Arzneimittel und Therapie

Moderne Krebstherapie: EGFR-Hemmung im Fokus

Vielen Malignomen ist die Überexpression des Wachstumsfaktor-Rezeptors EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor) gemeinsam. Mit dieser Überexpression stehen entscheidende Vorgänge im Rahmen der Karzinomentwicklung in Verbindung. Die Hemmung der EGFR-Aktivität stellt daher einen spezifischen Ansatz zur Hemmung der Tumorprogression dar. Der EGFR-Antikörper Cetuximab hat bereits bei verschiedenen Tumorerkrankungen klinische Wirksamkeit bewiesen.

Zu den Bestrebungen der modernen Krebstherapie gehört es, spezifische Merkmale von Tumorzellen zielgerichtet anzugehen und damit gesunde Zellen, die diese Charakteristika nicht oder in geringerem Maße aufweisen, zu schonen.

Solche "Targeted Therapies" sollen die Krebszelle direkt angreifen und im Gegensatz zur herkömmlichen Krebsbehandlung hochspezifisch wirken. Daher erwartet man von ihnen auch eine bessere Verträglichkeit. Ein molekulares Target stellt z. B. der auf der Zelloberfläche vorkommende Wachstumsfaktor-Rezeptor EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor) dar.

Schaltstelle EGF-Rezeptor

Oberflächenrezeptoren vermitteln physiologischerweise Zellteilung, Zellproliferation und Apoptose. Voraussetzung dafür ist die Bindung von Wachstumsfaktoren an den Rezeptor. Im Falle des EGFR-Moleküls sind dies der Epidermal Growth Factor (EGF) oder der Transforming Growth Factor (TGF).

Bindet ein solcher Wachstumsfaktor an den extrazellulären Teil des Rezeptors, wird ein zweiter Rezeptor über diesen Liganden aggregiert. Diese Rezeptor-Dimerisierung setzt eine Signalkaskade in Gang, die letztendlich eine Genexpression im Zellkern aktiviert.

In vielen Tumorzellen ist die physiologische EGFR-Aktivität gestört – z. B. durch Mutation im EGFR-Gen – mit der Folge ungehemmten Zellwachstums und gestörter Apoptose. Häufig kommt es auch zur Genamplifikation und damit zur Überexpression des EGFR, wodurch das Tumorwachstum dann erheblich beschleunigt wird.

So können auf einer Tumorzelle bis zu zwei Millionen Rezeptoren vorkommen, während sich auf einer normalen Zelle üblicherweise nur bis zu 100 000 EGFR-Moleküle befinden. Viele Tumorarten zeigen dieses Phänomen (s. Tab. 1). Oftmals korreliert das Ausmaß der EGFR-Expression mit der Malignität des Tumors.

Intervention durch Cetuximab

Die hohe Anzahl an EGFR-exprimierenden Tumoren und die entscheidende Rolle dieses Wachstumsfaktor-Rezeptors für die Zellregulation machen das EGFR-Molekül zu einem interessanten therapeutischen Angriffspunkt. Der monoklonale Antikörper Cetuximab (IMC225) bindet spezifisch und kompetitiv an den EGFR. Seine Bindungsaffinität ist zehnfach höher als die der natürlichen Liganden.

Cetuximab verhindert die Dimerisierung des EGFR auf der Zelloberfläche, sodass die Signalkaskade gar nicht erst in Gang kommt. Außerdem aktiviert Cetuximab den intrazellulären Abbau der Rezeptoren. Darüber hinaus vermindert der Antikörper die Produktion von Angiogenesefaktoren. Damit wird die Vaskularisation des Tumors gehemmt.

In Kombination mit Strahlen- und Chemotherapie entfaltet das Biotherapeutikum synergistische Wirkung: Es unterdrückt die zelleigenen DNA-Reparaturmechanismen; somit kann die mit der Standardtherapie erzielte DNA-Zerstörung nicht korrigiert werden und die Tumorzelle stirbt ab.

Die Tumorprogression stoppen

Cetuximab hat bereits in verschiedenen Indikationen klinische Effektivität bewiesen. Überzeugende Daten liegen zum Kolorektalkarzinom vor. In der BOND(Bowel Oncology with Cetuximab Antibody)-Studie wurde die Wirksamkeit von Cetuximab allein und in Kombination mit dem Zytostatikum Irinotecan bei therapierefraktärem, metastasierendem kolorektalem Karzinom im Stadium IV untersucht.

Die Kombinationsbehandlung führte bei über der Hälfte der Patienten (55,5%) zu Remission oder Krankheitsstillstand, und auch die Monotherapie mit Cetuximab war noch zu 32,4% mit Verbesserung oder Stabilisierung der Krankheit verbunden. Unter der Kombitherapie überlebten die Tumorpatienten durchschnittlich 8,6 Monate, unter dem Antikörper allein 6,9 Monate.

Generell ist die Behandlung mit Cetuximab relativ gut verträglich. Ein akneähnlicher Hautausschlag ist die auffälligste schwere Nebenwirkung. In der BOND-Studie zeigte sich, dass eine stärkere Hautreaktion mit einer guten Ansprechrate korreliert.

Mit den Ergebnissen der Studie nimmt Cetuximab eine besondere Stellung in der palliativen Therapie kolorektaler Karzinome ein. Die Wirksamkeit gibt auch Anlass zur Hoffnung für Patienten mit Chemotherapie-Unverträglichkeit.

Auch in der Palliativtherapie des metastasierenden nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms sowie der Karzinome im Kopf- und Halsbereich zeigt Cetuximab in Chemotherapie-Kombination schon erste vielversprechende Ergebnisse. Auch wenn noch keine Daten vorliegen, rechnet man damit, dass der Antikörper ebenso bei anderen Tumorentitäten Aktivität entfalten könnte.

Markteinführung steht kurz bevor

Die Merck KGaA hat im Juli 2003 bei der European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) einen Antrag auf Zulassung von Cetuximab (vorgesehener Handelsname: Erbitux®) für die Behandlung von metastasierendem Darmkrebs als Monotherapie sowie in Kombination mit der Standard-Chemotherapie Irinotecan beantragt. Mit einer Markteinführung wird 2004 gerechnet.

Quelle

Satellitensymposium "EGFR-spezifische monoklonale Antikörper – Therapiestrategien bei soliden Tumoren" anlässlich der Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie, Basel, 5. Oktober 2003, veranstaltet von der Merck KGaA, Darmstadt.

Antikörper im Kommen Mit den monoklonalen Antikörpern EMD 72000 sowie ABX-EGF befinden sich zwei weitere Anti-EGFR-Therapeutika in der klinischen Erprobung. Wie Cetuximab binden sie an die extrazelluläre Rezeptor-Domäne. Einen intrazellulären Angriffspunkt haben dagegen die Tyrosinkinase-Inhibitoren Gefitinib (Iressa®) und Erlotinib (Tarceva™), die derzeit beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom klinische Prüfungen durchlaufen.

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