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Rückblick, Ausblick, Jahreswechsel. Das alte Spiel, die alten Rituale. Oder mehr?

Der Rückblick: Mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz hat man uns fürchterlich über den Tisch gezogen. Keine Gruppe im Gesundheitswesen wurde im abgelaufenen Jahr so rasiert, wurde so getäuscht, wurde so vorgeführt. Dass dabei auch die Gesundheitsministerin mit gezinkten Karten gespielt hat, war nicht zu übersehen. Ihr Haus wusste, was auf die Apotheker zukam. Trotzdem suggerierte die Führung des Ministeriums nach außen, die Belastungen für die Apotheken seien sehr viel niedriger. Reizte unsere Duldsamkeit zu weiteren Attacken? Hätten wir Lüge nennen müssen, was Lüge war? Oder gehört Unehrlichkeit und Unaufrichtigkeit inzwischen so zum politischen Geschäft, dass man darob nur noch zur Tagesordnung übergehen kann?

Wer den Kopf hängen lässt, darf sich über Nackenschläge nicht wundern. Der Ausblick auf das nächste, auf die kommenden Jahre, scheint das zu bestätigen: Vor uns steht das GKV-Modernisierungsgesetz mit seinen Zumutungen. Eine große Koalition aus SPD, CDU/CSU und Grünen hat sich abseits der üblichen demokratischen Wege im Sommer in nächtlichen Kungelrunden auf eine "Modernisierung" unseres Gesundheitswesens verständigt.

Alles soll besser werden. Eine Bresche für den Fortschritt! Weltoffen, fortschrittlich, "modern" – das sind Begriffe, die gemeinhin als positiv besetzt gelten. Wer wollte da dagegen sein? Wer würde einer solchen Reform widersprechen wollen?

Doch Vorsicht: Im "Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung" (GMG) ist nicht wirklich drin, was draufsteht. Die Politik meinte zur Jahresmitte, es müsse jetzt ganz schnell gehandelt werden. Dass dabei die sorgfältige Analyse von Ursachen und Folgen auf der Strecke blieb, ist falsch und unverzeihlich.

Und: Inzwischen wissen wir, dass nicht einmal das Hauptziel der ganzen Übung, die Senkung der Krankenkassenbeiträge, so wie erhofft erreicht wird. Ein Etikettenschwindel: Die Beiträge würden auf unter 13 % des Einkommens sinken – so hieß es zunächst vollmundig. Davon ist inzwischen, schon vor Inkrafttreten der Neuregelungen, keine Rede mehr.

Wenn überhaupt werden die Beiträge um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte abgesenkt werden können – trotz der Erhöhung der Zuzahlungen, trotz (oder wegen?) der angekündigten Strukturveränderungen, wegen der weiteren Bürokratisierung, wegen der nachhaltigen Schwächung und Entmutigung der freien Berufe im Gesundheitswesen. Neben den Fachärzten hat man insbesondere die öffentlichen Apotheken zu Opfern ausgeguckt.

Sind wir wirklich an der Spitze des Fortschritts, weil wir uns ohne Not als Vorreiter in Europa dem auch grenzüberschreitenden Versandhandel öffnen werden? Ist der "weltweite Trend, Medikamente als Ware zu sehen, für die es möglichst wenig Handelsbeschränkungen geben" soll (so das Handelsblatt am 13.12.2003), wirklich im Sinn der Verbraucher?

Selbst dem Handelsblatt scheinen Zweifel zu kommen. Neben dem Artikel, in dem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs als Sieg für DocMorris gefeiert wird, titelt die Zeitung "Pillenfälscher profitieren vom Internethandel". Die Zeitung zitiert Claus-Peter Holz vom Bundeskriminalamt, durch den ab Januar auch in Deutschland erlaubten Internethandel "wachse das Risiko 'in einem kaum abzuschätzenden Ausmaß'".

Die Verbraucher werden nach der Verharmlosung des Internethandels noch weniger als die Überwachungsbehörden und der Zoll zwischen der Fülle der brutal-kriminellen und den wenigen angeblich seriösen Internetapotheken à la DocMorris unterscheiden können. Hat sich nicht auch DocMorris locker-flockig über viele rechtlichen Bestimmungen hinweg gesetzt, die dem Versender im Weg waren? Woher nehmen wir den Optimismus, dass die Tricksereien in Zukunft und in Sachen Verbraucherschutz aufhören? Was ist die zentrale Botschaft, welche Lehren sollten wir ziehen – aus dem, was uns im vergangenen Jahr widerfahren ist, aus dem, was uns im nächsten Jahr ins Haus steht?

Ich denke, wir müssen uns zu allererst fragen, warum es uns zunehmend schlechter gelingt, für unsere zentralen berufspolitischen Positionen gesellschaftliche Mehrheiten zu finden. Ohne gesellschaftliche Mehrheiten wird es zunehmend schwerer, politische Mehrheiten zu organisieren. Und ohne politische Mehrheiten nutzen uns auf Dauer auch keine Erfolge vor Gericht.

Haben wir wirklich nur ein Umsetzungsproblem, ein Problem in der öffentlichen Darstellung? Oder liegen die Probleme tiefer? Müssen wir unsere Rolle im Gesundheitssystem überdenken, neu definieren, entschiedener umsetzen, konsequenter auf spürbaren, nachweisbaren Nutzen für die Patienten ausrichten?

Wir müssen viel ändern, wenn Wesentliches so bleiben soll, wie es ist. Das wird nicht einfach. Aber ich bin trotzdem nicht ohne Optimismus.

Klaus Brauer

Alte Rituale, neue Lehren?

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