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Pharmazeutische Innovation: Ist effektiver Verwertungsschutz möglich?

FRANKFURT/MAIN (aal). Schon in der forschenden Pharmaindustrie wird die Patentlaufzeit oft angesichts der immensen Forschungskosten als zu kurz für ein Return-on-Investment empfunden. Noch größer ist das Problem, wenn sich für altbekannte und bewährte Präparate neue Indikationsaspekte ergeben oder für Phytopharmaka Wirkungsnachweise erbracht werden sollen. Wie können solche Erkenntnisse, die schließlich ebenfalls durch teure Studien untermauert werden müssen, rechtlich geschützt werden?

Am 21. November 2003 lud die Socratech GmbH zu einer Expertengesprächsrunde zum Thema "Verwertungsschutz – Pro und Contra" ins Biozentrum, Frankfurt/Main, ein.

"Sprunginnovationen", durch die die Therapie bestimmter Krankheiten mit einem Satz erst ermöglicht, völlig erneuert, effektiver oder verträglicher wird, sind selten. Noch dazu sind die Aufwendungen, die in die nötigen Studien gesteckt werden müssen, so hoch, dass heute vielfach mehrere große Pharmaunternehmen auf ein solches Ziel hin kooperieren. Die genannte Kostenhürde ist heute vor allem der Grund, warum Mittelständler nur noch in Ausnahmefällen ganz neue Substanzen auf den Markt bringen.

Eher eine Domäne der Mittelständler, aber nicht nur von ihnen, sind die "Schrittinnovationen". Bei ihnen geht es um Wirkstoffoptimierung in Form von Derivaten oder die Findung neuer galenischer Formen für eine patientenfreundlichere Einnahmefrequenz, bessere Verträglichkeit o. ä.

Manche kritisieren solche Entwicklungen, sprechen ihnen gar eine innovative Komponente völlig ab. Vor allem in Zeiten knapper Kassen werden Schrittinnovationen oft als "Me-too-Präparate" abgewertet. Solche würden allein um der Marktteilnahme willen geschaffen, ohne eine therapeutische Innovation darzustellen.

Hier lohnt sich allerdings ein scharfer Blick auf Pharmakokinetik und Handhabung: Nicht selten stellen sie für den Patienten eine Verbesserung seiner Lebensqualität dar oder schöpfen ein Wirkungspotenzial erst voll aus. In manchen Fällen zeichnen sie sich auch durch ein wesentlich günstigeres Interaktionspotenzial aus.

Die Großindustrie beschäftigt sich gerne mit solchen Produktveränderungen, um ihre Marktanteile nicht an kleinere Konkurrenten abgeben zu müssen – es herrscht also auch hier ein scharfer Konkurrenzkampf.

Der teure Weg zur Innovation

Obwohl eine Schrittinnovation, auf bekannten Stoffen basierend, weniger Kapitaleinsatz fordert als eine Arzneimittelentwicklung ab dem chemischen Screening, ist sie dennoch kostspielig. Denn das neu geschaffene Derivat oder die neu etablierte Indikation müssen sowohl dem Patienten als auch dem Arzt, der Krankenkasse sowie der Volkswirtschaft gerecht werden.

Paradebeispiele solcher Schrittinnovationen sind das Ranitidin, welches auf Cimetidin folgte, oder das auf das Omeprazol folgende Pantoprazol. Einen Sonderfall stellt hingegen das Memantine dar. Es führte jahrelang als Spezialarzneimittel bei spastischen Krämpfen ein Schattendasein. Nach der Entdeckung seiner Wirksamkeit gegen Alzheimer gewann es plötzlich einen riesigen Markt. In diesem Fall gab es einen individuellen, neuen Patentschutz.

Weniger Glück hatte die Firma Desitin bei ihrer Neuetablierung von Carbamazepin zur Beherrschung manischer Phasen sowie dem Einsatz von Valproinsäure bei bipolaren Psychosen und gegen Krebs. Unzweifelhaft handelt es sich bei diesen neuen Indikationen bekannter Substanzen um echte Entdeckungen, zumal ihre Wirkung zum Teil von anderen als den gewohnten Dosierungen oder Applikationswegen abhängt.

Wie viele Mittelständler führte Desitin die erforderlichen klinischen Prüfungen in Osteuropa durch – in Deutschland sind sie für diesen Produzentenkreis schon fast unbezahlbar.

Gerade wegen der hohen Kosten wird jedoch gefordert, auch Schrittinnovationen zu schützen durch verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen wie ein möglichst wasserdichtes Copyright, einen Aut-idem-Ausschluss, die Gewährleistung der Erstattungsfähigkeit und freie Preisgestaltung zur Honorierung der erfolgreichen F+E-Tätigkeit. Gerade wegen der auf diesen Gebieten herrschenden Unsicherheit hat Desitin seine Forschungen an Carbamazepin und Valproinsäure wieder aufgegeben.

Sonderfall Phytopharmaka

Bei pflanzlichen Präparaten wird die Forderung nach einem wissenschaftlich haltbaren Wirkungsbeweis immer lauter. Natürlich existieren vielfach Studien, doch wird an älteren Untersuchungen bemängelt, diese würden den modernen Anforderungen nicht mehr gerecht. Hier handelt es sich nun um Studien zu Drogen, die seit teilweise Jahrhunderten in angestammten Indikationen gebraucht werden – wer soll die Kosten für die klinischen Püfungen übernehmen?

Bei den verlangten Nachzulassungen gerieten viele gerade kleine Hersteller von Phytopharmaka in arge Bedrängnis, weil sie die nötigen nachzuliefernden Studien nicht bezahlen können.

Und die Hersteller mit großen Marktanteilen, die solche Untersuchungen starten, sind sich nicht sicher, wie sie ihre Erkenntnisse vor "Trittbrettfahrern" schützen sollen. Ein Trost bleibt: Wenigstens muss, anders als bei den festbetragsgeregelten Stoffen, im Moment noch keine "Aut-idem"-Regelung befürchtet werden.

Rechtliche Fallstricke

Nur im Bereich der Arzneimittel mit automatischer Verschreibungspflicht (also ganz neuen Substanzen) schützt die "Zweitanmelder-Regelung" des § 24 AMG die der Anmeldung zugrunde liegenden Forschungsergebnisse für zehn Jahre. Bei allen anderen Arzneimitteln sind die Studien sofort jedem Konkurrenten zugänglich. Hier wurde das schon geltende EU-Recht nicht vollständig umgesetzt.

Denn auf europäischer Ebene sieht das Gesetz eine Nutzung des Wissens nur mit Erlaubnis des Erstanmelders oder nach Ablauf von sechs Jahren, während derer das Präparat im Markt war, vor. Es ist also eigentlich zu fordern, dass diese Regelung, die Innovationen an "Altarzneimitteln" schützt, endlich Eingang in die deutsche Rechtsprechung findet.

Auch am EU-Recht wird ständig "nachgebessert". Eine Novelle sieht vor, dass sich der Patentschutz um ein Jahr verlängert, wenn bis zwei Jahre vor Ablauf neue Indikationen oder Derivate bzw. Arzneiformen mit anderen Wirkungen angemeldet werden.

Einen Pferdefuß hat die Sache allerdings: Sogar Isomere und verschiedene Salze werden im Sinne der EU wahrscheinlich als "essentially similar" und damit nicht schützenswert gelten – was manchen Pharmakologen am Sachverstand der gesetzgebenden Kommission zweifeln lässt.

Alle zentral (also per EMEA) zugelassenen Arzneimittel genießen in der EU ebenfalls einen zehnjährigen Wissensschutz. Leider gibt es jedoch gerade auf dem Gebiet der Phytopharmaka praktisch keine Zulassungen im gegenseitigen Anerkennungsverfahren. Die geführten Nachweise sind produktspezifisch und die Dosierungen variieren in den einzelnen Ländern traditionell sehr.

Vorschläge zur Schutzoptimierung

Wie abzusehen ist, werden die Maßnahmen der Gesundheitspolitik und die fehlenden rechtlichen Rahmenrichtlinien für einen Kahlschlag im Mittelstand sorgen. Auf der anderen Seite setzt sich auch in der Politik die Erkenntnis durch, dass der Mittelstand der eigentliche Träger des Wirtschaftslebens ist.

In der Pharmazie, als Deutschland noch die "Apotheke der Welt" war, hatten nicht selten auch kleine Firmen bahnbrechende Erfolge aufzuweisen. Welche Möglichkeiten gäbe es also, auch kleineren Unternehmen eine Chance zur Entwicklung und Vermarktung ihrer Präparate zu geben?

Die größte Gefahr für die Etablierung einer Altsubstanz mit bekannter Dosierung in einer neuen Indikation ist der "Off-label-use", also der Gebrauch nicht dafür zugelassener Präparate. Ein Beispiel dafür wäre der Einsatz von Memantin-Generika anstatt der teureren Memantin-Präparate mit der neuen Indikation, obwohl sie für diese keine Zulassung haben.

Um Konkurrenzpräparate vom "Wildern" in der neuen Domäne fernzuhalten, wäre die Entwicklung einer zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen Arzneiform oder Dosierungsstärke für die zusätzliche Indikation nötig. Die Forderung an den Gesetzgeber besteht nun darin, für solche Entwicklungen einen Patentschutz in Kombination mit einer Verhinderung eines Off-label-use durch generische Konkurrenten zu erlauben.

Nur so kann auch ein Mittelständler die Zeit gewinnen, seine hohen Entwicklungskosten über den Markt wieder "einzuspielen". Denkbar ist außerdem das Verfahren, die Kosten für die Studienerstellung zur Neuzulassung offenzulegen und alle Nachahmer per Gesetz zur Beteiligung zu zwingen.

Zugelassen – aber keine Marktchance

Ist die Hürde der Zulassung unter hohen Kosten genommen, ist der Markterfolg eines Medikamentes noch lange nicht sicher. Zur Problematik, den Nutzen eines Arzneimittels zu definieren, hier ein Interview mit Prof. Dr. Henning Blume, Geschäftsführer der SocraTec GmbH:

Herr Professor Blume, wer definiert eigentlich die Kriterien für den Arzneimittelnutzen?

Blume:

Diese Frage ist interessanterweise gar nicht einfach zu beantworten. Tatsächlich fühlen sich nämlich unterschiedliche Gruppen berufen, die Kriterien zu definieren und hier die Standards zu setzen. Zunächst einmal steht auch bei den Studien im Rahmen der Zulassung der Nutzen des Arzneimittels im Focus, denn letztlich läuft alles auf eine Nutzen-Risiko-Abschätzung hinaus.

Eine positive Zulassungsentscheidung beinhaltet demnach auch eine Bestätigung des therapeutischen Nutzens. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass bei diesem Verfahren kein Vergleich mit bereits in der Therapie eingesetzten anderen Arzneimitteln vorgenommen wird, d. h. die Zulassung ist nicht an den Nachweis einer besseren Wirksamkeit als bei den bestehenden Präparaten gebunden.

Genau dies betrachtet aber z. B. der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, der dabei auch über die Erstattungsfähigkeit neuer Medikamente entscheidet. Durch Einbeziehung der schon am Markt befindlichen anderen Produkte geht es letztlich um den therapeutischen "Zusatznutzen" und die "Preiswürdigkeit" der Innovation.

Alle Medikamente durchlaufen also gewissermaßen einen zweistufigen Zulassungsprozess?

Blume:

Das kann man so sehen, und hier machen sich auch die Befürchtungen fest, die von mancher Seite berechtigt vorgebracht werden: Schon bei der Zulassung durch das BfArM werden die eingereichten Unterlagen durch eine Reihe kompetenter Wissenschaftler, interner und externer, begutachtet und so eine Entscheidung erarbeitet. Dieser Prozess ist aufwändig, und es dauert entsprechend lange, bis ein neues Medikament als ausreichend wirksam und verträglich beurteilt werden kann.

Nun stellt sich die Frage, was ein zweiter Evaluierungsprozess tatsächlich bringen sollte, ob er wirklich erforderlich ist und z. B. zu mehr Sicherheit führt. Und mehr noch: Dieser zweiten Hürde kommt eine hohe Relevanz zu, denn wenn einem Präparat keine Erstattungsfähigkeit bescheinigt werden sollte, wäre es für den Hersteller praktisch "unverkäuflich".

Insofern entscheidet dieser Prozess – mehr noch als die Zulassung – praktisch über Wohl und Wehe des Arzneimittels. Daher müssen die Entscheidungen im Bundesausschuss durch Kompetenz und Objektivität geprägt sein. Man wird aufmerksam beobachten, ob bzw. wie diese schwierige Aufgabe, die angesichts der Vielfalt der Arzneimittel ein breites Spektrum an Fachwissen erfordert, durch ein relativ kleines Gremium tatsächlich geschultert werden kann.

Zurück zum Nutzennachweis der Firmen: Ist dieser eigentlich irgendwie geschützt oder allgemein zugänglich?

Blume:

Hier gibt es keine anderen Regeln als bei der Zulassung. Letztlich sind der Patentschutz sowie die Laufzeit des Schutzzertifikats für die exklusive Vermarktung entscheidend. Solange hier Schutz besteht, ist eine Bezugnahme auf die Studienunterlagen nicht zulässig. Dies würde auch für die sehr aufwändigen und langwierigen Outcome-Studien zum therapeutischen Nutzen gelten, wenn sie in diese Frist fallen.

Anschließend ist das jedoch anders, dann sind die Ergebnisse nicht patentierbar. Und die Frage, ob sie damit auch auf bioäquivalente Nachahmerpräparate übertragen werden können, muss mit "ja" beantwortet werden, solange für diese eine therapeutische Äquivalenz angenommen werden kann.

Ist das bei Phytopharmaka genauso?

Blume:

Im Grunde genommen ja. Allerdings besteht hier meist ein entscheidender Unterschied: "Phytogenerika" im engeren Sinne, d. h. identisch zusammengesetzte Produkte, für die Bioäquivalenz nachgewiesen worden ist, gibt es nämlich praktisch nicht.

Meist unterscheiden sich die Präparate bereits in der Zusammensetzung des Extraktes und können bereits so den Anspruch der "Wirkstoffgleichheit" nicht erfüllen. Nehmen wir einmal die bei dem Expertentreffen angesprochene SPICE-Studie zu Weißdorn. Aus wissenschaftlicher Sicht sind solche Untersuchungen außerordentlich zu begrüßen, sie verbessern nicht nur unsere Kenntnis zur Wirksamkeit des Arzneimittels, sondern letztlich profitiert auch der Patient durch eine Optimierung der Therapie.

Diese Studie ist sehr teuer und wird durchgeführt, obwohl die Ergebnisse per se nicht schützbar sind. Daher müssen wir alle darauf achten, dass in einem solchen Fall nicht andere Hersteller Bezug auf die Befunde nehmen, obwohl sie hierfür die Voraussetzungen nicht erfüllen.

Ich meine, dies ist eine gemeinsame Aufgabe, die auch z. B. vom Bundesausschuss respektiert werden sollte, denn wenn hier nicht darüber gewacht wird, dass die Spielregeln eingehalten werden, würden Hersteller kaum noch bereit sein, so viel Geld zu investieren.

Herr Professor Blume, vielen Dank für dieses Gespräch!

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