OTC-Markt: Studie - Selbstmedikation im Aufwind

Berlin (ks). Die mit der Gesundheitsreform erfolgte Streichung rezeptfreier Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen ist insbesondere für die mittelständische Pharmaindustrie schwer verdaulich. Doch eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Forschungsgruppe Wahlen (FGW) macht der Branche Mut: Der Trend zur Selbstmedikation werde in Deutschland immer stärker, erklärte Matthias Jung, geschäftsführender Gesellschafter der FGW.

Für fast jedes ohne Rezept erhältliche Arzneimittel gebe es auch nach der Gesundheitsreform eine Perspektive. Die Industrie sollte aber in Zukunft mehr auf das Medium Internet setzen: Es werde als Informations-, aber auch als Bezugsquelle an Bedeutung gewinnen. Die Bedeutung von Apotheken, so prognostiziert Jung, werde sich zunehmend "relativieren". Die Studie, die Jung im Rahmen des Unternehmertags des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie am 28. April in Berlin vorstellte, liefert keine repräsentativen Ergebnisse. Es handelt sich um eine Online-Befragung unter 5182 Menschen mit "modernem Verhalten" - d. h. sie sind Internet-User und gelten somit als gebildete und fortschrittliche Gruppe, an der Trends abgeprüft werden können, erläuterte Jung. In dieser Gruppe zeichnet sich ab, dass es immer attraktiver wird, Arztbesuche zu vermeiden und Selbstmedikation zu betreiben.

"Self-Doctoring" heißt das aus den USA übernommene Schlagwort. Und in diesem Zusammenhang gewinnt auch das Internet an Bedeutung - insbesondere als Quelle für neutrale Informationen, aber auch als Vertriebsweg. Diese Schlussfolgerung zieht Fred Harms, geschäftsführender Gesellschafter des Life Science Management Institutes, das neben der "Virtuellen Apotheke" die Studie initiiert hat. Trend zur selbstbestimmten Behandlung Vor allem bei Erkältungen (88 Prozent) und Schmerzen (66 Prozent) können sich die Befragten vorstellen, Arzneimittel ohne Verordnung einzusetzen. Ebenso sind sie bereit, Vitamine (67 Prozent) auf eigene Faust zu kaufen oder bei Haarproblemen (52 Prozent) selbst aktiv zu werden.

Als Hauptgrund für die Selbstmedikation wird der Wunsch genannt, sich selbst heilen zu wollen - und nicht fremdbestimmt durch einen Arzt (82 Prozent). 62 Prozent geht es um Vorbeugung, 50 Prozent geben an, dass die gewünschten Arzneimittel ohnehin nicht mehr erstattet werden. Fast jeder Vierte meint, er kenne sich selbst am besten und wisse daher auch, was das Richtige für ihn ist. Aber den Befragten fallen durchaus auch Gründe ein, die gegen eine Selbstmedikation sprechen: Vor allem fürchten sie eine Fehldiagnose (77 Prozent) oder eine Fehlwahl des Medikaments (61 Prozent).

Apotheke noch immer Bezugsquelle Nummer Eins

Bezugsquelle Nummer Eins für rezeptfreie Arzneimittel ist auch bei den "Internet-Affinen" die Apotheke (97 Prozent). Mit 41 Prozent folgt der Drogeriemarkt. Obwohl mit dem Internet vertraut, nennen lediglich 13 Prozent der Befragten dieses als Bezugsquelle für OTC-Präparate. Zwölf Prozent geben an, bereits Arzneimittel im Internet bestellt zu haben, die in Deutschland zugelassen sind - weitere 74 Prozent können sich eine solche Beschaffung vorstellen. Zwei Prozent haben auch schon in Deutschland nicht zugelassene Medikamente über das Web geordert - und weitere 46 Prozent der Befragten können sich dies vorstellen.

Für Harms zeigen diese Zahlen: "Vom Kopf her sind die Leute noch in der Apotheke, vom Bauch her aber schon im Internet". Auch wenn der Gesamtmarkt derzeit noch "konservativ" geprägt sei, zeige sich ein Trend, dass der Bezugsweg für Arzneimittel zunehmend diversifiziert und auch internationaler werde, so Harms.

Auch Internet-User schätzen die Beratung in der Apotheke

Grundsätzlich hat das Internet für Ratsuchende in Gesundheitsfragen eine große Bedeutung. Rund drei Viertel der User wollen hier etwas über Behandlungsmöglichkeiten, Wechsel- und Nebenwirkungen sowie Wirkungsweisen erfahren. Als Informationsquelle für rezeptfreie Arzneimittel ist jedoch die Apotheke nach wie vor Spitze: 77 Prozent lassen sich dort beraten. Aber auch Tipps von der Familie und aus dem Freundeskreis gewinnen an Bedeutung: 59 Prozent beziehen hier ihre Informationen. Mit 39 Prozent wird am dritthäufigsten der Beipackzettel genannt. Das Internet nutzt nur jeder Fünfte zur Information über OTCs.

Dennoch: Der Bedeutungszuwachs des Internets ist für Harms unübersehbar - in Gesundheitsfragen ebenso wie in anderen Lebensbereichen. Der Bedarf an neutralen Informationen steige. Dem werde folgen, dass auch neue Bezugswege gefunden werden. Sein Ratschlag für OTC-Hersteller lautet daher: "Diese Menschen da draußen müssen im Netz eingefangen werden".

Dennoch: Viele Apotheken "nicht mehr im grünen Bereich" Für Apotheken sieht Harms die Zukunft weniger rosig. Allerdings weniger wegen der steigenden Bedeutung des Internets. Ein Blick in die USA zeige, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln auch auf lange Sicht keinen größeren Marktanteil als vier bis sechs Prozent erlangen werde. Doch Harms ist sicher: "30 Prozent der Apotheken sind betriebswirtschaftlich nicht mehr im grünen Bereich". Gehen die Umsätze noch weiter zurück, werde es in absehbarer Zeit die Hälfte der Apotheken nicht mehr geben. Schuld daran werden jedoch nicht DocMorris und Co. sein, so Harms, sondern schlicht betriebswirtschaftliche Gründe.

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