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Arzneimittelwerbung: Patienten sollen mehr über Arzneimittel wissen

BONN (hb) Der öffentliche Teil der 41. Mitgliederversammlung von Integritas Ų Verein für lautere Heilmittelwerbung e.V., die traditionsgemäß kurz vor Jahresschluss abgehalten wird, war dieses Mal zwei aktuellen Themen aus dem Bereich der Information und Kommunikation mit dem Patienten bzw. dem Verbraucher gewidmet. Eine Verbesserung in diesem Bereich ist bereits seit langem eines der Hauptanliegen von Integritas, wie der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Reinsch in seinen Begrüßungsworten am 11. Dezember 2003 in Bonn deutlich machte.

Nun, da sich durch die Herausnahme der nicht-rezeptpflichtigen Arzneimittel aus der Erstattungspflicht eine neue Situation ergeben habe, werde auch der Forderung der Industrie nach einer Abschaffung des Krankheitskatalogs im Heilmittelwerbegesetz möglicherweise mehr Nachdruck verliehen, so hofft er. Aber auch auf dem Sektor der rezeptpflichtigen Arzneimittel liege in bezug auf das Informationsbedürfnis der Verbraucher und Patienten einiges im Argen. Andere Länder seien diesbezüglich schon erheblich weiter.

HWG führt zur Informationsabschottung

Wie das Heilmittelwerbegesetz (HWG) mit der Frage des "informierten Patienten" umgeht, beleuchtete Rechtsanwalt Dr. Dieter Barth, München. Nach der allgemeinen Wunschvorstellung – auch der Gesundheitspolitiker –sollte der Patient eigentlich im Mittelpunkt aller Bemühungen um eine adäquate Ausgestaltung des Gesundheitssystems stehen, unterstrich er. Die Wirklichkeit sehe jedoch völlig anders aus: "Der Patient ist Mittel", meinte Barth "Punkt".

Tatsächlich habe er nach geflissentlicher Durchsicht festgestellt, dass das Wort "Patient" im HWG nicht einmal vorkommt, genauso wenig wie das Wort "informiert". Getragen von dem übermächtigen Gedanken des Verbraucherschutzes führe das HWG letzten Endes zu einer mehr oder weniger völligen Informationsabschottung der Verbraucher. Dass neutrale Arzneimittelinformation, auch über rezeptpflichtige Arzneimittel, durchaus möglich sei, machten diverse Anbieter, z. B. Netdoktor im Internet (www.netdoktor.de), bereits vor. Für Pharmafirmen stehe diese Möglichkeit jedoch bislang leider nicht offen. Sie könnten über verschreibungspflichtige Arzneimittel generell nicht direkt mit dem Patienten kommunizieren.

Rechte der Leistungsanbieter sollen mehr Gewicht bekommen

Barth ging auch auf die verfassungsrechtlichen Aspekte des umfassenden Publikumswerbeverbotes ein. Aus der Sicht der Arzneimittelhersteller würden die Grundrechte der Berufsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit, aus der Sicht der Patienten die Grundrechte der Informationsfreiheit sowie das Recht auf freie Arzneimittelauswahl verletzt. Erfreulicherweise gehe der Trend in den letzten Jahren jedoch eindeutig in die Richtung, die Rechte der Leistungsanbieter auch unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes stärker zu berücksichtigen. Als Beispiel führte er unter anderem die diesbezügliche Lockerung der ärztlichen Berufsordnung an.

Patienten sollen zuerst lernen – und dann entscheiden

Wesentliche Impulse für eine Liberalisierung erwartet Barth darüber hinaus von europäischer Seite, denn nach der neueren Auffassung des EuGH solle der Verbraucherschutz ganz eindeutig eine informierte und bewertende Verbraucherentscheidung sicherstellen. Auch nach derzeit geltendem europäischem Recht sei alleine das Einstellen eines Packungsbeilagen-Textes ins Internet noch keine produktspezifische Absatzwerbung im Sinne des Heilmittelwerberechts. In Deutschland sei dies zumindest bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aber noch nicht zulässig.

EU-Entwurf zu Claims für Lebensmittel

Auf einen weiteren Bereich unbefriedigend geregelter Verbraucherinformation ging der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Hersteller von Lebensmitteln für besondere Zwecke (Diätverband) e.V., Bonn, Norbert Pahne ein. Er kommentierte den stark umstrittenen EU-Verordnungsentwurf über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben zu Lebensmitteln (siehe Kasten). Nach der rasanten Zunahme an Produkten, die mit entsprechenden Angaben gekennzeichnet sind, sei auf europäischer Ebene ganz klar der Bedarf gesehen worden, diesen Bereich zu regeln. Der erste Entwurf der Verordnung, den die Kommission im Juli 2003 vorlegte, habe allerdings allerorten herbe Kritik ausgelöst.

Zunächst gehe der Vorschlag grundsätzlich von einem Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt aus, ein im Lebensmittelbereich weitgehend unüblicher Ansatz. Darüber hinaus werde das Irreführungsverbot rechtlich neu definiert und zwar in sehr eingeschränktem Sinne: Alle Angaben, die nicht der Verordnung entsprechen, sollen automatisch irreführend sein. Allerdings sei der Katalog der erlaubten Aussagen nach dem Entwurf sehr begrenzt. Aussagen wie "Haribo macht Kinder froh" oder "Obst ist gesund" wären hiernach zum Beispiel nicht mehr möglich, unterstrich Pahne.

Katalog zulässiger Angaben viel zu eng gefasst

Nährwertbezogene Werbeaussagen müssten anhand wissenschaftlicher Daten verifiziert werden. Und selbst wenn sie dieser Prüfung standhalten, würden sie immer noch zwangsläufig als irreführend eingestuft, sofern sie nicht explizit in der Verordnung aufgeführt seien. Die Liste umfasse nach dem Verordnungsvorschlag lediglich 24 solcher Angaben. Im Falle gesundheitsbezogener Angaben gehe die Kommission sogar davon aus, dass zehn allgemein anerkannte Aussagen ausreichen müssten.

Bei Angaben, die sich auf die Verringerung eines Krankheitsrisikos beziehen, gehe der bürokratische Aufwand noch einen Schritt weiter. Sie müssten – in Anlehnung an den Arzneimittelbereich – ein entsprechendes Zulassungsverfahren bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit durchlaufen.

Herbe Kritik von allen Seiten

Die Lebensmittelwirtschaft, so Pahne, lehne diese "erschreckende Regulierungsdichte" des Verordnungsentwurfs rundweg ab. Die Werbung werde gar "ihrer Seele beraubt", so weit gingen die Befürchtungen. Derart heftig hätten die Betroffenen ihrem Ärger Luft gemacht, dass sich die Generaldirektion Verbraucherschutz bei der Europäischen Kommission bereits dazu bemüßigt gesehen habe, eine Presseerklärung mit dem Titel "Mythen und Missverständnisse …" herauszugeben, um ihre ursprünglichen Absichten ins rechte Licht zu rücken. Auch der Rechts- und Binnenmarktsausschuss habe den Entwurf in seiner Stellungnahme von Ende November bereits als zu restriktiv und unverhältnismäßig gerügt. Last not least würden durch die Regelungsansätze zusätzliche Handelsschranken und zu hohe Hürden für kleine und mittlere Unternehmen befürchtet.

Vor diesem Hintergrund habe die Kommission in bezug auf den Verordnungsentwurf noch mit einigem "Gegenwind" von verschiedenen Seiten zu rechnen.

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel [KOM(2003)424] endg. vom 16. 7. 2003.

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