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Gesundheitsreform 2003: Versandhandel und Mehrbesitz in Planung

STUTTGART (hst). Ein Rohentwurf der gesetzlichen Änderungen im Rahmen der Gesundheitsreform 2003, der der DAZ-Redaktion vorliegt, sieht weitere weitreichende Änderungen in der Arzneimittelversorgung vor. In dem Entwurf finden sich auch die von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt angekündigte Aufhebung des Mehrbesitzverbots, die Freigabe des Versandhandels und die Modifizierung der Arzneimittelpreisverordnung. Bei dem vorliegenden Arbeitsentwurf des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes (GMG) handelt es sich nicht um den endgültigen Gesetzentwurf, doch ist damit zu rechnen, dass die im Arzneimittelbereich angedachten Maßnahmen zumindest weitgehend die weitere Richtung vorgeben werden.

Insgesamt enthält der Gesetzentwurf weitreichende Änderungen auch hinsichtlich der Organisationsstruktur innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung. So soll der Sicherstellungsauftrag, d. h. die Gewährleistung einer flächendeckenden vertragsärztlichen Versorgung, für die fachärztliche Versorgung schrittweise auf die Krankenkassen übergehen. Dazu schließen die Krankenkassen Einzelverträge mit den Fachärzten auf Basis von Ausschreibungen. Gleichzeitig werden die Kassenärztlichen Vereinigungen grundlegend reformiert, ihr Aufgabenbereich aktualisiert und ihre Organisationsform professionalisiert. In Anlehnung an die Krankenkassen werden hauptamtliche Vorstände eingeführt und kleinere KVen zusammengelegt. Im Arzneimittelbereich sieht der Entwurf derzeit im Einzelnen folgende Maßnahmen vor:

  • Versandhandel Der Arzneimittelversand ohne behördliche Erlaubnis bleibt weiterhin verboten. Allerdings gibt es Rahmenbedingungen, die in der Apothekenbetriebsordnung geregelt werden sollen, unter denen auch der Versand von Arzneimitteln gestattet wird. Bedingung ist, dass der Versand durch eine öffentliche Apotheke erfolgt.

    Voraussetzung hiefür ist, dass die versendende Apotheke zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit ein sehr stringentes Qualitätssicherungssystem etabliert, um sicherzustellen, dass die versandten Arzneimittel ordnungsgemäß zugestellt werden. Zum besseren Verständnis der angedachten Vorgehensweise ist der Wortlaut der entsprechenden Vorschrift in Tabelle 1 wiedergegeben. Damit der Versandhandel eine wirtschaftliche Alternative zur herkömmlichen Apotheke werden kann, können die Krankenkassen mit Versandapotheken künftig von der Arzneimittelpreisverordnung abweichende Aufschläge vereinbaren.

  • Arzneimittelpreisverordnung Die Arzneimittelpreisverordnung soll in mehrfacher Hinsicht modifiziert werden: Die Arzneimittelpreisverordnung soll künftig bei der Abgabe nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die nicht zu Lasten von Kostenträgern verordnet werden, nicht mehr gelten. Dies bedeutet letztlich die Aufhebung der Arzneimittelpreisverordnung im Selbstmedikationsbereich.

    Die Großhandelsaufschläge werden um etwa 6 Prozentpunkte reduziert; gleichzeitig wird Artikel 11 des Beitragssatzsicherungsgesetzes, der den dreiprozentigen Großhandelsrabatt auf den Apothekenabgabepreis bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vorschreibt, aufgehoben. In Tabelle 2 sind die nach dem Arbeitsentwurf vorgesehenen zukünftigen Großhandelsaufschläge zusammengefasst.

    Im Ergebnis bedeutet diese Regelung eine Festschreibung der erniedrigten Großhandelsrabatte für die Apotheken. Genau genommen wird die Regelung sogar noch verschärft, da die niedrigeren Großhandelsaufschläge auch für apothekenpflichtige Arzneimittel gilt, die vom Großhandelsrabatt nach dem Beitragssatzsicherungsgesetz nicht betroffen sind.

    Die Apothekenaufschläge werden im hochpreisigen Bereich weiter reduziert. Im Gegenzug wird der gesetzlich vorgeschriebene Rabatt, den die Apotheken den Krankenkassen gewähren müssen, preisunabhängig auf 5% zurückgenommen. Ob diese Veränderung unter dem Strich für eine leichte Entlastung für die Apotheken führt, müssen detaillierte Auswertungen der Preisstrukturen ergeben. Die Aufschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung gelten auch für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, wenn sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegeben werden und keine abweichenden Preisvereinbarungen mit den Kassen getroffen wurden.

  • Mehrbesitz Das Mehrbesitzverbot soll – in begrenztem Rahmen – aufgehoben werden: Zum Betrieb einer Apothekenkette sind nur Apotheker, die die Voraussetzung für eine Betriebserlaubnis erfüllen, berechtigt. Außerdem soll ein Apotheker innerhalb einer Kette maximal fünf Apotheken betreiben dürfen. Außerdem dürfen die zu der Kette gehörenden Apotheken nicht mehr als ein Drittel aller öffentlichen Apotheken innerhalb einer Gemeinde ausmachen.

    Der Betreiber einer Apothekenkette muss selbst eine Apotheke leiten. Für jede Apotheke innerhalb einer Kette hat der Betreiber schriftlich einen Verantwortlichen zu benennen, der dieselben Verpflichtungen nach dem Apothekengesetz und der Apothekenbetriebsordnung zu erfüllen hat wie ein Apothekenleiter. Die Erlaubnis zum Betrieb von Kettenapotheken ist ganz oder teil-weise zu widerrufen, wenn sich durch Apothekenschließungen der Anteil der Kettenapotheken in einer Gemeinde für mehr als ein Jahr auf mehr als ein Drittel erhöht.

  • Vertragsfreiheit Die Vorschriften zur Etablierung integrierter Versorgungsformen sollen stark vereinfacht werden. Dies wurde dadurch möglich, dass der Sicherstellungsauftrag nicht mehr ausschließlich bei den Kassenärztlichen Vereinigungen liegt und diese damit nicht mehr in die Vertragsgestaltung einbezogen werden müssen. Eher versteckt weist die Begründung des Gesetzentwurfes darauf hin, dass auch Apotheken in entsprechende integrierte Versorgungsformen, aber auch in Hausarztmodelle und andere vertragliche Konstruktionen einbezogen werden können.

    Das Gesetz sieht hierfür vor, dass die Krankenkassen mit solchen Apotheken von der Arzneimittelpreisverordnung abweichende Arzneimittelabgabepreise vereinbaren können. Außerhalb jedweder besonderen Versorgungsform können auch abweichende Preisvereinbarungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel getroffen werden, wenn diese zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegeben werden.

  • Öffnung der Krankenhausapotheken Die Krankenhausapotheken sollen in noch größerem Maße für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Zunächst soll klargestellt werden, dass die Krankenkassen mit den jeweiligen Krankenhausträgern die Einzelheiten der Abgabe, insbesondere Preisvereinbarungen, festlegen. Krankenhausapotheken sollen künftig für die Arzneimittelversorgung der ambulant im Krankenhaus behandelten Patienten zuständig sein, wenn das Krankenhaus zur Vermeidung von Unterversorgung zur ambulanten Behandlung ermächtigt ist bzw. im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen zur fachärztlichen Versorgung oder zur Versorgung von Patienten im Rahmen der integrierten Versorgung berechtigt ist. Nach Einschätzung von Beobachtern wird diese Neuregelung erheblichen Einfluss auf die öffentlichen Apotheken haben, weil hiervon vor allem hochpreisige Arzneimittel zur Versorgung chronisch Kranker betroffen sein dürften.

  • Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin Breiten Raum nimmt im vorliegenden Papier die Etablierung des Deutschen Zentrums für Qualität in der Medizin ein. Dem Text zufolge soll das Institut vor allem folgende Aufgaben haben:

    1. Bereitstellung von Informationen für Versicherte über a) die Leistungen und die Qualitätssicherungsmaßnahmen in der ambulanten und stationären Versorgung, b) die bestverfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Diagnostik und Therapie in der Medizin, 2. Erstellung evidenzbasierter Leitlinien und pflegerischer Standards für ausgewählte Krankheiten, 3. Erstellung von wissenschaftlichen Ausarbeitungen, Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Qualität der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen, 4. Abgabe von Empfehlungen an die Bundesausschüsse zu den jeweils bestverfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Regelungsinhalte der entsprechenden Richtlinien, 5. Empfehlungen an die Spitzenverbände der Krankenkassen über Referenzarzneimittel zur Bildung eines vorläufigen Festbetrages, 6. Empfehlungen zur Anerkennung von Fortbildungsmaßnahmen für den Nachweis der Fortbildungspflicht als Zulassungsvoraussetzung, 7. Empfehlungen zu geeigneten chronischen Erkrankungen für die Etablierung weiterer strukturierter Behandlungsprogramme.

  • Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel Das Zentrum spielt auch eine zentrale Rolle bei der Erarbeitung von Empfehlungen zum Einsatz von Arzneimitteln: Für neu zugelassene verordnungsfähige Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen sowie für bereits zugelassene Arzneimittel, die eine erhebliche Bedeutung für die Patientenversorgung haben oder beträchtliche Kosten verursachen, gibt das Zentrum Empfehlungen zu deren therapeutischem Nutzen einschließlich einer Bewertung der Kosten ab. Dabei wird unterschieden zwischen

    • Arzneimitteln mit neuem Wirkprinzip und verbesserter Wirkung (Stufe A),
    • Arzneimitteln mit bekanntem Wirkprinzip und verbesserter Wirkung (Stufe B),
    • Arzneimitteln mit neuem oder bekanntem Wirkprinzip ohne verbesserte Wirkung (Stufe C).

    Eine Zuordnung zu den Stufen A und B soll, so das Papier, nur möglich sein, wenn bei der Anwendung des Arzneimittels im zugelassenen Indikationsgebiet ein für die Therapie bedeutsamer höherer Nutzen, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, für die überwiegende Zahl der Patienten gegenüber den bisher in der Regel verordneten Arzneimitteln zu erwarten ist.

    Für Arzneimittel der Stufen B und C ermittelt das Institut Referenzarzneimittel mit einem bereits zugelassene Wirkstoff und vergleichbarem Wirkprinzip, die in besonderer Weise zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Das Referenzarzneimittel dient bei neuen Arzneimitteln der Stufe B zur vergleichenden Darstellung des zusätzlichen Nutzens und der Kosten. Bei Arzneimitteln der Stufe C soll das Referenzarzneimittel zur Festsetzung eines vorläufigen Festbetrages herangezogen werden.

    Für Arzneimittel der Stufen A und B sollen die Krankenkassen Preise mit den jeweiligen Herstellern vereinbaren. Ist eine Preisvereinbarung nicht getroffen, zahlen die Versicherten eine zwischen 2 und 10 Euro erhöhte Zuzahlung in Abhängigkeit vom Apothekenabgabepreis.

    Die Empfehlungen des Zentrums werden Bestandteil der Arzneimittelrichtlinien. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen muss hierzu innerhalb von zwei Monaten einen Beschluss herbeiführen. Durchgesetzt werden soll die Beachtung der Empfehlungen in der Weise, dass Ärzte bei Nichtbeachtung die Mehrkosten an die jeweiligen Krankenkassen zurückzahlen müssen. Der Gesetzentwurf sieht hierfür ein besonderes Prüfverfahren vor, um festzustellen, inwieweit die Vertragsärzte die entsprechenden Empfehlungen beachten.

  • Preisverhandlungen der Industrie Neben der Verhandlung von Preisen für neue Arzneimittel sollen dem Entwurf zufolge die Arzneimittel, die im Rahmen von strukturierten Behandlungsprogrammen eingesetzt werden, von den Krankenkassen oder einem der Vertragsbeteiligten, z. B. einer Apotheke, ausgeschrieben werden. Die Krankenkassen werden ausdrücklich ermächtigt, den Vertragsärzten Listen solcher Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, die aufgrund der Ergebnisse der Preisverhandlungen besonders preisgünstig sind. Für die Berücksichtigung dieser Listen sollen die Ärzte eine besondere Vergütung außerhalb der Gesamtverträge erhalten.

  • Heil- und Hilfsmittel Bei der Heil- und Hilfsmittelversorgung soll offensichtlich ein neues Kostendämpfungsprinzip erprobt werden: Grundsätzlich treffen die Krankenkassen mit den jeweiligen Verbänden der Leistungserbringer Vereinbarungen über die abrechenbaren Kosten. Zusätzlich können die Krankenkassen jedoch mit einzelnen Leistungserbringern niedrigere Preise bei gleicher Qualität vereinbaren.

    Soweit die Krankenkasse dem Versicherten eine preisgünstigere Bereitstellung von Leistungen durch einen wohnortnahen Vertragspartner anbietet, ist ihre Sachleistungspflicht auf diesen günstigeren Preis beschränkt. Die Patienten stehen dann vor der Entscheidung, entweder zu dem von der Krankenkasse vorgegebenen Lieferanten zu wechseln oder die Differenz zuzuzahlen, oder die Wettbewerber passen ihre Preise dem Individualvertrag an.

  • Zuzahlung Bleibt es bei den bisherigen Vorschlägen, dürfte sich die Anwendung der Zuzahlungsregelung weiter verkomplizieren: Grundsätzlich bleibt es nach dem derzeit vorliegenden Text bei der packungsgrößenabhängigen Zuzahlung. Allerdings sollen Versicherte, die an Hausarztmodellen oder anderen besonderen Versorgungsformen teilnehmen, von der Zuzahlung befreit werden (Bonusregelung).

    Sie müssten dann aber eine Verordnungsblattgebühr von 1 oder 2 Euro an die abgebende Stelle entrichten. Bei neuen patentgeschützten Arzneimitteln, für die keine Preisvereinbarungen getroffen sind, kommen zu der packungsgrößenabhängigen Zuzahlung zusätzliche Beträge in Abhängigkeit vom Apothekenabgabepreis zwischen 2 und 10 Euro hinzu.

  • Patientenquittung Als ein Flop könnte sich die derzeit angedachte Konstruktion der Patientenquittung erweisen: Sie soll nämlich nur auf Anforderung der Versicherten ausgestellt werden und wird kostenpflichtig.

  • Elektronisches Rezept Vorbereitet wird auch die Weiterentwicklung der Versichertenkarte zu einer Gesundheitskarte, die gleichzeitig geeignet ist, das elektronische Rezept einzuführen. Hierzu wird ein Steuerungsausschuss Telematik beim Bundesgesundheitsministerium eingerichtet.

    Soweit Versicherte der Verwendung der Versichertenkarte als Gesundheitspass nicht zustimmen, werden nur die für die Abwicklung der Versorgung erforderlichen Angaben auf der Karte gespeichert. Ziel ist es jedoch, den Verwaltungsaufwand der gesetzlichen Krankenkassen durch Übergang zum elektronischen Datenaustausch über das Leistungsgeschehen deutlich zu reduzieren. Hierbei dürfte das elektronische Rezept den Anfang machen.

    In dem jetzigen Entwurf nicht enthalten sind die von der Rürup-Kommission vorbereiteten Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenkassen. Wie bei vorangegangenen Gesetzentwürfen auch, spielt auch dieses Mal der Arzneimittelbereich bei der Kostensenkung eine beträchtliche Rolle.

    Diesmal stehen jedoch die innovativen patentgeschützten Arzneimittel und die Senkung der Vertriebskosten eindeutig im Focus. Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung die in der derzeitigen Fassung vorgesehenen Regelungen weitgehend unverändert oder im Hinblick auf den mit der Union zu erzielenden Kompromiss bereits mit erheblichen Änderungen als Gesetzentwurf einbringen wird.

  • Ein Rohentwurf der gesetzlichen Änderungen im Rahmen der Gesundheitsreform 2003, der der DAZ-Redaktion vorliegt, sieht weitere weitreichende Änderungen in der Arzneimittelversorgung vor. In dem Entwurf finden sich auch die von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt angekündigte Aufhebung des Mehrbesitzverbots, die Freigabe des Versandhandels und die Modifizierung der Arzneimittelpreisverordnung. Bei dem vorliegenden Arbeitsentwurf des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes (GMG) handelt es sich nicht um den endgültigen Gesetzentwurf, doch ist damit zu rechnen, dass die im Arzneimittelbereich angedachten Maßnahmen zumindest weitgehend die weitere Richtung vorgeben werden.

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