DAZ aktuell

Berliner Apothekenumfrage 2003: In den Apotheken geht die Existenzangst um

(ak). Die aktuelle Umfrage der Apothekerkammer bei den Berliner öffentlichen Apotheken hat dramatische Ergebnisse zu Tage gefördert. 90 % äußern Existenzängste und Ohnmacht. 75 % haben negative Umsatzerwartungen. 40 % wollen pharmazeutisches Personal abbauen. Seit der letzten Apothekenumfrage im Vorjahr hat sich die gesundheitspolitische Situation durch das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) gravierend verändert. Die Reaktionen der Berliner Apothekerinnen und Apotheker auf die spannungsgeladene politische und wirtschaftliche Situation werden durch die im Januar 2003 durchgeführte 6. Berliner Apothekenumfrage prägnant widergespiegelt. Das empirische Material ist sehr aussagekräftig für das gegenwärtige Meinungsspektrum und die Atmosphäre in der Berliner Apothekerschaft.

Die Berliner Apothekenumfrage wurde von der Apothekerkammer Berlin im Januar 2003 bei allen öffentlichen Berliner Apotheken durchgeführt. Die Teilnahmequote hat sich im Vergleich zu den Vorjahren weiter deutlich gesteigert. Von den 872 öffentlichen Apotheken haben 292 Apotheken teilgenommen. Mit einer Rücklaufquote von 34% ausgefüllter Fragebögen ist die Befragung repräsentativ für die Berliner Apotheken.

Umsatzerwartungen und Personal

Die Umsatzerwartungen für das Jahr 2003 sind eindeutig nach unten gerichtet. 75% der Apothekenleiterinnen und Apothekenleiter gehen von Umsatzeinbußen aus. Im Vorjahr waren es 50%. Der Anteil derjenigen, die eine neutrale Umsatzentwicklung erwarten, hat sich gegenüber der Umfrage vor einem Jahr von 39% auf 20% fast halbiert. Lediglich 5% der Kolleginnen und Kollegen gegenüber 11% in 2002 erwarten steigende Umsätze. Der Vergleich zum Vorjahr zeigt, dass sich die negativen Einschätzungen verfestigt haben.

Beim Personal ist der Trend zum Abbau von Arbeitsplätzen dramatisch. Sowohl die pharmazeutischen wie die nicht-pharmazeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind betroffen. Der Anteil der Apotheken, die Entlassungen beim pharmazeutischen Personal planen, verdreifachte sich gegenüber dem Vorjahr nahezu und liegt bei 40%. Auch beim nicht-pharmazeutischen Personal rollt die Entlassungswelle, 27% der Apotheken wollen in diesem Bereich abbauen, im Vorjahr waren es nur 8% der Befragten. Neueinstellungen finden so gut wie nicht statt. Nur 2% der Apotheken wollen pharmazeutisches Personal neu einstellen, 3% nicht-pharmazeutisches Personal. Der Trend zur Umwandlung von Voll- in Teilzeitarbeitsplätze hat im Vergleich zum Vorjahr einen Quantensprung gemacht. Die Hälfte der Apotheken will auf diese Weise Personal abbauen. Bei der letzten Umfrage waren es noch 29%.

Das Ergebnis der aktuellen Umfrage zeigt deutlich, dass die Warnung an die Gesundheitspolitik, das BSSichG werde die Apotheken zu einem drastischen Stellenabbau zwingen, binnen kürzester Zeit traurige Realität geworden ist. Dies spiegelt sich auch im Stellenmark auf der Kammerhomepage wider. Die Zahl der stellensuchenden Apothekerinnen und Apotheker hat sich im Januar im Vergleich zum Herbst nahezu verdoppelt. Von den PTA, die im letzten Jahr nahezu gar nicht im Stellenmarkt vertreten waren, suchen jetzt elf eine Stelle.

Investitionen und Risiken

Alle Arten von Investitionen haben in diesem Jahr geringe Bedeutung. Lediglich 29 % der befragten Apothekenleiterinnen und Apothekenleiter planen Investitionen. Die Investitionsbereitschaft hat sich gegenüber dem Vorjahr halbiert. Wer noch investiert, rüstet die EDV auf. 15 % der befragten Apotheken haben dies vor. Bei den EDV-Investitionen ist allerdings zu beachten, dass es sich hierbei häufig nicht um echte Investitionsentscheidungen handelt, sondern um die Erneuerung ablaufender Verträge. Insofern ist die Investitionsbereitschaft zu relativieren. Die Modernisierung der Apothekeneinrichtung ist für nur 9% ein Thema (Vorjahr 16%). Einen Umbau der Räume haben sich in diesem Jahr 5% (Vorjahr 11%) der Apotheken vorgenommen.

Als Risiken für die weitere Entwicklung der Apotheken werden in diesem Jahr mit großem Abstand die Gesundheitspolitik der Bundesregierung, ad personam die Gesundheitsministerin, das BSSichG sowie dessen realen und in Zukunft befürchteten Folgewirkungen genannt. Die aufgeführten Faktoren beschreiben das diesbezügliche Meinungsspektrum der Berliner Apothekerschaft:

  • Rund 90% der Befragten äußern Existenzängste und Ohnmacht, einige resignieren.
  • Auf Grund der zu erwartenden Abzüge durch das BSSichG sehe ich keinerlei Chancen für die Zukunft meiner Apotheke."
  • Versandhandel
  • Änderung der Arzneimittelpreisverordnung
  • Fremd- und Mehrbesitz, Kettenbildung, unkollegiale Konkurrenz zwischen den Apotheken
  • Erdrosselnde Zwangsrabatte
  • Unzureichende Vertretung durch die Standesorganisationen sowie falsche und ungenügende Darstellung des Apothekerstandes in den Medien
  • Unzeitgemäße Politik der ABDA."; "Bild des reichen Apothekers stimmt nicht mehr."
  • Sozialneid
  • Denen (den Apothekern) ging es bisher zu gut."
  • Kostenexplosion bei Miete und Personal, Lohnnebenkosten
  • Verlust an qualifiziertem Personal wegen anstehendem oder bereits realisiertem Personalabbau, Auflösung funktionierender Apothekenteams
  • Restriktive Politik der Krankenkassen, Ausschluss von der Lieferung von Heil- und Hilfsmitteln
  • Belastung der Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern, restriktive Verschreibungsweise der Ärzte
  • Standortprobleme, Abwanderung von Arztpraxen aus dem Kietz, neue Einkaufszentren.

Und die Chancen?

Die Chancen für die Entwicklung der Apotheken sind einerseits in der gegenwärtigen Lage sehr auf Gesundheitspolitik und auf die Standespolitik fokussiert. Andererseits setzen die Berliner Apotheker auf die Weiterentwicklung von bewährten und/oder bereits in den Vorjahren angedachten Ideen und Maßnahmen. So wird der "Rundumservice" weiterhin als überaus wichtig angesehen. Im Detail eine kompetente, engagierte, freundliche, mehrsprachige Beratung als Basis für eine starke Kundenbindung. In der Entwicklung und Umsetzung von Beratungskonzepten, die die Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals beinhalten, und in der Präsentation im Internet wird Potenzial gesehen.

Daneben gelten auch umfangreichere Werbe- und Marketingmaßnahmen und Spezialisierungen (z. B. Ernährungsberatung, Diabetes, Ausbau des Angebots an Natur- und alternativen Arzneimitteln) als zukunftssichernd. Steigendes Gesundheitsbewusstsein und steigende Lebenserwartung der Bevölkerung sind weitere positive Aspekte. Räumliche Gesichtspunkte, wie die Lage in einem Ärztehaus, der Zuzug neuer Bevölkerung aufgrund des Baus neuer Wohnungen und der Renovierung des Bestandes werden auch in diesem Jahr als umsatzfördernd bzw. umsatzsichernd genannt. Immer mehr Apotheken rechnen sich Chancen durch die Bildung von Einkaufskooperationen aus.

Marketing, QMS und Zusatzqualifikationen

In Bezug auf Werbung und Marketingmaßnahmen setzen 61% der Apotheken auch weiterhin auf eine Verstärkung der Selbstmedikation (+ 7%). Eine Ausweitung des Dienstleistungsangebotes streben nur noch 30% an. Das sind 12% weniger als im Vorjahr. Neue Beratungskonzepte wollen 26% anbieten; ein Minus von 19%. Diese Aussagen korrespondieren mit den Werten zum Personalabbau. Wie sollen die Apotheken ihr Dienstleistungsangebot ausweiten, wenn sie das Personal dafür nicht bezahlen können?

Merklich nach oben geht der Trend zu Einkaufskooperationen. 46% der befragten Apotheken und damit deutliche 13% mehr als im Vorjahr wollen diese Möglichkeit nutzen. Den Ausbau des Neben- und Randsortiments wollen nahezu unverändert 25% betreiben. Die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) hat im Vergleich zum Vorjahr leicht an Bedeutung verloren. Aber immerhin 19% (Vorjahr 25%) sind dabei oder wollen das Projekt in Angriff nehmen, also fast jede fünfte Apotheke.

Dem Erwerb von Zusatzqualifikationen stehen die Apothekerinnen und Apotheker weiter positiv gegenüber. Dabei, wie auch beim QMS, wird von vielen Apothekern Zeit-, Personal- und auch Geldmangel als Grund für die Nicht-Inangriffnahme von Qualifizierungen genannt. Gestiegen ist das Interesse an den Angeboten der Kammer zur zertifizierten Fortbildung. Für 31% ist Diabetes wichtig, Asthma nennen 14%. Zusatzqualifikationen zur Ernährungsberatung, zum Impfen und zu alternativen Heilmethoden streben 11% der Apothekenleiterinnen und Apothekenleiter für sich oder ihre Mitarbeiter an.

Neu in diesem Jahr ist, dass bei den Chancen neben eigenen betrieblichen Maßnahmen auch deutliche Akzente auf politische Maßnahmen gelegt wurden, von denen sich die Apotheker eine Befreiung von dem existenzbedrohenden Diktat des Beitragssatzsicherungsgesetzes erhoffen. Genannt wurden zum Beispiel:

  • Regierungsneubildung
  • Großaktionen der Standesvertretungen auf Bundes- und Landesebene, die Zeichen setzen, z. B. Streik, drastische Reduzierung des Notdienstes, Rezepteinlösung nur gegen vollen Preis in bar.
  • Vergütung der Beratungsleistung.

Die aktuellen Einschätzungen und Erwartungen der Berliner Apotheken tragen zu einer praxisnahen Arbeit der Apothekerkammer bei, die sich auch künftig an den konkreten Bedürfnissen der Berliner Apothekerschaft ausrichten wird. Die Kammer kann so basisnah die Meinung der Berliner Apothekerinnen und Apotheker in die Politik einbringen und an die Bevölkerung herantragen. Beides wird in diesem Jahr bei der anstehenden Gesundheitsreform 2003/2004 von besonderer Bedeutung sein.

Ein Dankeschön an Alle, die sich beteiligt und so für eine valide Datenbasis gesorgt haben.

Die aktuelle Umfrage der Apothekerkammer bei den Berliner öffentlichen Apotheken hat dramatische Ergebnisse zu Tage gefördert. 90% äußern Existenzängste und Ohnmacht. 75% haben negative Umsatzerwartungen. 40% wollen pharmazeutisches Personal abbauen. Seit der letzten Apothekenumfrage im Vorjahr hat sich die gesundheitspolitische Situation durch das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) gravierend verändert.

Existenzängste

Berliner Apothekenleiterinnen und -leiter

  • 90% äußern Existenzängste und Ohnmacht.
  • 75% haben negative Umsatzerwartungen.
  • 40% wollen pharmazeutisches Personal abbauen.

Aussagen zur Lage

Aussagen von Kolleginnen und Kollegen sowie Schlaglichter, die den Gesamteindruck beschreiben.

  • Rund 90% der Befragten äußern Existenzängste und Ohnmacht, einige resignieren.
  • Ein gutes Drittel der Antworten zeigt neben Resignation auch große Wut gegenüber den Politikern, der gegenwärtigen politischen Lage insgesamt. "Stümperhafte Gesundheitspolitik von Rot-Grün!", "Irrsinn einer wahnsinnig gewordenen Ministerin."
  • Die gegenwärtige Situation ist für die Mehrheit der Apotheker kaum durchschaubar und kalkulierbar. "Chaos im Gesundheitswesen!" "Wir verlieren immer mehr gegenüber den Krankenkassen!"
  • Die Umsatzerwartungen sind deutlich eingetrübt. Dreiviertel der Apotheken rechnen mit einem Umsatzrückgang.
  • Personalplanung ist in diesem Jahr fast identisch mit Entlassungen oder Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitarbeitsplätze. Die Bereitschaft zur Einstellung von Personal befindet sich auf dem Nullpunkt.
  • Investiert wird kaum noch. Weniger als ein Drittel der Befragten haben sich Investitionen vorgenommen.
  • Trotz aller Härte der Situation wird nicht nur in Schwarz gemalt, sondern es werden Möglichkeiten und Chancen für die Entwicklung der Apotheken genannt, wohl wissend, dass damit enorme Kraftanstrengungen und schwierige Balanceakte verbunden sind.
  • Die Apotheken leben nicht mehr vom Rabatt sondern von der Hoffnung. "Im Moment ist alles hoffnungslos – aber mehr Privatrezepte und Laufkundschaft ansprechen.", "Neue Qualifizierungs- und Marketingmethoden anwenden."
  • Chancen rechnen sich die Apotheken vor allem durch ein erweitertes Dienstleistungsangebot, erhöhte Selbstmedikation und durch die Bildung von bzw. die Beteiligung an Einkaufskooperationen aus.
  • Das Thema Qualitätssicherung steht bei immerhin jeder fünften Apotheke auf der Agenda, etwas weniger als im Vorjahr.
  • Das Interesse an zertifizierter Fortbildung (Diabetes, Asthma und andere) hat leicht zugenommen.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.