Management

R. HerzogAgieren in der Krise, Teil 5: Das "Vier-Apo

Begrenzter Mehrbesitz mit bis zu vier Apotheken im gleichen oder in benachbarten Kreisen ist ab Anfang 2004 erlaubt. Schon im Vorfeld ist ein reges Interesse und "Stühlerücken" zu verzeichnen. Etliche Kolleginnen und Kollegen strecken ihre Fühler aus, sondieren die Umgebung. Steht die Apothekenlandschaft vor einem Umbruch? Verlieren all diejenigen, die sich jetzt nicht ganz schnell Filialen "anlachen"? Schließlich ist die Zahl der infrage kommenden Standorte begrenzt! Oder begehen jetzt etliche Apotheken den Fehler ihres Lebens und binden sich einen teuren Klotz ans Bein, der sie womöglich wirtschaftlich vollends in die Tiefe reißt? Wir erörtern in diesem Beitrag die Chancen und Risiken.

Standorte – wo und welche?

Die spannendsten Fragen zuerst: Welche Apotheken eignen sich überhaupt als Filialen? Welche Standorte können als attraktiv gelten und kommen daher infrage? Oder lohnen gar zweit- und drittklassige Standorte – nach dem Motto, für eine Filiale taugt nahezu jeder Betrieb, Hauptsache, der Umsatz fällt nicht an die Konkurrenz.

Prinzipiell haben Sie folgende Möglichkeiten:

  • Sie verharren passiv, unternehmen im Hinblick auf eine Filialgründung nichts, oder sind gar darauf aus, jemanden zu finden, der im Gegenteil Ihren Betrieb übernimmt,
  • Sie übernehmen einen oder mehrere Konkurrenzbetriebe,
  • Sie gründen Filialapotheken neu.

Egal, für welche Variante Sie sich entscheiden – in jedem Falle ist eine sorgfältige Standortbegutachtung zu empfehlen (Abb. 1). Selbst wenn Sie umgekehrt einen Interessenten für Ihre Apotheke suchen, steht eine Analyse der Wertigkeit und Zukunftsfähigkeit dieses Standortes an – wie sonst wollen Sie ihn überzeugend anbieten?

Sind Sie in der Situation des Übernehmers, müssen Sie ebenfalls ein sehr sorgfältiges Auge darauf legen, was Sie möglicherweise kaufen. Und eine Neugründung verlangt nach besonders kritischer Prüfung.

Im Rahmen einer solchen Analyse wird üblicherweise Folgendes untersucht:

  • Passantenfrequenzen, Lauflagenanalyse,
  • Lage zu den Verordnern,
  • Aufgliederung dieser Verordner nach Rezeptumsätzen,
  • praktische Standortfaktoren wie Parkplatzsituation, Erreichbarkeit, Verkehrsanbindung usw.
  • Analyse der Räumlichkeiten selbst (Funktionalität, Eignung für barverkaufs- oder rezeptorientierte Konzepte, Sichtbarkeit, Lage des Einganges usw.),
  • Umfeldanalyse: Bevölkerungsstruktur, Altersaufbau, Kaufkraft usw.,
  • und nicht zuletzt die Zukunftsfähigkeit: Sind positive oder negative Verschiebungen der Standortwertigkeit zu erwarten?

Diese Analyse mündet dann in eine tragfähige Umsatzprognose bzw. Einstufung des bestehenden Umsatzes im Hinblick auf die Ausschöpfung des Marktpotenzials. Entscheidend ist nicht, was im Moment umgesetzt wird, sondern wie hoch dieses Marktpotenzial ist, was also bei entsprechendem Engagement möglich erscheint.

Solche Analysen können Sie mit wachem Auge selbst erstellen oder für recht viel Geld bei Gutachtern und Unternehmensberatern in Auftrag geben. Ohne eine solche Untersuchung ist die Entscheidung für oder gegen eine Filiale ein riskantes Unterfangen, wie die wirtschaftlichen Betrachtungen weiter unten illustrieren. Bisher musste nur die Hauptapotheke analysiert werden (und schon dabei haben sich nicht wenige Kollegen aufs Glatteis führen lassen), jetzt dehnt sich diese Aufgabe auf die Filialen aus.

Vor diesem Hintergrund wird folgende Situation wahrscheinlich: Zwar bietet das Kleinketten-Modell durchaus seine wirtschaftlichen Chancen, doch sind praktisch die Situationen, bei denen so etwas Sinn machen würde, begrenzt.

Die "Traumfiliale" liegt zu weit weg, die Apotheke um die Ecke ist völlig uninteressant, der Kollege zwei Straßen weiter besitzt zwar ein attraktives Objekt, hat es aber kraft seiner Stärke gar nicht nötig, sich an den Kollegen zu verkaufen usw. Es ist also praktisch gar nicht so leicht, eine passende Konstellation zu finden.

Wer sich ewig bindet ...

Mit der Übernahme einer Apotheke gehen Sie erhebliche Verpflichtungen ein - im Grunde die gleichen, als wenn Sie die Apotheke alleine übernehmen würden, doch mit dem Unterschied, dass Sie schnell verschiedene Schwellenwerte überschreiten, die Ihnen arbeits- und gewerberechtlich zu schaffen machen können (Stichworte Betriebsrat, Verpflichtung zur Stellung verschiedener Beauftragter, u.U. andere Einstufung beim Finanzamt als Großbetrieb je nach Zahl und Umsatz der Filialen u.a.m., siehe Kasten). Bevor es so weit kommt, muss natürlich erst einmal die Übernahme in die Wege geleitet werden. Oft wird es das "freundlich-feindliche" Schlucken eines Konkurrenten in der näheren Umgebung sein. Ohne gegenseitiges Entgegenkommen und eine kollegiale Atmosphäre wird es nicht gehen.

Auf Druck wird sich wenig bewegen – so nötig hat es kaum eine Apotheke, allen Unkenrufen zum Trotz, dass sie sich an die Übernahme als letzte Rettung klammern müsste. Und wenn, wird eine solche Apotheke meist nicht für eine Übernahme interessant sein. Möglicherweise kommen jetzt wieder veritable Pokerrunden um den Geschäftswert in Bewegung – je nach individuellen Gegebenheiten stehen plötzlich mehrere Interessenten Schlange um einen strategisch bedeutsamen Standort. Die Mehrbesitzmöglichkeit könnte, zumindest für einige Apotheken, den rasanten Geschäftswertverfall der vergangenen Jahre aufhalten und sogar wieder ein Stück weit umkehren. Hier liegt für den Übernehmer aber auch die Gefahr – nämlich wieder überteuert einzusteigen, so wie es vielen Kolleginnen und Kollegen in den Jahren vor BSSichG und GMG auch gegangen ist.

Kommt es zur Übernahme, gehen Sie langfristig mit erheblichen, finanziellen Konsequenzen ins Obligo:

  • Sie müssen das Personal übernehmen (sofern der Altinhaber hier nicht noch Anpassungen in Ihrem Sinne vornehmen kann und möchte),
  • Sie steigen in sämtliche Verträge ein, die nicht vorher von Altinhaberin oder Altinhaber termingerecht gekündigt werden können: Mietverträge, Leasingvereinbarungen, EDV-Verträge usw.,
  • Sie werden in die zahlreichen ungeschriebenen Gesetze und stillen Übereinkünfte involviert, sei es gegenüber dem Personal, sei es gegenüber der Kundschaft und den Ärzten, die möglicherweise Ihren eigenen Geschäftsgrundsätzen in Ihrer Hauptapotheke zuwider laufen. Das kann, wie bei Unternehmensübernahmen in der Wirtschaft auch, zu regelrechten Kulturbrüchen führen – zwei völlig unterschiedliche Stile der Betriebsführung prallen aufeinander. Was in anderen Branchen normal ist, ist für die Apotheken eine völlig neue Erfahrung: Wie werden solche Integrationsprozesse gestaltet, wie werden Reibungsverluste minimiert?

Schon die sachlichen Gegebenheiten bedürfen der sorgfältigen Abstimmung: Mietlaufzeiten müssen zueinander kompatibel sein. Was haben Sie davon, wenn Sie selbst noch auf zehn Jahre planen, Sie aber bei der Filiale 20 Jahre Restlaufzeit mit übernehmen müssten und deren spätere Veräußerbarkeit zweifelhaft ist?

Umgekehrt kann es ebenfalls laufen – das Mietverhältnis steht auf wackeligen Beinen, der Betrieb ist daher kaum übernahmefähig. Hier mehrere, schon lange bestehende Geschäfte unter einen Hut zu bekommen, ist nicht leicht. Wer dagegen eine Kette neu aufzieht und expandiert, tut sich in diesem Punkt leichter – schließlich mietet er zu seinen Vorstellungen neu an.

Die technische Integration ist ebenfalls nicht ohne Fallstricke. Lösbar ist alles – es ist jedoch eine Kostenfrage. Was tun mit der alten EDV-Anlage, die zum eigenen System nicht passen will, aber für die noch etliche Jahre Leasing- und Softwarepflegeverträge laufen? Die Weiterführung wie gehabt ist möglicherweise ebenfalls teuer – Sie vergeben sich eine Menge Synergieeffekte durch direkte Warenlagerabstimmungen, gemeinsame Nutzung von Datenbeständen (Kundendaten etc.) und vieles mehr. Die Schaffung einer homogenen EDV-Umgebung bzw. die Schaffung einer Kompatibilität und Austauschbarkeit von Daten über offene Schnittstellen wird noch manche Herausforderung, auch für die EDV-Anbieter, bringen. Der größte Brocken ist jedoch zweifelsohne das Personal.

Personalintegration – eine Herausforderung

Mit der Übernahme bereits einer einzigen Filiale haben Sie in der Regel bereits den Grenzwert für die mögliche Bildung eines Betriebsrates (ab fünf Vollzeit-Arbeitnehmern) überschritten. Inwieweit geplante Lockerungen, so sie überhaupt kommen, in dieser speziellen Situation einer Übernahme greifen, bleibt abzuwarten.

Die geplante "fließende" Erhöhung der Beschäftigtengrenze lässt den Altbestand des Personals unberührt und reduziert nur den Kündigungsschutz für neu eingestellte Mitarbeiter. Nicht selten werden jedoch Personalanpassungen unvermeidlich, denn Synergieeffekte wie eine zentrale Warenbewirtschaftung und Verwaltung, zentrales Marketing usw. sollen ja nicht ungenutzt bleiben. Zudem wird eine höhere Personalflexibilität gefordert, um z.B. zwischen den Filialbetrieben zu wechseln. Nicht jeder ist bereit, heute hier und morgen da zu arbeiten. In der Praxis bedeutet dies erhebliche Einarbeitungszeiten (z.B. wegen unterschiedlicher EDV-Systeme), und der menschliche Faktor – verschiedene Teams müssen miteinander harmonieren – ist auch nicht zu vernachlässigen.

Deshalb: Die Apotheken leben vom Engagement der Mitarbeiter! Ohne motivierte Teams ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, ein Apotheken-Filialkonzept selbst mit vier Betrieben erfolgreich zu führen – es bleibt immer noch ein persönlich geprägter Kleinbetrieb.

Anders als bei einfachen und strikt vorstrukturierten Franchisekonzepten (wie Fast-Food-Ketten, Bäckereikonzepten, Textilketten usw.), sind die Dienstleistungen in der Apotheke zudem vielgestaltiger und komplexer, zählt persönliche Betreuung und Ansprache der Kunden weit mehr. Fehler im menschlichen Miteinander haben weitreichende Folgen, bleiben nicht ohne Wirkung auf die Kundschaft. Angesichts der recht schmalen Renditen sind solche Reibungsverluste unbedingt auf ein Minimum zu beschränken, und das verlangt nach einer starken Führungs- und Integrationspersönlichkeit.

Wie schwierig das ist, zeigen prominente Beispiele aus der Wirtschaft (denken Sie z.B. an eine bekannte Automobilmarke mit Stern, wo die Frage der Integration der amerikanischen Schwester – oder Tochter? – nunmehr auf Betreiben einflussreicher Altaktionäre vor Gericht ausgetragen werden wird).

Wirtschaftliche Betrachtungen

Wann wird eine Filiale rentabel? Bei der Beurteilung diese Frage dürfen Sie einen Fehler nicht machen – nämlich die Renditesituation Ihrer bisherigen (Haupt-)Apotheke auf die der Filialen hochzurechnen. Es ist ein großer Unterschied, ob eine Apotheke inhabergeführt wird oder aber im Wesentlichen in der Obhut von Angestellten liegt.

In der Filialapotheke muss jede Öffnungsstunde personell abgedeckt sein, während Sie im eigenen Betrieb so manche Stunde selbst überbrücken können. Urlaub, Krankheit, Fortbildungen, unvorhergesehene Ausfälle oder plötzliche Kündigungen wollen ebenfalls bedacht sein. Sie benötigen per Gesetz die ständige Präsenz eines teuren Apothekers (und dies ist der, offensichtlich von bestimmten Politikern nicht realisierte, entscheidende Unterschied zu Filial-Bäckereien oder -Metzgereien). Da Sie selbst nur sehr eingeschränkt einspringen werden – Sie müssen Ihre Hauptapotheke nach wie vor eigenverantwortlich wie bisher führen –, müssen Sie mit einer 100%igen Abdeckung durch Angestellte rechnen, vor allem, wenn es mehrere Filialen sind. Kernpunkt ist also, inwieweit sich eine fremdbetriebene Apotheke ohne Arbeitseinsatz eines Inhabers noch rechnet, also "kettentauglich" ist. Diese Erfordernis einer 100%igen Abdeckung wird in ihren praktischen und wirtschaftlichen Konsequenzen gerne unterschätzt.

Den größten und riskantesten Kostenblock stellt also das Personal dar. Eine sorgfältige Kalkulation ist angesagt – rechnen wir also einmal ein Beispiel:

Die Apotheke A habe 60 Stunden pro Woche geöffnet, das sind an die 3 100 Stunden im Jahr, je nach Lage der Feiertage, Apotheke B hingegen nur 45 Stunden (= ca. 2 300 Stunden p.a.). Dazu kommen die Notdienste, verkaufsoffene Sonntage usw. Die tatsächliche Jahresarbeitszeit eines tariflichen Angestellten beträgt rund 1 650 Stunden, Urlaub und durchschnittliche Abwesenheitszeiten einberechnet.

Sie benötigen also für Apotheke A 3 100 / 1 650 = rund 1,9 Vollzeitstellen für Approbierte. Diese arithmetische Rechnung berücksichtigt freilich nicht individuelle Besonderheiten oder außergewöhnliche Ausfälle, die Notdienste müssen über ein übertarifliches Gehalt "herausgequetscht" werden. Bei Gesamtkosten von mindestens 60 000 Euro p.a. für einen "Leitenden" inklusive Sozialbeiträgen türmt sich hier bereits ein ganz beachtlicher Fixkostenblock auf.

Zusammengesetzt ist dieser aus etwa 3 700 bis 3 800 Euro Monatsgehalt (= ca. 15% über der höchsten Tarifstufe West) mal 13 Gehältern zuzüglich der Sozial- und Nebenabgaben von etwa 22% bis 25%. Das ist bereits recht niedrig gerechnet. Die Vertretung des Filialleiters sei etwas billiger, ca. 45 000 Euro im Jahr für eine zusätzliche 35 Stunden-Stelle, um alle Öffnungszeiten abdecken zu können. Summe: 105 000 Euro für 1,9 Stellen. Sonstiges Personal wird ebenfalls noch benötigt. Im Minimum werden das eine zusätzliche Kraft für den HV-Bereich über die Öffnungszeit hinweg sein (= 1,9 PTA-Stellen, Kosten ca. 55 000 Euro p.a.) sowie Kräfte für Warenwirtschaft, Botengänge usw., die minimal mit etwa 15 000 Euro angesetzt sein sollen.

In der Summe sind das 105 000 Euro Approbierte 055 000 Euro PTA 015 000 Euro sonstige Hilfskräfte Summe: 175 000 Euro p.a.

Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich. Sie sehen schon: Eine kleine Zweigfiliale unter 1,0 Mio. Euro Umsatz wird sich nur in den seltensten Fällen rechnen, allenfalls bei sehr eingeschränkten Öffnungszeiten. Diese Betriebszeiten haben offensichtlich einen sehr großen Einfluss und sind ein Schlüssel zum Erfolg von Filialen. Rechnen wir mit nur 45 Öffnungsstunden für Apotheke B, können wir die benötigen Stunden im HV-Bereich linear herunterrechnen, der Fixbetrag für Warenwirtschaft etc. soll gleich bleiben. Dann reduzieren sich die Personalkosten auf 135 000 Euro. Bei drei Filialen ist u.U. mit einem weiteren Zusatzbedarf an Springern, sprich flexibler Vertreterkapazität in der Hinterhand, zu rechnen – es sei denn, Sie fahren von vornherein mit einer komfortablen, aber teuren Personaldecke zumindest in einer Apotheke, damit von dort aus Engpässe an anderer Stelle abgepuffert werden können.

Doch rechnen wir einmal weiter: Eine Apotheke lässt sich mit 3,0% Raumkosten (inklusive Nebenkosten!), 4,5% für alle Sachkosten, Marketing und Beiträge sowie etwa 1% für Zinsen betreiben. Ohne Personal entspricht dies einem Kostensatz von 8,5%. Das sind brauchbare, eher schon niedrige Branchenwerte, die im Einzelfall natürlich abweichen können.

Nun kommt die Unbekannte Personal: Oben hatten wir für einen 60-Stunden-Betrieb rund 175 000 Euro errechnet. Bei 1,0 Mio. Umsatz entspräche dies 17,5%, zuzüglich der sonstigen Kosten von 8,5% liegen Sie bei 26,0% Gesamtkosten. Das ist nicht selten in der Nähe des erreichbaren Rohgewinnsatzes – die Sache geht auf Null auf!

Wie sähe die Sache bei einer 1,25 Mio. Euro-Filiale aus? Da einige, aber beileibe nicht alle, Sachkosten Fixkosten sind, kann von einem Kostensatz ohne Personal von vielleicht 7,5% ausgegangen werden. Im günstigsten Fall schafft die obige Besetzung auch den erhöhten Umsatz. Dann betrüge der Personalkostensatz 175 000 Euro / 1250000 Euro = 14%.

Damit errechnen sich Gesamtkosten von gut 20%. Alles, was darüber hinausgeht, wäre Gewinn. Bei den zu erwartenden Spannen dürfte sich das aber trotzdem im niedrigen, einstelligen Prozentbereich bewegen – bei 60 Stunden Öffnungszeit. Bei 45 Stunden sieht die Rendite hingegen schon ausgesprochen erfreulich aus und weist Reserven für Unvorhergesehenes auf.

Kleinere Apotheken unter 1,0 Mio. Euro Umsatz dürften sich jedoch im Allgemeinen nicht rechnen, es sei denn, die Kostenstruktur ist außergewöhnlich günstig. Doch selbst dann ist der Reservepuffer gering – die große Unbekannte Personal lässt grüßen. Die nebenstehende Tabellen 1 und 2 illustrieren die einzelnen Szenarien beispielhaft.

Bisher wurde viel von Belastungen gesprochen. Doch gibt es auch Entlastungen. Beispielsweise können Versicherungen für alle Apotheken gemeinsam preiswerter abgeschlossen werden, die Steuerberatung erfolgt gebündelt, das Marketing läuft zentral. Bei Flyern, Zugaben und Werbemitteln ergeben sich durch höhere Stückzahlen positive Skaleneffekte.

Die Bezugskonditionen verbessern sich, bei Rabattverhandlungen sind Verbesserungen wahrscheinlich. Allerdings werden diese Einkaufseffekte gerne überschätzt. Vor dem Hintergrund erheblich gekürzter Großhandelsrabatte gilt dies verstärkt. Zudem erreichen Sie durch den Beitritt zu Einkaufsgemeinschaften und -kooperationen oftmals gleiche oder gar bessere Bedingungen, ohne dass Sie dafür mehrere Filialen benötigen würden.

Aussichtsreich erscheint noch folgende Anregung: Ein zentraler Wareneingang in Kombination mit einem täglichen Lieferservice, sofern die Entfernungen zwischen den Betrieben nicht zu groß sind. Lieferservice und Warendistribution gehen Hand in Hand und machen erst bei mehreren Filialen richtig Sinn. Die Ware für die Filialen wird dann durch den Lieferdienst ebenfalls täglich verteilt. Der Vorteil: In den Filialen muss die Ware nur noch angenommen und weggeräumt werden. Die Verbuchung ist bereits über die "Zentrale" erfolgt. Die Bestellungen erfolgen ebenfalls via Einwahl in den Hauptapothekenrechner, zentralisiert zu den jeweils besten Konditionen (Abb. 2 und 3).

Alles in allem erscheinen 1%- bis 3%-Punkte vom Umsatz als Kostenentlastung aufgrund der oben erwähnten Synergieeffekte und Einkaufsvorteile leicht erzielbar, möglicherweise auch etwas mehr. Dagegen stehen die erheblich höheren Personalkosten durch die Erfordernis einer 100%-Abdeckung durch approbiertes Personal. Je nach (Un-)Vermögen der Filialleitung sind natürlich effektivere oder uneffektivere Arbeitsweisen möglich. Doch nicht nur auf der Kostenseite droht Gefahr; ein(e) schlechte(r) Filialleiter(in) kann auch den Umsatz ganz erheblich schmälern.

Angesichts von meist nur einstelligen Renditen sind dann Verluste nicht weit – siehe Tabellen 1 und 2. Andere, externe Faktoren können den Umsatz ebenfalls positiv oder negativ beeinflussen. Bei einer schmalen Renditebasis ist es dann schwierig, berechenbare Gewinne zu erwirtschaften, zumal das Tagesgeschäft eben in fremden Händen liegt.

Synergie-Effekte – auch eine Entfernungsfrage

Für ein Filialkonzept sprechen die möglichen Synergie- und Skaleneffekte. Ob professioneller Lieferservice, Ladenhütertausch, Personalaustausch zwischen den Filialen, günstigere Einkaufskonditionen oder eine gemeinsame Verwaltung und Buchhaltung – mit mehreren Betrieben fällt vieles leichter, lässt sich einfach mehr bewegen.

Hingegen gehen diese Synergieeffekte schnell gegen Null, wenn die Entfernungen zu groß werden. Wenn die Filialen an den gegenüberliegenden Rändern einer Großstadt liegen, oder 10, 20 oder mehr Kilometer auf dem Lande dazwischen liegen, dann wird es mit dem flexiblen Einsatz des Personals zwischen den einzelnen Apotheken schwierig, macht das Hin- und Hertransportieren von Ware keinen wirtschaftlichen Sinn mehr, werden die Fahrstrecken und -zeiten für ein einzelnes Lieferfahrzeug zu groß.

Der logistische Aufwand zwischen den einzelnen Filialapotheken sollte daher in jedem Fall anhand realistischer Kilometerkosten für die benutzten Kraftfahrzeuge sowie effektiver Stundensätze für das Personal berechnet werden. Der Entfernungsaspekt darf also nicht unterschätzt werden – oder aber die einzelnen Apotheken sind für sich alleine bereits so stark, dass die Rentabilität auch ohne einen Großteil der Synergieeffekte gegeben ist.

Zu nah beieinander liegende Standorte haben jedoch andere Tücken: Überschneiden sich die Einflussgebiete zu stark, treten die Filialen gegenseitig in Konkurrenz und machen sich Kunden abspenstig. Zwar bleibt der Umsatz dann in der "Familie", doch ideal ist das nicht. Deshalb sollte das Einzugsgebiet der einzelnen Betriebe systematisch ergründet und in einen Stadtplan eingetragen werden. Es lässt sich aus der Arztstatistik, der Rezeptabrechnung sowie einer Rezeptanalyse (Untersuchung der Patientenadressen) ablesen (Abb. 1).

Betrachtungen durch die Finanzbrille

Die erwirtschafteten Renditen sind stets in Relation zum aufgewendeten Kapital und zur zusätzlichen Arbeit und Verantwortung zu sehen (Abb. 4). Je nach Investitionsaufwand und einer Kapitalverzinsung von gewünschten 10% bis 12% für unternehmerisch arbeitendes Kapital sind zu den Zinskosten der Tabellen 1 und 2 möglicherweise noch deutliche Zuschläge anzusetzen.

Ein Einstieg "um jeden Preis", nur damit der Kollege einige Straßen weiter nicht zum Zuge kommt, will gut überlegt sein. Auch aus einem anderen Grund: Schnell wird die Liquidität eng. Ein weit höheres Warenlager, viel höhere Lohn- und Sachkosten, steigende Risiken für Unvorhergesehenes wie eine lahmende EDV, eine defekte Automatiktüre oder Probleme mit dem Kfz des Lieferdienstes katapultieren Sie in eine andere Liga. Das Gleiche gilt möglicherweise für die Höhe der Verschuldung. All dies erbringen Sie auf der Basis von maximal vier Betrieben. Da sind "Durchhänger" nicht drin – Verlustbringer können Sie sich nicht lange leisten, es sei denn, die restlichen Betriebe stehen ausgesprochen solide da.

Der Ausstieg ist oft ebenfalls nicht möglich oder aber sehr teuer: Mietverträge laufen noch eine Weile, Personal kann – Kündigungsschutz! – nicht nach Belieben abgebaut werden. Das ist der entscheidende Unterschied zu großen Ketten: Das Gesetz der großen Zahl und die Statistik glätten dort einfach Verlust- und Renditebringer.

Bei hundert Betrieben können Sie sich den einen oder anderen Verlustbringer eine Zeit lang leisten und diesen in Ruhe ggf. auflösen. Bei nur wenigen Betrieben brennt es schnell unter den Nägeln. Bei einer Bäckerei oder einem Schreibwarenladen sieht es schon wieder anders aus: Die gesetzlichen Auflagen und Investitionen sind weit geringer, ein solcher Laden ist in einem Nachmittag leer geräumt.

Hier machen selbst wenige Filialen oft Sinn – nicht zuletzt, weil die Renditen hier ganz andere sind (was kostet ein Brötchen in der Herstellung und wie hoch ist letztlich der Ladenpreis?). Und wie viele Brötchen, Stifte oder Blöcke "unter dem Tisch" abgesetzt werden, darüber schweigt das Gewissen. Experten gehen davon aus, dass hochwertige Filialkonzepte erst ab mehreren Dutzend, besser ab über 100 Betrieben sinnvoll sind. Hier bündeln sich eine Einkaufsmacht sowie Synergieeffekte, verbunden mit der statistischen Absicherung einzelner Ausreißer.

Strategische Gesichtspunkte

Gewisse Konstellationen schreien andererseits förmlich danach, durch ein Filialkonzept gelöst zu werden. Sei es, dass sonst unwiederbringlich verlorene Marktanteile gesichert werden, sei es, dass eine Familiendynastie gefestigt wird. Auch lokale Vorherrschaften im kleinräumigen Bereich auf dem Lande, in Kleinstädten oder Stadtteilen mögen schlagende Argumente sein.

Wie so oft, liegt aber im Einkauf der Gewinn. Ein Einstieg zu überhöhten Konditionen und, noch schlimmer, in einen schwierigen Betrieb, was insbesondere menschliche Faktoren angeht (Altpersonal, Verhältnis zu Verschreibern und Schlüsselpersonen), kann auch schnell ein teures Fiasko bedeuten.

Überlegen Sie weiterhin selbstkritisch, ob Sie die Managementfähigkeiten und menschliche Führungsstärke besitzen, mehrere Betriebe mit teils unterschiedlichen Kulturen zusammen zu führen und zusammen zu halten. In diesem Zusammenhang sollte die Frage erlaubt sein, ob Sie sich die Zusatzarbeit und -verantwortung antun möchten, und ob dies angemessen honoriert wird.

Mit einem Umsatz deutlich über 1,0 Mio. oder gar 1,5 Mio. Euro werden Sie in vielen Fällen auch ohne Filialen gut überleben können – und schätzungsweise ruhiger schlafen. Kleinere Apotheken haben wiederum oft nicht das Kapital und die Infrastruktur, ein größeres Filialkonzept zu stemmen.

Dennoch – es gibt Situationen, in denen der begrenzte Mehrbesitz gerade für schlechter laufende Apotheken ein echter Vorteil ist. Wer momentan noch an einem nicht mehr attraktiven Standort "angekettet" ist – weil der Mietvertrag noch lange läuft und ein Käufer für die Apotheke nicht zu finden ist – hat nunmehr die Freiheit, sich im Umfeld umzutun und Chancen an einem besseren Standort wahrzunehmen. Freiwerdende Ladenlokale, das Ärztehaus um die Ecke, das Einkaufscenter einige Straßen weiter verlieren insoweit ihren Schrecken als potenzielle Kristallisationspunkte für eine ungeliebte Konkurrenz. Denn auch ohne Approbation "in der Hinterhand" können Sie jetzt aktiv werden.

Was übrigens heute noch gar nicht erkannt, aber irgendwann ebenfalls einmal Bedeutung erlangen wird: Was machen Sie eines Tages mit Ihrer Kleinkette? Verkaufen Sie sie stückweise (das Auseinanderreißen hat gerade im personellen Bereich wieder etliche Folgewirkungen), finden Sie jemanden, der die Kapitalkraft hat, dieses Gebilde en bloc zu erwerben, und zu welchem Preis? Hat ein solches Gebilde überhaupt einen nennenswerten Geschäftswert, wenn die Rendite verwässert ist? Doch heute müssen Sie möglicherweise erst einmal viel Geld in solche Geschäftswerte investieren. Oder Sie gründen gleich neue Betriebe – sofern attraktive Standorte gegeben sind, ist das nicht unbedingt die schlechteste Lösung!

Die Zukunft: Hat das Modell Bestand?

Die Frage, die viele Kollegen umtreibt, ist die nach der Nachhaltigkeit der jetzigen Reform. Die Politik tut ja bereits auch alles, um Zweifel zu nähren. Für die einen ist das erst der Anfang, eine Zwischenstation auf dem Wege weiterer Liberalisierung. Andere Politiker legen sich erst gar nicht fest. Andererseits ist die vorherrschende, juristische Meinung die, dass sich das Vier-Apotheken-Modell schon dauerhaft halten ließe – wenn die Politik das will. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer.

Über all dem schwebt die Frage, was wir uns in einigen Jahren überhaupt noch für Gesundheitskosten leisten können – kommt die Wirtschaft wieder dauerhaft in Fahrt, oder stehen wir erst am Anfang eines langdauernden Niedergangs? Dies nützt Ihnen jedoch nicht allzu viel. Sie können sich eingraben und warten – auf den Ruhestand, auf bessere Zeiten. Je nach Lebensalter ist das vielleicht sogar die empfehlenswerte Variante. Der überwiegende Teil der Kollegenschaft wird jedoch auf längere Sicht sein Auskommen in der Apotheke finden müssen.

Mit Sicherheit können Sie von einem Bestandsschutz ausgehen – die Filialen, die Sie jetzt gründen, kann man Ihnen nicht so ohne Weiteres wieder wegnehmen. Insofern können Sie sich sehr wohl strategisch verbessern, selbst wenn der Fremdbesitz kommen sollte. Das setzt aber voraus, dass das Filialkonzept über gewisse wirtschaftliche Reserven verfügt und nicht droht, bei weiteren Belastungen sofort auseinander zu brechen.

Fazit

Leicht ist es nicht, eine treffende Empfehlung zu geben. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Konstellationen vor Ort, zu unterschiedlich auch die Personen mit ihren individuellen Vorstellungen und Eigenschaften. Im Idealfall, auf dem Papier, bietet das Kleinketten-Modell hochinteressante Chancen. Doch müssen die lukrativen Filialen – ob als Übernahme oder Neugründung – erst einmal in der rechtlich erlaubten, räumlichen Umgebung gefunden werden. Umsatz- und renditestarke Betriebe haben es nicht nötig, übernommen zu werden. Die Zahl attraktiver Neustandorte ist begrenzt, auch wenn sich immer mal wieder Chancen bieten.

Ein Verdrängungswettbewerb auf die harte Tour, bei dem Konkurrenten systematisch gegen die Wand gespielt werden, ist kosten- und zeitaufwändig und zudem nervenaufreibend – von der Kollegialität ganz abgesehen. Und der Erfolg ist auch fraglich – Totgesagte leben oft länger als gedacht. Und selbst ein nach der Zahlenform rentabler Filialbetrieb kann bei der Übernahme noch viele Fallstricke bergen – angefangen vom Mietvertrag bis hin zum keineswegs zu unterschätzenden, menschlichen Faktor bei der Integration des "freundlich-feindlich" übernommenen Personals.

Anders sieht die Lage bei den schon bisher bestehenden "Familiendynastien" aus. Diese erhalten jetzt zusätzliche Freiheitsgrade, und hier werden entsprechende Dispositionen auch ohne Empfehlung von außen getroffen. Für die überwiegende Zahl der Kolleginnen und Kollegen dürfte daher die Konzentration auf die bestehende Apotheke in absehbarer Zeit die Hauptaufgabe bleiben. Allerdings mit der Option im Hinterkopf, jetzt leichter aktiv werden zu können, wenn sich in der näheren Umgebung doch etwas Interessantes auftun sollte ...

Begrenzter Mehrbesitz mit bis zu vier Apotheken im gleichen oder in benachbarten Kreisen ist ab Anfang 2004 erlaubt. Schon im Vorfeld ist ein reges Interesse und "Stühlerücken" zu verzeichnen. Etliche Kolleginnen und Kollegen strecken ihre Fühler aus, sondieren die Umgebung. Steht die Apothekenlandschaft vor einem Umbruch? Verlieren all diejenigen, die sich jetzt nicht ganz schnell Filialen "anlachen"? Schließlich ist die Zahl der infrage kommenden Standorte begrenzt! Oder begehen jetzt etliche Apotheken den Fehler ihres Lebens und binden sich einen teuren Klotz ans Bein, der sie womöglich wirtschaftlich vollends in die Tiefe reißt.

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Herzog, Erfolgsfaktor Standort vom Autor dieser Serie. Hier wird detailliert auf die Standortanalyse, -findung und -sicherung eingegangen.

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