Kongress "Phytopharmaka und Phytotherapie 2004" eingebunden war. Vertreter von Industrie, Wissenschaft und Gesetzlicher Krankenversicherung legten ihre Hoffnungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Erstattungsfähigkeit nichtrezeptpflichtiger Arzneimittel dar. Die gut 200 Kongressteilnehmer verabschiedeten am folgenden Tag eine Resolution zum Erhalt pflanzlicher Arzneimittel in Deutschland.

Ein Arzneimittel ist deshalb rezeptpflichtig, weil es höhere Risiken hat, nicht weil es besser wirkt. Dr. Bernd Eberwein

Die Phytotherapie in der GKV ist ein Auslaufmodell. Prof. Dr. Michael Habs

Die Mehrzahl der Verbote des deutschen Heilmittelwerbegesetzes, die sich auf die Publikumswerbung beziehen, gehen von einem überholten Menschenbild für die Patienten und Kunden aus. Prof. Dr. Michael Habs

Die Hersteller von Phytopharmaka des oberen Qualitätssegments wollen forschen. Dr. Günter Meng

Für andere zu forschen ist zwar löblich, aber eine brotlose Kunst. Prof. Dr. Dr. h.c. Fritz Kemper

Dass die DFG Anträge zur Phytopharmakaforschung grundsätzlich ablehnt, ist ein Skandal. Prof. Dr. Adolf Nahrstedt

Evidence-based Medicine kann immer nur auf der Gesamtheit dessen beruhen, was unter der Behandlung nützlich beim Patienten ankommt, und nicht auf einer statistischen Minorität davon. Prof. Dr. Volker Schulz

Der rational entscheidende Patient ist ein kostengünstigerer Patient. Hardy Müller

Wir müssen den Umgang mit Arzneimitteln wieder lernen. Wolfgang Kaesbach

Die Apotheker, die für das grüne Rezept werben, gestehen ihre eigene Inkompetenz ein. Wolfgang Kaesbach

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