Arzneimittel und Therapie

Gestörte Glucosetoleranz: Schützt Acarbose vor kardiovaskulären Erkrankungen

Über 700 übergewichtige Patienten mit gestörter Glucosetoleranz nahmen in einer randomisierten Doppelblindstudie langfristig Acarbose ein, ebenso viele Plazebo. Die Neuerkrankungsrate an Diabetes war unter Acarbose reduziert. Eine weitere Auswertung ergab ein verringertes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Bluthochdruck.

In der STOP-NIDDM-Studie (Study to prevent non-insulin-dependent diabetes mellitus) nahmen Personen mit gestörter Glucosetoleranz, aber ohne manifesten Diabetes den Alpha-Glucosidase-Hemmer Acarbose (Glucobay®) oder ein Plazebo ein. Primärer Endpunkt war die Neumanifestation eines Typ-2-Diabetes. Die Patienten wurden durchschnittlich 3,3 Jahre lang beobachtet. Die Ergebnisse wurden im vergangenen Jahr publiziert [Chiasson, J. L., et al.: Lancet 359, 2072 – 2077 (2002)]. Eine weitere Auswertung, die jetzt in einem amerikanischen Fachjournal veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit einer zweiten Studienfrage: Welche Wirkung hat Acarbose bei Patienten mit gestörter Glucosetoleranz auf das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen und Bluthochdruck?

Gestörte Glucosetoleranz, aber noch kein Diabetes

Die Studienteilnehmer waren Männer und Frauen zwischen 40 und 70 Jahren mit einem erhöhten Körpermasse-Index (25 bis 40 kg/m2). Sie hatten eine gestörte Glucosetoleranz gemäß WHO-Definition und einen Nüchtern-Blutzucker zwischen 100 und 140 mg/dl. Aufgenommen wurden nur Patienten ohne kardiovaskuläres Ereignis in den vergangenen 6 Monaten.

Die Teilnehmer nahmen randomisiert und doppelblind dreimal täglich mit dem ersten Bissen einer Mahlzeit 100 mg Acarbose oder Plazebo ein. Sie wurden zu regelmäßigem Sport ermuntert, und es wurde ihnen eine Gewichts-reduzierende oder -stabilisierende Ernährung empfohlen. Als Maß für die Wirkung von Acarbose auf die Manifestation von kardiovaskulären Erkrankungen wurde die Zahl der Patienten erfasst, die schwere kardiovaskuläre Ereignisse erlitten. Dies waren:

  • koronare Herzkrankheit: Herzinfarkte, neue Angina pectoris und Revaskularisationen
  • kardiovaskuläre Todesfälle
  • Herzinsuffizienz
  • zerebrovaskuläre Ereignisse
  • periphere Gefäßkrankheit

Zusätzlich wurde die Wirkung von Acarbose auf die Entstehung neuer Bluthochdruck-Fälle ermittelt. Als Bluthochdruck galt ein Blutdruck von mindestens 140/90 mm Hg bei zwei aufeinander folgenden Besuchen oder die neue Verordnung eines Antihypertensivums durch den Hausarzt.

Kanadisch-israelisch-europäische Studie

Die Studie fand in Kanada, Israel und sieben europäischen Ländern statt. 1429 Patienten wurden randomisiert, 714 bekamen Acarbose und 715 Plazebo. 61 Patienten (32 mit Acarbose, 29 mit Plazebo) wurden nicht in die Auswertung einbezogen, weil sie die Kriterien der gestörten Glucosetoleranz nicht erfüllten oder weil nach der Randomisierung keine gültigen Daten vorlagen.

Weniger kardiovaskuläre Ereignisse, vor allem weniger Herzinfarkte

In der modifizierten Intention-to-treat-Analyse wurden 1368 Patienten berücksichtigt, 682 mit Acarbose und 686 mit Plazebo. Insgesamt erlitten 47 Patienten ein kardiovaskuläres Ereignis, 15 mit Acarbose und 32 mit Plazebo. Dies entspricht einer kumulativen Ereignisrate von 2,2% gegenüber 4,7%. Demnach war das relative Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis unter Acarbose um 49% reduziert. Auch Herzinfarkte waren mit einem Fall in der Acarbose-Gruppe gegenüber 12 Fällen in der Plazebo-Gruppe signifikant seltener. Das relative Risiko war um 91% reduziert. Bei den übrigen Kategorien kardiovaskulärer Ereignisse bestand nur ein Trend zugunsten von Acarbose, aber kein signifikanter Unterschied (Tab. 1).

Weniger Hypertonie-Neuerkrankungen

Bluthochdruck-Neuerkrankungen traten bei 78 Patienten mit Acarbose (11%) und 115 mit Plazebo (17%) auf. Das relative Risiko war um 34% verringert (Hazard-Ratio 0,64; 95%-Konfidenzintervall 0,49 – 0,89; p = 0,006). Auch nach Berücksichtigung wichtiger weiterer Risikofaktoren blieben sowohl das relative Risiko kardiovaskulärer Ereignisse als auch das relative Risiko neuer Hypertonie-Erkrankungen durch Acarbose signifikant verringert (um 53% bzw. 38%). Diesen Ergebnissen zufolge kann Acarbose bei Personen mit gestörter Glucosetoleranz das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Bluthochdruck verringern.

Die Autoren nennen allerdings einige Einschränkungen im Zusammenhang mit diesen Ergebnissen: Primäres Studienziel waren die Diabetes-Neuerkrankungen. Teilnehmerzahl und damit auch die statistische Power waren auf diesen Endpunkt zugeschnitten. 61 randomisierte Patienten wurden in der modifizierten Intention-to-treat-Analyse nicht berücksichtigt. Die Therapieabbruchrate war hoch: 211 Patienten mit Acarbose und 130 mit Plazebo beendeten die Behandlung vorzeitig, am häufigsten wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen. Die Studienbedingungen waren nicht wirklich "blind": 79% der mit Acarbose behandelten Patienten und 69% ihrer Ärzte errieten das Studienmedikament (gegenüber 48% der mit Plazebo behandelten Patienten und 64% ihrer Ärzte).

Über 700 übergewichtige Patienten mit gestörter Glucosetoleranz nahmen in einer randomisierten Doppelblindstudie langfristig Acarbose ein, ebenso viele Plazebo. Die Neuerkrankungsrate an Diabetes war unter Acarbose reduziert. Eine weitere Auswertung ergab ein verringertes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Bluthochdruck.

Gestörte Glucosetoleranz

Patienten mit gestörter Glucosetoleranz haben im oralen Glucosetoleranztest einen Zwei-Stunden-Blutglucose-Wert von 140 bis 199 mg/dl. Die Kriterien für die Diagnose eines Diabetes mellitus sind jedoch nicht erfüllt.

Acarbose, ein Alpha-Glucosidase-Inhibitor

Alpha-Glucosidase-Inhibitoren hemmen die enzymatische Spaltung von Di- und Oligosacchariden im Dünndarm. Indem sie die Kohlenhydrat-Resorption verzögern, helfen sie postprandiale Blutzuckerspitzen vermeiden.

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