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Die Sprache prägt unser Denken und Bewusstsein. Wörter lenken Meinungen und Stimmungen. Die gezielte Schaffung neuer Wörter wird im modernen Marketing geradezu perfekt ausgenutzt. Geschickt gewählte Begriffe können für den Erfolg eines Produktes oder einer politischen Idee wesentlich verantwortlich sein.

Nach diesen Maßstäben ist der in Niedersachsen propagierte Begriff der Hausapotheke ein mediengerechter Glücksgriff, wie er den Apothekern in der jüngeren Vergangenheit selten gelungen ist. Ergänzend dazu sollten aber auch die Begriffe Hausapotheker und Hausapothekerin aufgebaut werden. Damit würde deren Aufgabe als freie Heilberufler betont und die Hausapotheke von der Erinnerung an eine unaufgeräumte heimische Nachttischschublade gelöst.

Der oder die Hausapotheker/-in ist durch die Analogie zum bewährten Hausarzt positiv besetzt und inhaltlich leicht vermittelbar. Die Hausapotheke trifft durch den logischen Gegensatz zur Versandapotheke politisch ins Schwarze. Wer eine gute Hausapotheke hat, kann sich den umständlichen Versand sparen.

Wie so oft in der Werbung, sind manche Inhalte gar nicht neu. Botendienst für Bettlägerige gab es schon immer. Und eine Überwachung der individuellen Medikation bieten Apotheken mit Kundenkarten und -datei auch nicht erst seit heute. Neu sind die vertraglichen Grundlagen und das Honorar für eine definierte Leistung. Einige Einzelheiten hierzu haben wir Ihnen in der vorigen Woche in einem Bericht vorgestellt. Über weitere Details zur Umsetzung im Apothekenalltag und zu den wirtschaftlichen Folgen werden wir Sie künftig auf dem Laufenden halten.

Doch die Hausapotheke ist weit mehr als ein schönes neues Etikett. Sie bietet Krankenkassen und Apotheken einen Anlass, über neue Inhalte zu verhandeln. Beide Seiten haben damit Raum, Ideen auszuprobieren, ohne die bewährten Strukturen vorher zerstören zu müssen. Die Krankenkassen wünschen sich schon lange neue Möglichkeiten – und die Apotheker erhalten endlich eine realistische Chance, pharmazeutische Betreuung und neue Formen der Patientenorientierung in die Praxis umzusetzen.

Ganz ohne Veränderungen wird das Gesundheitswesen und werden auch die Apotheken nicht bestehen bleiben. Dafür ist der Reformdruck in allen politischen Lagern viel zu groß. Auch ein grundlegender politischer Wechsel würde daran wohl nichts ändern. Die Frage ist nur, in welche Richtung der Druck wirkt: Hin zu einem zentralistischen Kommandosystem, in dem gewerkschaftsabhängige Großkonzerne gläserne Patienten verwalten? Oder zu einem intelligenten Netzwerk von Verträgen zwischen souveränen Partnern?

Vertragslösungen betreffen nicht nur Kassen und Leistungserbringer, sondern auch die Patienten. Zur vielfach geforderten Wahlfreiheit für unterschiedliche Absicherungen könnten künftig auch besondere Leistungen der Hausapotheken gehören. Insofern passt die Hausapotheke in eine politische Entwicklung mit mehr Wahlrechten und mehr Vertragsfreiheit auf allen Ebenen des Gesundheitswesens.

Das wäre wirkliche Liberalisierung im Sinne des Wortes: Sie führt weg von der Bevormundung mündiger Bürger durch einen übermächtigen Staat. Eine Pseudo-Liberalisierung mit Ketten und Versandhandel wird damit überflüssig. Warum sollten neue und problematische Strukturen geschaffen werden, wenn sich die Partner im System einig sind? Optimal wären staatlich geregelte Rahmenbedingungen, die allen Vertragspartnern faire Verhandlungen sichern.

Doch wenn Patienten, Kassen und Leistungserbringer sich einigen, würde die große Politik nicht mehr gebraucht. Wenn ordnungspolitische Regelungen ohnehin nicht mehr durchsetzbar sind oder der politischen Beliebigkeit zum Opfer fallen, können Verträge an ihre Stelle treten und mehr Planungssicherheit bieten. Nicht mehr, sondern weniger Staat, sollte die Devise sein.

Doch die Hausapotheke könnte auch den Weg für tiefgreifende Änderungen in der Apothekenlandschaft weisen. Denn begrifflich ist es von der Hausapotheke zur Fachapotheke nicht weit, sie liegt ebenso nahe wie der Facharzt und der Fachapotheker. Dann wären die Apotheken nicht mehr gleich, auch nicht auf dem Papier.

Angesichts indikationsbezogener pharmazeutischer Betreuung, innovativer Rezepturen und zu erwartender weiterer Spezialaufgaben wird dies schon heute sogar von Standespolitikern festgestellt, so beispielsweise kürzlich von Hamburgs Kammerpräsident Dr. Hans-Jochen Gelberg. Nicht gleich – im Sinne von austauschbar – sollten die Apotheken sein, sondern gleichermaßen hohen Qualitätsstandards – für ihr jeweiliges Aufgabengebiet – sollten sie genügen.

Die Begriffe Haus- und Fachapotheke würden aber auch bedeuten, dass nicht jede Apotheke – insbesondere in ländlichen Regionen – hochspezialisierte Aufgaben übernehmen muss. Die Berechtigung der Hausapotheke ohne Spezialisierung wäre offenkundig. So steckt im Hausapotheker in seiner Hausapotheke ein ganzes Bündel möglicher politischer Gedanken. Welche davon Realität werden, lässt sich heute noch nicht klar vorhersehen, aber das Potenzial ist unverkennbar. Darum erscheint mir die Flucht nach vorne mit einer vielversprechenden Idee allemal besser als den Kopf in den Sand zu stecken.

Klaus G. Brauer

Was die Hausapotheke leisten kann ...

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