Pharmaindustrie: In der Umklammerung der Politik

FRANKFURT/MAIN (aal). Jeder möchte gesund sein, aber nur wenig dafür zahlen - in einem zunehmend restriktiveren ökonomischen Rahmen sollen immer neue und wirksamere Arzneimittel entstehen. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, zeigen die Zahlen, die der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) veröffentlichte.

Deutschland ist im internationalen Vergleich der drittgrößte Markt für Medikamente, wenn auch sein Wachstum sich verlangsamt hat. Der Umsatz pro Kopf nach Herstellerabgabepreisen ist weniger hoch, als allgemein angenommen: Wir belegen im internationalen Vergleich damit lediglich einen mittleren Platz hinter den USA, Japan, Frankreich, der Schweiz und Italien. Dennoch lassen die Einsparungsbemühungen der Politik auf dem Arzneimittelsektor nicht nach, wohl auch weil es an politisch durchsetzbaren Alternativen fehlt. Was dabei herauskommt, ist ein immer härterer Wettbewerb der Hersteller untereinander. Der Sparkurs aus dem Gesundheitsministerium lässt in einer Konzentrationsbewegung immer mehr einheimische mittelständische Unternehmen verschwinden zugunsten global organisierter Konzerne. Doch auch dieser Trend kann nicht verhindern, dass der Produktionsstandort Deutschland bei Pharmazeutika an Bedeutung verliert. Nur 6% der weltweiten Pharmaproduktion stammen aktuell aus der Bundesrepublik; 1990 lag der Anteil noch bei 9%! Die Gefahr liegt bei Global Playern darin, dass sie ihre Geschäftspolitik ausschließlich nach Shareholder Value-Richtlinien ausrichten. Und da spielt Deutschland als Produktionsstätte eine zunehmend unattraktive Rolle. Ein gefährliches Spiel, denn immerhin arbeiten in den forschenden Arzneimittelunternehmen mehr als 85.000 der insgesamt fast 120.000 Beschäftigten der Pharmazeutischen Industrie.

Wie viele verschiedene Medikamente brauchen wir?

Der Arzneimittelschatz ist von rund 9.700 im Jahre 2001 auf aktuell rund 9.000 geschrumpft. Wenn man dazu weiß, dass 90% der ärztlichen Verordnungen auf nur 2.300 Mittel entfallen, ist ein weiterer Schwund vorprogrammiert. Leider besteht er vor allem in altgedienten, verträglichen und meist pflanzlichen Arzneimitteln. Sie werden vom Markt genommen, da sie aus der Erstattung fielen und die Selbstmedikation aufgrund des Kaufkraftschwundes den Verlust nicht auffangen konnte. Sie werden nun weitgehend durch verschreibungspflichtige Medikamente ersetzt. Diese stammen aber beileibe nicht aus dem Schatz der Innovationen, sondern sind im Durchschnitt mehr als fünf Jahre alt. Damit nimmt Deutschland eine Sonderstellung in Europa ein: Nirgendwo sonst werden so wenige Innovationen verordnet. Und das, obwohl sie meist weniger teuer sind als in den anderen Mitgliedstaaten der EU.

Vorschriften schaffen Paradoxe

Die forschende Pharmaindustrie hat hier zu Lande nicht allein mit den Generika zu kämpfen, die ihr den Verdienst aus patentfrei gewordenen Originalpräparaten schmälern. Ein weiterer Hemmschuh sind die Parallelimporte, die ihr einen erheblichen Umsatzverlust bescheren. Allerdings scheint dieses Lieblingskind der Gesundheitspolitik die Grenzen des Wachstums schon erreicht zu haben. Nach einem Marktanteil von 7,2% im Jahre 2002 ist er trotz der gezielten staatlichen Förderung im Vorjahr auf 6,8% zurückgegangen. Als Apotheker erlebt man es jeden Tag aufs Neue, dass die verordneten Reimporte schlicht nicht lieferbar sind. Hier ist die Strategie also anscheinend ein Opfer ihres eigenen Erfolges geworden.

Kostenfalle Innovation

Der inländische Arzneimittelmarkt verliert für die Hersteller in Deutschland zunehmend an Bedeutung. In den letzten acht Jahren ging der Inlandsumsatz um rund 4% auf 11,2 Mrd. Euro zurück. Auch 2004 müssen vor allem die forschenden Arzneimittelunternehmen wegen der Erhöhung der Rabatte, die den gesetzlichen Krankenkassen gewährt werden müssen, mit einem weiteren Rückgang ihres Inlandsumsatzes rechnen. Auch der Export kann diesen Nachteil nicht auffangen, obwohl er sich von 1995 bis 2003 fast verdoppelt hat. War Deutschland zu Anfang der 90er Jahre noch drittgrößter Arzneimittelproduzent der Welt, liegt es nunmehr auf Platz fünf hinter den USA, Japan, Frankreich und Großbritannien. Dieses Abrutschen im Ranking ist nicht zuletzt auf die immer engere Kalkulationsbasis für die Innovationsarbeit zurückzuführen. Die Kosten für die Entwicklung neuer Medikamente haben sich binnen zehn Jahren (1991 bis 2001) praktisch vervierfacht: Von 231 Mio US Dollar auf 802 Mio US Dollar. Um die ungeheuren Kosten der Forschung in Medizin und Biotechnologie zu stemmen, schien zunächst das Modell des Venture Capital vielversprechend. 2001 betrugen die Zuschüsse aus dieser Quelle 737 Mio. Euro. Seit jedoch die deutsche Wirtschaft lahmt, sprudelt auch diese Kapitalquelle nur noch spärlich: Schon 2003 waren die Venture Kapital-Investitionen auf knapp 200 Mio. Euro zurückgegangen. Berücksichtigt man die geschilderten negativen Rahmenbedingungen, ist für die deutschen Pharmaunternehmen die Steigerung ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung im letzten Jahr auf 3,8 Mrd. Euro eine große Anstrengung gewesen; angesichts eines Anteiles der USA von fast 50% an den weltweiten Forschungs- & Entwicklungs-Investitionen sind die Gründe für die Verabschiedung aus der ersten Liga der Arzneimittelhersteller klar.

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