Arzneimittel und Therapie

Neues Antikoagulans: Ximelagatran zur Sekundärprophylaxe nach Herzinfarkt

In der ESTEEM-Studie bekamen mehr als 1200 von knapp 1900 Herzinfarktpatienten zusätzlich zu täglich 160 mg Acetylsalicylsäure den oralen Thrombin-Hemmer Ximelagatran in verschiedenen Dosierungen. Ximelagatran (Exanta®), das sich in klinischen Studien in der Zulassung befindet, senkte das Risiko für den kombinierten Endpunkt aus Tod, Herzinfarkt oder schwerer Re-Ischämie während sechs Monaten Behandlung signifikant gegenüber Plazebo. Nur die Nebenwirkungsrate stieg dosisabhängig.

Als akutes Koronarsyndrom bezeichnet man einen Herzinfarkt mit oder ohne ST-Hebung oder eine instabile Angina pectoris. Nach einem akuten Koronarsyndrom besteht ein hohes Risiko für erneute ischämische Ereignisse. Ein wichtiger Bestandteil der medikamentösen Behandlung akuter Koronarsyndrome ist deshalb die antithrombotische Behandlung.

Mit langfristiger Acetylsalicylsäure-Gabe gelingt es, das relative Risiko für einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Gefäßtod um ein Viertel zu senken. Um das Risiko nachfolgender Ereignisse noch weiter zu reduzieren, kann zusätzlich ein Vitamin-K-Antagonist oder Clopidogrel eingesetzt werden. Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin erhöhen jedoch die Blutungsneigung, haben ein hohes Interaktionspotenzial und erfordern ein engmaschiges Monitoring mit Dosisanpassung. Clopidogrel ist ein gut wirksamer Thrombozytenaggregationshemmer, der allein oder zusammen mit Acetylsalicylsäure eingesetzt werden kann. Für Patienten mit ST-Hebungs-Infarkt liegen allerdings noch keine ausreichenden Daten vor.

Orale Thrombin-Hemmer

Ein neue Gruppe oraler Antikoagulanzien (die Blutgerinnung hemmende Stoffe) sind direkte Thrombin-Hemmer, darunter das klinisch am weitesten entwickelte Ximelagatran und sein aktiver Metabolit Melagatran. Nach oraler Aufnahme wird das Prodrug rasch in Melagatran umgewandelt. Seine orale Bioverfügbarkeit beträgt 20%. Die maximale Melagatran-Plasmakonzentration wird nach 1,6 bis 1,9 Stunden erreicht; die Halbwertszeit liegt bei 4 bis 5 Stunden. Die Umwandlung von Ximelagatran in Melagatran und dessen Elimination erfolgt unabhängig vom Cytochrom-P450-System. Melagatran wird hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden. Die Pharmakokinetik wird nicht von Geschlecht, Alter, Gewicht oder Nahrungsaufnahme des Patienten beeinflusst. Daher kann Ximelagatran in fester Dosierung ohne engmaschiges Monitoring gegeben werden.

Ob Ximelagatran in der Prävention und Behandlung thromboembolischer Ereignisse wirksam ist, wird zurzeit in mehreren klinischen Studien untersucht. Eine davon ist bereits ausgewertet: die ESTEEM-Studie (Efficacy and safety of the oral direct thrombin inhibitor ximelagatran in patients with recent myocardial damage). In ihr wurden die Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener Ximelagatran-Dosierungen als Zusatztherapie zu Acetylsalicylsäure bei Patienten nach Herzinfarkt untersucht. Primärer Endpunkt der Phase-II-Studie war die Dosis-Wirkungs-Beziehung im Hinblick auf die Häufigkeit des kombinierten Endpunkts aus Tod, nicht tödlichem Herzinfarkt oder erneuter schwerer Ischämie.

Maximal zwei Wochen nach dem Infarkt

Die Patienten hatten einen Herzinfarkt mit oder ohne ST-Hebung erlitten und wiesen mindestens einen zusätzlichen Risikofaktor auf (z. B. mindestens 65 Jahre alt, Diabetiker, früherer Herzinfarkt oder ischämischer Schlaganfall). Innerhalb von 14 Tagen nach dem Infarkt wurden sie randomisiert einer von fünf Behandlungsgruppen zugewiesen: zweimal täglich 24 mg, 36 mg, 48 mg oder 60 mg Ximelagatran oder Plazebo. Die aktiven Behandlungsgruppen umfassten jeweils gut 300, die Plazebo-Gruppe 638 Patienten. Alle Patienten bekamen während der 6-monatigen Therapie zusätzlich einmal täglich 160 mg Acetylsalicylsäure.

Die plazebokontrollierte Doppelblindstudie fand an 191 Zentren in 18 Ländern statt. Die Behandlung begann so früh wie möglich nach dem Indexinfarkt, frühestens aber 6 Stunden nach dem Absetzen von unfraktioniertem Heparin oder 12 Stunden nach dem Absetzen von niedermolekularem Heparin. Sie musste vorzeitig gestoppt werden, wenn eine perkutane Koronarintervention oder eine Bypass-Operation notwendig wurde, ein Schlaganfall auftrat oder die Leberenzyme (Alanin-Aminotransferase) einen festgelegten Grenzwert überschritten. Bei großen Blutungen konnte die Behandlung unterbrochen und innerhalb von zwei Wochen fortgesetzt werden. 1883 Patienten nahmen teil, über zwei Drittel davon Männer. Das mittlere Alter lag bei 69 Jahren. Zwei Drittel hatten einen ST-Hebungsinfarkt erlitten, gut die Hälfte von ihnen war fibrinolytisch behandelt worden.

Ein Drittel brach die Therapie ab

In der Plazebo-Gruppe brachen 32% und in den Ximelagatran-Gruppen 34 bis 44% der Patienten die Behandlung vorzeitig ab. Der Hauptgrund dafür waren in der Plazebo-Gruppe ischämische Ereignisse (Schlaganfall oder die Notwendigkeit zur Revaskularisation), in den aktiven Behandlungsgruppen kleine Blutungen und erhöhte Leberenzyme.

Weniger primäre Endpunktereignisse

Die Intention-to-treat-Analyse ergab: 102 von 638 Patienten der Plazebo-Gruppe und 154 von 1245 der Ximelagatran-Gruppen erlitten ein primäres Endpunktereignis. Somit war mit dem oralen Thrombin-Hemmer das kumulative Risiko für Tod, Herzinfarkt oder erneute schwere Ischämie auf 12,7% gegenüber 16,3% verringert. Der Unterschied zwischen aktiver Behandlung und Plazebo trat schon im ersten Behandlungsmonat auf und blieb während der 6-monatigen Behandlung bestehen.

Auch bei allen sekundären Endpunkten (z. B. Schlaganfall; Tod; Kombination aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Herzinfarkt, ischämischem Schlaganfall und schwerer erneuter Ischämie) waren sämtliche Ximelagatran-Dosierungen Plazebo überlegen. Zwischen den aktiven Behandlungsgruppen bestand kein Wirksamkeitsunterschied; Hinweise auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung gab es nicht.

Dosisabhängig: Blutungen und Anstieg der Leberenzyme

Große Blutungen waren selten. Sie traten bei 23 mit Ximelagatran Behandelten (1,8%) und 6 mit Plazebo Behandelten (0,9%) auf; der Unterschied war nicht signifikant. Insgesamt kamen Blutungen mit Ximelagatran häufiger vor als mit Plazebo (bei 22% gegenüber 13%); ihre Häufigkeit in den aktiven Behandlungsgruppen war dosisabhängig.

Bei 16% der mit Ximelagatran gegenüber 4% der mit Plazebo Behandelten stiegen Leberenzyme (Alanin-Aminotransferase) vorübergehend auf mehr als das Doppelte der oberen Normgrenze, meist ohne klinische Komplikation. Vier Patienten mit 60 mg Ximelagatran und einer mit 36 mg hatten gleichzeitig eine Gelbsucht und einen Bilirubin-Anstieg. Der Anstieg der Leberenzyme trat meist zwischen 2 und 6 Monaten Behandlung auf; mit der niedrigsten Ximelagatran-Dosis war er seltener als mit den höheren Dosen.

Demnach schützt die kombinierte Behandlung mit dem Thrombozytenaggregationshemmer Acetylsalicylsäure und dem direkten Thrombin-Inhibitor Ximelagatran Patienten nach einem Herzinfarkt wirskamer vor Tod, Reinfarkt oder erneuter schwerer Ischämie als Acetylsalicylsäure allein. 3,7% absolute und 24% relative Risikoreduktion liegen in einer Größenordnung, wie sie auch durch den Zusatz von Warfarin oder Clopidogrel zu Acetylsalicylsäure erreicht werden können. In Zukunft sollten Ximelagatran-Studien bei Herzinfarktpatienten statt Plazebo Warfarin oder Clopidogrel im Vergleichsarm enthalten.

Da nur die Nebenwirkungsrate, aber nicht die Wirksamkeit dosisabhängig zu sein scheint, sollte Ximelagatran in Phase-III-Studien in der niedrigsten Dosierung von zweimal täglich 24 mg eingesetzt werden.

Ein neue Gruppe oraler Antikoagulanzien sind direkte Thrombin-Hemmer, darunter das klinisch am weitesten entwickelte Ximelagatran. In der ESTEEM-Studie bekamen mehr als 1200 von knapp 1900 Herzinfarktpatienten zusätzlich zu täglich 160 mg Acetylsalicylsäure den Ximelagatran in verschiedenen Dosierungen. Ximelagatran (Exanta), das sich in klinischen Studien in der Zulassung befindet, senkte das Risiko für den kombinierten Endpunkt aus Tod, Herzinfarkt oder schwerer Re-Ischämie während sechs Monaten Behandlung signifikant gegenüber Plazebo.

Definitionen in der ESTEEM-Studie

Schwere erneute Ischämie

  • Schwere, verlängerte oder wiederholte pektanginöse Schmerzen in Ruhe trotz optimaler Arzneimitteltherapie (z. B. organische Nitrate und Betablocker oder Calciumantagonisten) plus eines der folgenden Kriterien:
  • neue EKG-Veränderungen, die auf eine Ischämie hinweisen
  • Anstieg der Kreatin-Phosphokinase-MB, der nicht die Kriterien eines Herzinfarktes erfüllt
  • Anstieg von Troponin T oder I
  • Krankenhausaufnahme, die zu einer nicht geplanten Koronarangiographie oder -intervention führt

    Große Blutung Blutung, die mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt:

  • tödliche Blutung
  • klinisch manifeste Blutung mit einem Hämoglobin-Abfall um mindestens 2 g/dl oder Notwendigkeit der Transfusion von mindestens 2 I. E. Vollblut oder Erythrozytenkonzentrat
  • Blutungen in kritischen Körperregionen: intrakranial, intraspinal, intraokular, retroperitoneal, perikardial, atraumatisch intraartikulär

    ST-Hebungsinfarkt und Nicht-ST-Hebungsinfarkt In der neuen Definition akuter Koronarsyndrome wird der Nicht-ST-Hebungsinfarkt als Thoraxschmerz mit positivem Troponin ohne ST-Hebungen im EKG definiert. Der ST-Hebungsinfarkt mit typischen monophasischen ST-Hebungen im EKG entspricht dem transmuralen Herzinfarkt der bisherigen Nomenklatur. Der Nicht-ST-Hebungsinfarkt zeigt ischämische Endstreckenveränderungen (negative T-Wellen) und umfasst die Schichtinfarkte der alten Nomenklatur.

  • Thrombin-Hemmer

    In der Akutphase des Herzinfarktes senken unfraktioniertes (intravenös) oder niedermolekulares (subkutan) Heparin als Zusatz zu Acetylsalicylsäure die Rate erneuter Koronarereignisse. Beide sind indirekte Thrombin-Inhibitoren. Ähnlich gut wirksam sind die direkten Thrombin-Hemmer Hirudin oder Bivalirudin, die intravenös verabreicht werden müssen. Als orale Thrombin-Hemmer befinden sich neben Ximelagatran/Melagatran noch Argatroban und BMS-186282 in der Entwicklung.

    0 Kommentare

    Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.