Festbeträge: Kanzler macht Zugeständnisse

Berlin (ks). Die Bundesregierung hat mit Vertretern führender Pharmaunternehmen vereinbart, die Rahmenbedingungen für Arzneimittelinnovationen in Deutschland zu stärken. Bei einem Gespräch am 6. Juni im Bundeskanzleramt wollten die Pharmarepräsentanten Änderungen bei der neuen Festbetragsregelung durchsetzen. Erreichen konnten sie ein Einvernehmen darüber, dass die Bildung von Jumbogruppen - also Gruppen, in denen patentgeschützte Arzneimittel und Generika zusammengefasst sind - nicht erfolgen sollte, wenn das Einsparziel auch anderweitig erreicht werden kann. Zugesagt wurde zudem, dass der zusätzliche 10-prozentige Herstellerrabatt - wie gesetzlich vorgesehen - zum Jahresende auslaufen wird.

Die ab dem kommenden Jahr geltenden Festbeträge für patentgeschützte Arzneimittel, die gegenüber nicht-patentgeschützten Arzneien keine therapeutische Verbesserung darstellen, sind der Pharmaindustrie seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform ein gewaltiger Dorn im Auge. Nun haben Vertreter großer Pharmafirmen- darunter Merck, Schering und Sanofi-Synthelabo - mit Bundeskanzler Gerhard Schröder vereinbart, die Ausweitung der Festbetragsregelung "standortverträglich" zu gestalten. Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nahmen an dem Gespräch teil.

Hersteller akzeptieren Einsparvolumen

Die Hersteller erkannten dabei an, dass auch sie ihren Beitrag zu den Einsparungen im Gesundheitswesen leisten müssen und akzeptierten das mit den Festbeträgen anvisierte Einsparvolumen von einer Milliarde Euro. Im Übrigen kam man bei dem Gespräch überein, dass die Regierung dafür "Sorge trägt", dass die Festbeträge in einem transparenten und überprüfbaren Verfahren festgelegt werden. Dabei soll die Frage, ob ein Medikament tatsächlich zu einer "therapeutischen Verbesserung" führt, "innovationsoffen und wissenschaftlich fundiert" geklärt werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung und der Arzneimittelhersteller. Ebenso bestand - vorbehaltlich einer rechtlichen Prüfung - Einvernehmen, dass dann keine Jumbogruppen gebildet werden sollen, wenn auch eine andere Form der Gruppenbildung die erstrebten Einsparungen erreicht.

Vereinbart wurde zudem, dass man im Herbst gemeinsam die Wirkung der Gesundheitsreform auf den Arzneimittelmarkt bewerten wolle. Zum Jahresende soll sodann ein "wissenschaftlicher Dialog" über die ordnungspolitischen Maßnahmen im Gesundheitswesen geführt werden. Dabei soll die Marktpreisbildung in allen Segmenten des Arzneimittelsektors einschließlich der Generika thematisiert werden.

G-BA und Industrie wollen in Dialog treten

Zu den Kriterien und der Methodik der Festbetragsbildung im Einzelnen wird das Gesundheitsministerium demnächst mit der Industrie und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beraten. Konkret heißt dies, dass der G-BA mit Vertretern der Pharmaindustrie in einen "wegweisenden, konstruktiven Dialog" eintreten wird. Dabei sollen die Beschlüsse des Ausschusses vom 15. Juni noch einmal diskutiert werden, erläuterte Ministeriumssprecher Klaus Vater.

Am 15. Juni hatte der G-BA seine erste Entscheidung zu den neuen Festbeträgen getroffen. In drei Wirkstoffklassen (Protonenpumpenhemmer, Sartane und Triptane) wurden dabei die fraglichen Jumbogruppen geschaffen. Die Entscheidungen liegen derzeit dem Bundesgesundheitsministerium vor. Vater betonte, dass die Bundesregierung nicht ohne Weiteres die Beschlüsse des G-BA beanstanden könne. Dies sei nur bei Verfahrensfehlern möglich, oder wenn der Ausschuss die ihm gesetzlich gegebenen Möglichkeiten nicht ausnutze.

Am 8. Juli kam es bereits zu einem ersten Treffen von Vertretern des G-BA und der Industrie im Bundesgesundheitsministerium. Anders als beim Gespräch im Kanzleramt war dort auch ein Repräsentant des pharmazeutischen Mittelstands vertreten. Der zuständige Abteilungsleiter des Ministeriums, Franz Knieps, machte allerdings deutlich, dass das GKV-Modernisierungsgesetz Grundlage aller weiteren Gespräche "ist und bleibt". Er regte an, dass G-BA und Pharmaverbände sich erneut treffen sollten, damit der Ausschuss seine Entscheidungsgrundlagen für die Festbetragsfestsetzung erläutern kann. Gegen diese hatten die Pharma-Vertreter massive Bedenken geäußert.

Kritik aus SPD und von Krankenkassen

Kritik erntete die im Kanzleramt getroffene Vereinbarung in der SPD-Bundestagsfraktion: Horst Schmidbauer sprach von einem "katastrophalen Signal". Gegenüber der Berliner Zeitung (Ausgabe vom 8. Juli) sagte er: "Eine Härtefallregelung bei den Zuzahlungen für sozial Schwache oder eine sozial gerechte Lösung beim Zahnersatz sind angeblich nicht möglich, aber wenn die Pharmaindustrie anklopft, werden deren Wünsche erfüllt". Schmidbauer verwies auch darauf, dass nur wegen der Festbetragsregelung die Pläne für eine Positivliste aufgegeben wurden. "Wenn diese aufgeweicht wird, dann müssen wir auch wieder über die Positivliste sprechen", so der SPD-Politiker.

Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses Klaus Kirschner zeigte sich ebenfalls verstimmt: "Das ist ein ganz massiver Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung". Andrea Nahles, Leiterin der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung, warnte davor, die Strukturreformen zurückzuschrauben. Diese müssten auch "gegen Lobbywiderstand" durchgesetzt werden. Die Spitzenverbände der Krankenkassen wiesen die Behauptung, Festbeträge seien innovationsfeindlich und standortgefährdend, als "Legendenbildung" zurück. In einer Presseerklärung erklärten sie, die Vorstellung, Patente seien ein Beleg für therapeutische Innovationen, sei "ein von der Pharmaindustrie gepflegter Trugschluss".

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