Bürgerversicherung: Auch Gewerkschaften werden skeptisch

Berlin (ks). Führende Gewerkschafter haben sich skeptisch zu den Finanzierungsplänen der rot-grünen Koalition für eine künftige Bürgerversicherung geäußert. Auch innerhalb der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung mehren sich die Zweifel. Insbesondere an dem Vorhaben, die Versicherung auch mit Beiträgen aus Miet- und Zinseinkünften zu bezahlen, wird Kritik geübt.

"Alle bisher vorliegenden Berechnungen zeigen, dass der administrative Aufwand in keinem Verhältnis zu den möglichen Mehreinnahmen der Krankenkassen steht", sagte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Ursula Engelen-Kefer dem Handelsblatt (Ausgabe vom 11. August). Zwar hätten sich die Gewerkschaften in dieser Frage noch nicht festgelegt, "die Skepsis ist aber groß", so die DGB-Vize, die auch Mitglied der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung ist.

Die Gewerkschafter gehen davon aus, dass Beiträge etwa auf Mieten kaum Mehreinnahmen bringen würden, weil hier in der Regel hohe Kosten gegengerechnet werden können. Eine Kassenabgabe auf Kapitalerträge könnte zudem die Kapitalflucht fördern. Engelen-Kefer erklärte dem Handelsblatt, es sei daher sinnvoll, "nach anderen Wegen zu suchen, den Faktor Arbeit über Steuern von den Gesundheitsausgaben zu entlasten".

Sommer: Projekt nicht "überhöhen"

DGB-Chef Michael Sommer äußerte in einem Brief an SPD-Parteichef Franz Müntefering ebenfalls Bedenken gegenüber einer Bürgerversicherung. Grundsätzlich sei er zwar für ihre Einführung, er warnte jedoch davor, "die Bürgerversicherung zum identitätsstiftenden Großprojekt zu überhöhen". Eventuell müssten Krankenkassen mehr über Steuergelder finanziert werden, so Sommer.

Schmoldt: Familien über Steuern entlasten

Auch der IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt hat Zweifel an einer Einbeziehung von Kapitaleinkünften in die Beitragsberechnung: "Die Mehreinnahmen, die dadurch erzielt werden können, stehen in keinem Verhältnis zum Aufwand," sagte er dem Handelsblatt (Ausgabe vom 12. August). Schmoldt erneuerte seinen Vorschlag, die Ausgaben der Krankenkassen für die Familienversicherung über Steuern zu finanzieren. Dies sei eine familienpolitische Leistung, die eigentlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen bezahlt werden müsse. Wegen der schwierigen Haushaltslage halte er es jedoch auch für vertretbar, Teile des Aufkommens aus einer Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge dafür einzusetzen.

Lauterbach weiterhin überzeugt

Offenbar werden neben Engelen-Kefer auch weitere Mitglieder der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung skeptisch. Während Arbeitsgruppen-Berater Karl Lauterbach von seinen Rechnungen, die eine Einbeziehung von Miet- und Zinseinnahmen vorsehen und von einer Beitragssenkung von zwei Prozentpunkten ausgehen, weiterhin überzeugt ist, werden diese von anderer Seite zunehmend in Zweifel gezogen.

Die Süddeutsche Zeitung (Ausgabe vom 12. August) zitierte einen namentlich nicht benannten SPD-Politiker, der erklärte, "es ist eine Illusion zu glauben", dass sich über Beiträge auf Kapitaleinkünfte größere Einnahmen erzielen ließen. Ohne großen Aufwand sei es schwer möglich, herauszufinden, wie viel Kapitaleinkünfte ein Bürger habe - nicht zuletzt wegen des Bankgeheimnisses. Diese Einwände lässt Lauterbach nicht gelten. Er betont immer wieder, dass sein Modell sich gerade dadurch auszeichne, dass es unbürokratisch umgesetzt werden könne.

Kabinett berät sich Anfang September

Die Beitragspflicht für alle Einkunftsarten galt für Rot-Grün bislang als Kernelement der Bürgerversicherung. Zudem will die Regierung Beamte, Selbstständige und privat versicherte Arbeitnehmer in die gesetzliche Krankenversicherung integrieren. Voraussichtlich Anfang September will das Kabinett in einer Klausur über das Reformkonzept der Arbeitsgruppe beraten.

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