Bundessozialgericht: Sind Einzelimporte erstattungsfähig?

Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Mai 2004, Az.: B 1 KR 21/02 R, deren Begründung allerdings erst seit kurzem vorliegt, sorgt bei Apothekern für Verunsicherung. Auf den ersten Blick scheint das BSG bei Einzelimporten nach § 73 Abs. 3 AMG eine Kostenerstattung durch gesetzliche Krankenkassen generell auszuschließen.

Daher empfiehlt z. B. der Thüringer Apothekerverband in seiner Schnellinformation vom 13. Oktober 2004 die Verordnung von Mitteln gemäß § 73 Abs. 3 AMG grundsätzlich nur gegen Privatliquidation zu beliefern. Eine neuere Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2004, Az.: B 1 KR 27/02 R, spricht jedoch für eine differenzierte Betrachtung der Erstattungsfähigkeit von Einzelimporten. Das Bundessozialgericht setzt sich in seinem ersten Urteil vom 18. Mai 2004 detailliert mit einem sehr speziellen Sachverhalt auseinander. Zu entscheiden hatte das Gericht über den Anspruch auf Kostenerstattung für ein Arzneimittel, das von dem behandelnden Arzt aus Furcht vor einem Arzneimittelregress nicht verordnet worden war. Für das Arzneimittel war die in Deutschland beantragte Zulassung mangels ausreichender Arzneimittelprüfung und belegter therapeutischer Wirksamkeit versagt worden.

Keine Umgehung der Zulassung

Das BSG lehnt eine Verpflichtung der Krankenkasse zur Kostenerstattung ab, da das generelle Inverkehrbringen eines Fertigarzneimittels aus dem Ausland gemäß § 73 Abs. 1, 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 97 Abs. 2 Nr. 8 AMG eine Ordnungswidrigkeit darstelle. Würde in einem derartigen Fall eine generelle Kostenübernahmepflicht der gesetzlichen Krankenkassen angenommen, würde dies im Ergebnis zu einer Umgehung der Zulassungspflicht führen. In der weiteren Begründung setzt sich das Bundessozialgericht ausführlich mit dem Sinn und Zweck der nationalen und europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel auseinander, die allesamt den wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten sollen. Im Hinblick auf den speziellen Sachverhalt wird ausführlich dargelegt, warum das generelle Inverkehrbringen von Arzneimitteln aus dem Ausland nicht zulässig ist.

Im Ausnahmefall: Kostenübernahmepflicht der Kasse

Wie bislang sind jedoch Mittel gemäß § 73 Abs. 3 AMG verordnungsfähig und von der Krankenkasse zu erstatten, wenn sie den eng umrissenen Tatbestand des § 73 Abs. 3 AMG erfüllen und somit auf Bestellung im Einzelfall in geringer Menge auf ärztliche Verordnung hin über die Apotheke bezogen werden. In diesem Fall handelt es sich gerade nicht um eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 97 Abs. 2 Nr. 8 AMG, sondern um den vom Gesetzgeber für zulässig erachteten Ausnahmefall zu § 73 Abs. 1 AMG. In diesem Fall kann eine Kostenübernahmepflicht bestehen: als Anspruchsgrundlage kommen sowohl § 13 Abs. 2 SGB V als auch § 13 Abs. 3 Alt. 2 SGB V in Betracht.

Wie das BSG darlegt, sind die Krankenkassen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V zur Versorgung der bei ihnen versicherten Personen mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Dieser Anspruch unterliegt nur den aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V bestehenden Einschränkungen und umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

Die neueste Entscheidung

Auf dieser Linie liegt auch die neueste Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2004. Dort entschied das Bundessozialgericht hinsichtlich der Behandlung eines sechsjährigen Mädchens mit einem Importarzneimittel dahingehend, dass die vorhergehende Instanz, das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, das die Erstattungspflicht der Krankenkasse abgelehnt hatte, sich nochmals mit der Angelegenheit befassen müsse. Denn wenn es tatsächlich so wie klägerseits vorgetragen wäre, dass die Patientin an einer seltenen Erkrankung litt und "dass die Arzneimittelqualität von Visudyne mit Rücksicht auf ausländische Zulassungen im Behandlungszeitpunkt als ausreichend anzusehen war", sei eine Leistungspflicht der Krankenkasse zu bejahen.

Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung (die Begründung liegt noch nicht vor) hierzu: "Unter den genannten Bedingungen steht das Arzneimittelrecht dem Anspruch nicht entgegen, denn es lässt den Vertrieb von im Ausland zugelassenen Medikamenten, also auch des hier im Behandlungszeitpunkt in den USA und in der Schweiz zugelassenen Visudyne, im Rahmen von Einzelbestellungen zu (§ 73 Abs. 3 AMG).

Bei singulären Erkrankungen besteht nicht die Gefahr, dass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung faktisch zu einer Markteinführung von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln führt und so die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes unterläuft." In derartigen Einzelfällen sei auch keine vorhergehende Anerkennung durch den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen notwendig, solange die Behandlung nicht systematisch angewendet werde. Die ärztliche Entscheidung müsse jedoch ausgewogen sein und die Behandlung "eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung" betreffen. Keine verallgemeinernde Regelungen Es bleibt demnach festzuhalten, dass das Bundessozialgericht sich in seiner jüngsten Entscheidung mit den Tatbeständen des Einzelimports von Arzneimitteln gemäß § 73 Abs. 3 AMG sehr differenziert und einzelfallbezogen auseinandersetzt. Verallgemeinernde Regelungen können demnach aus der Rechtsprechung nicht abgeleitet werden.

Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung in der Fassung der Schiedsentscheidung vom 5. April 2004 für Apotheken gemäß § 3 Abs. 1 ein Vertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke durch die Annahme einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen Verordnung zustande kommt. § 8 Satz 2 des Rahmenvertrags ("für nach § 73 Abs. 3 AMG importierte Arzneimittel ist zur Angabe des Apothekenabgabepreises die Arzneimittelpreisverordnung zugrunde zu legen") ist zu entnehmen, dass sich diese Vorschrift grundsätzlich auch auf importierte Arzneimittel gemäß § 73 Abs. 3 AMG bezieht.

Bei Vorlage einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung sind demnach Apotheken unserer Auffassung nach zurzeit zur Abgabe und Verrechnung mit den Krankenkassen berechtigt und verpflichtet. Diese ärztlichen Verordnungen unterliegen allerdings zukünftig gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einer Begründungspflicht für den behandelnden Arzt in jedem Einzelfall. Apotheker können die Berechtigung der ärztlichen Verordnung nicht überprüfen. Die beteiligten Krankenkassen und Ärztevereinigungen sind aufgerufen, insoweit eine handhabbare Richtlinie zu entwickeln.

RA Andreas Meisterernst, Sozietät meyer//meisterernst, München

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