Rechtsprechung aktuell

Widerruf der Approbation: Sofortvollzug nur unter engen Voraussetzungen

Der Anordnung einer sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Approbation sowie der Einziehung der Approbationsurkunde ist ein Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz gewährleistete Freiheit der Berufsausübung und -wahl. Sie ist nur zulässig, wenn ein Berufsverbot schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist. (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Oktober 2003, Az.: 1 BvR 1594/03)

Die Beschwerdeführerin, eine Apothekerin, wurde wegen gemeinschaftlichen Betruges und Urkundenfälschung in mehreren Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Daraufhin widerrief die zuständige Aufsichtsbehörde die Approbation der Beschwerdeführerin, zog die Approbationsurkunde ein und ordnete darüber hinaus den Sofortvollzug dieser Verfügungen an. Der Sofortvollzug einer Verfügung hat zur Folge, dass der Betroffene trotz Einlegung eines Widerspruchs mit sofortiger Wirkung seine Approbation (vorläufig) verliert. Den Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung durch Klage wiederherzustellen, lehnte das zuständige Verwaltungsgericht ab. Nach Erschöpfung des Rechtswegs legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Präventiver Eingriff in die Berufsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hob die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Approbation sowie der Einziehung der Approbationsurkunde auf. Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz lasse einen Eingriff in die Berufsfreiheit schon vor Rechtskraft eines Hauptverfahrens als Präventivmaßnahme nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu. Der durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte selbstständige Eingriff in die Berufsfreiheit genüge nicht den strengen Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an einen präventiven Eingriff in die Berufsfreiheit schon vor Rechtskraft eines Hauptverfahrens zu stellen seien. Danach könnten es überwiegende Belange zwar ausnahmsweise rechtfertigen, den Rechtsanspruch des Grundrechtsklägers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des Allgemeinwohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug einer Approbationsentziehung seien hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stünden und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptverfahrens ausschlössen.

Gute Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind nicht ausreichend

Auch ein vorläufiges Berufsverbot hat für den Betroffenen folgenschwere und irreparable Wirkungen, weist aber gegenüber der endgültigen Ausschließung die Besonderheit auf, dass die Maßnahme bereits aufgrund einer summarischen Prüfung ohne erschöpfende Aufklärung der Pflichtwidrigkeit vor Rechtskraft einer Verwaltungsentscheidung ergeht.

Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung ergeht naturgemäß zu einem Zeitpunkt, zu welchem eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung nicht vorliegen kann. Unter der Geltung des Grundgesetzes, das dem Grundrecht der Berufsfreiheit eine hohe Bedeutung zuerkennt, könne – so das Bundesverfassungsgericht – für eine solche Sanktion nicht schon die hohe Wahrscheinlichkeit genügen, dass ein Hauptsacheverfahren zum gleichen Ergebnis führen werde. Vielmehr setze ihre Verhängung gemäß Artikel 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot die zusätzliche Feststellung voraus, dass sie schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich sei. Dabei komme es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lasse.

Entziehung nur bei konkreter Gefahr für wichtige Geschäftsgüter

Mit diesen Erwägungen hatte sich indessen die Aufsichtsbehörde nicht befasst. Sie orientierte sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, ohne gesondert die Folgen, die bei einem Aufschub der Maßnahmen für die Dauer des Rechtsstreits zu befürchten sind, und diejenigen, welche demgegenüber beim Beschwerdeführer wegen des Sofortvollzugs eintreten, gegeneinander abzuwägen. Mithin fehlte es an einer Auseinandersetzung mit der grundlegenden Frage, ob und welche konkreten Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter für den Fall drohen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufgehoben wird. Ausdrücklich kritisierte das Bundesverfassungsgericht auch den Ansatz der Aufsichtsbehörde, der Sofortvollzug sei generell erforderlich, weil bei Abschluss des Gerichtsverfahrens ein nahtloser Übergang zu einer wieder zu erteilenden Approbation – wegen Wohlverhaltens – denkbar sei. Dann könne sich – so die Behörde – die Verwaltungsbehörde trotz des gesetzlichen Auftrags das Procedere eines Widerrufs ersparen. Das Verfassungsgericht weist darauf hin, dass hier nicht die Gefahrenprognose, sondern die sofort spürbare Sanktion in Gestalt des Berufsverbots die Triebfeder des Verwaltungshandelns sei. Eben dies war jedoch nicht zulässig.

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