Berichte

Die Rolle der Kammern im liberalisierten Europa

Die europäische Entwicklung und damit auch die europäische Wetttbewerbspolitik stehen unter der Leitlinie der Liberalisierung. Nach und nach werden hergebrachte nationale Strukturen im Rahmen der Harmonisierung der Märkte auf ihre Vereinbarkeit mit diesem Prinzip hin überprüft. Dabei stehen auch die Kammern als nationale Organisationsformen auf dem Prüfstand. Stellen die Kammern in ihrer bisherigen Form Hemmnisse für den freien Marktzugang und damit für den freien Wettbewerb dar? Oder sind sie vielmehr für einen effektiven Verbraucherschutz unerlässlich? Zu diesem Thema fand im November 2002 eine Tagung der Europäischen Rechtsakademie Trier statt. Dabei hatten die Vertreter der nationalen Kammern Gelegenheit, mit Mitarbeitern der Europäischen Kommission zu diskutieren.

Für Verbraucherschutz

Zum Auftakt wurde das Spannungsfeld zwischen der europäischen Wettbewerbspolitik und den national gewachsenen Kammersystemen genauer beleuchtet. Prof. Dr. Georges-Albert Dal, Rechtsanwalt aus Brüssel, war der Ansicht, dass die Arbeit der nationalen Kammern durch das liberalisierte europäische Wettbewerbsrecht nicht überflüssig geworden ist.

Die Arbeit der Kammern dient vielmehr dem Verbraucherschutz. Denn im Laufe der Zeit hat sich bei den Freien Berufen eine Art Berufscodex gebildet, der von den Kammern niedergeschrieben worden ist und überwacht wird. Die Kammern nehmen damit eine Aufgabe im Sinne des Allgemeinwohls wahr, die von Liberalisierungstendenzen des Wettbewerbsrecht nicht betroffen ist.

Für Qualitätsstandards

Ruth Pasermann von der Europäischen Kommission legte dar, dass der Wettbewerb bei den Freien Berufen gewisser Grundregeln bedarf. Der Kunde oder Verbraucher kann zunächst nicht erkennen, welche Leistung er erhält. Auf dem freien Markt würde sich damit nicht immer die qualitativ beste Leistung durchsetzen. Gerade bei den Freien Berufen ist es aber wichtig eine qualifizierte und kompetente Leistung zu erhalten, da es z. B. um Recht und Gesundheit geht.

Ein Angehöriger eines Freien Berufes ist Pflichtmitglied in einer Kammer und unterliegt deren Berufsaufsicht. Dies garantiert dem Verbraucher einen gewissen Qualitätsstandard. Zudem ist die Höhe der Gebühren gesetzlich geregelt.

Im Zusammenhang mit den Qualitätsstandards ist auch die gegenseitige Anerkennung der Diplome durch die EU-Mitgliedstaaten zu sehen. Damit fördert die Europäische Union eine freizügige Berufstätigkeit, obwohl es noch keine Harmonisierung bei der Bildung gibt. Immerhin kompensieren Austauschprogramme auf europäischer Ebene wie Erasmus oder Sokrates diesen Mangel.

Für Dienstleistungen

Thomas Münzer, Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer, behauptete, dass der Verbraucherschutz als Aufgabe der Kammern immer wichtiger wird, z. B. durch Fortbildung sowie Berufsüberwachung der Kammerangehörigen. Den Freien Berufe sind Eigenschaften wie Kompetenz, Unabhängigkeit, ethische Ausrichtung und die Akzeptanz des Berufsrechts gemeinsam. Damit ist ihnen auch die spezifische Verantwortung für den Verbraucher, also für den Mandaten oder Patienten zu eigen.

Nach Ansicht des Referenten sollten sich die Verbraucher vehement dagegen wehren, dass Brüssel sinnvolle Regelungen ersatzlos abschaffen will, weil dies eine Abwärtsspirale bei der Dienstleistungsqualität der Freiberufler auslösen würde. Komplexe Dienstleistungen brauchen in Europa mehr und besseren Verbraucherschutz und nicht weniger.

Auch aus Sicht der Ärzte, der Apotheker, der Notare und der Rechtsanwälte gewährleisten die Kammern als moderne Dienstleistungsunternehmen den Schutz des Verbrauchers.

Für flexiblen Arbeitsmarkt

Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur Anerkennung von Berufsqualifikationen soll u. a. der Schaffung eines flexiblen Arbeits- und Dienstleistungsmarktes, einer durchsichtigeren Verwaltung sowie einer besseren Information der Bürger dienen. Prof. Dr. Jaques Steeberger, Rechtsanwalt aus Brüssel, sieht darin für die Kammern ein neues Aufgabengebiet entstehen. So könnten die Kammern Sprachkurse für Berufsangehörige organisieren.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass für die Kammern eine Interessenvertretung auf europäischer Ebene nötig ist, um auf europäische Gesetzgebungsverfahren Einfluss zu nehmen. Nur wenn auf europäischer Ebene die Kammern als Teil der Staatsverwaltung verstanden werden, können sie auch mitgestalten und ihre Interessen einbringen. Diese Aufgabe nimmt im Moment der Bundesverband Freier Berufe in Brüssel wahr.

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